Kim Wiener grundiert eine Leinwand. Ihr Atelierraum ist durch die Glasfronten lichtdurchflutet, der Raum ist karg, mit einem gestrichenen Estrich, die Wände hat sie roh belassen. Im hinteren Teil des Ateliers hat sie einen Bereich mit einem raumhohen Regal abgetrennt, hier ist ihre kleine Bibliothek, hier steht der Arbeitstisch, der von Zeit zu Zeit auch umgebaut wird für Essen mit Freunden und Familie oder Arbeitstreffen mit Kollegen aus dem Haus. Das Atelier ist das Herzstück ihrer Atelierwohnung und gleichzeitig der Raum größter Freiheit für sie. Sie hat ihn unausgebaut übernommen, und hat – wie alle Bewohner des Hauses in der Amalfistraße – selbst den Ausbaustandard bestimmt und auch selbst Hand angelegt. Der andere Teil ihrer Atelierwohnung, der Wohnbereich, ist funktional und zweckmäßig. Auch diesen Teil hat die Künstlerin unausgebaut übernommen, lediglich Bad und Küche hatten bereits Bodenbeläge und Einbauten. Nach einer solchen Atelierwohnung hat Kim Wiener lange gesucht, denn ihr bisheriges Atelier in einer alten Werkhalle wurde gekündigt, das Fabrikareal wird entwickelt und vermarktet. Die Mieten nach Fertigstellung wird sie sich nie leisten können.

Das Haus in der Amalfistraße und auch die Person Kim Wiener sind frei erfunden. Real ist aber der Bedarf an alternativen Wohnformen und die Idee, die hinter dieser kleinen Szene steckt: das Schaffen von zeitgemäßem Wohnraum zu günstigen Mieten durch eine alternative Art der Entwicklung. Das ist die Motivation für das Projekt »BERLINER-ATELIER-WOHNEN«©. Die Projekt-Idee soll im Folgenden skizziert werden.

Wohnraum ist ein knappes und teures Gut – in Berlin sowie in fast allen europäischen Städten. In Berlin hat sich der Wohnungsmarkt in den letzten 30 Jahren jedoch so enorm verändert wie in kaum einer anderen deutschen Stadt. Unmittelbar nach der Wende war Berlin ein Möglichkeitsraum, ein Magnet für Künstler, Musiker, Kreative, Gründer – eine Stadt, in der in alten Lager- und Fabrikhallen bespielbare Räume und buchstäbliche »Freiräume« auch für wenig Geld gefunden werden konnten. Heute ist in der Stadt jede Nische verwertet, Brachen bebaut, Wohnraum und Arbeitsräume sind knapp und teuer, Grundstückspreise schießen in die Höhe und verteuern das Angebot.

Der Wohnungsbau in Berlin wird heute durch private Investoren bestimmt, die als Bauträger Grundstücke erwerben, entwickeln und an private Nutzer verkaufen. In diesem Ablauf gibt es viele Faktoren wie z. B. Verkauf von Grundstücken an den Meistbietenden, Gewinnspannen der Bauträger, Maklerprovisionen, Kreditkosten etc., die Auswirkungen auf die Gesamtkosten haben und die letztendlich durch den Verkauf und/oder die Mieten finanziert werden müssen. In Kombination mit dem Mangel an neu geschaffenem Wohnraum treibt dies die Mieten in die Höhe. Bestands- und Neubaumieten klaffen immer weiter auseinander und lassen den Bestandsmarkt erstarren, was zur Folge hat, dass die Menschen nicht mehr umziehen und die erforderliche Fluktuation, die für ein dynamisches und generationengerechtes Wohnungsangebot notwendig ist (Studentenwohnen/Familienwohnen/Altenwohnen), zum Erliegen kommt.

»BERLINER-ATELIER-WOHNEN«© will diesen Ablauf aufbrechen und mit gemeinnützigem Wohnungsneubau das aktuelle Wohnungsangebot vergrößern und zeitgemäße Wohnformen zu angemessenen Mietkosten realisieren.

In diesem Modell werden Wohnungen durch einen nicht gewinnorientierten Träger gebaut und von ihm direkt an den Nutzer vermittelt. Die dabei entstehenden Bau- und Finanzierungskosten werden direkt vom Nutzer in Form einer kostendeckenden Miete getragen. Die erforderlichen Baugrundstücke könnten z. B. vom Land Berlin in Erbpacht oder durch gemeinnützige Stiftungen dem Träger kostenfrei zur Verfügung gestellt werden mit der Auflage der gemeinnützigen Verwendung. Eine Erhöhung der Grundstücksausnutzung mit der Auflage des Baus von gemeinnützigem Wohnraum, könnte ebenfalls zur Entlastung der Grundstückskosten beitragen. So würde es z. B. bei dem Projekt für die Amalfistraße möglich, flächendeckend bezahlbare Mieten ohne Subventionsprogramme zu erzielen.

Wie sieht das Konzept »BERLINER-ATELIER-WOHNEN«© aus?

Strukturell setzen sich die Wohnungen aus einer Wohnkernzelle und einem frei nutzbaren Werkstatt- bzw. Atelierbereich zusammen. Die Kernzelle ist als eigenständige Wohnung nutzbar und in Heizperioden separat beheizbar, was Energie und Heizkosten spart. Der Atelierteil ist ein frei bespielbarer Raum, der in Eigeninitiative vom Nutzer für seine Bedürfnisse ausgebaut werden soll. Der Standard der Wohnungen ist bewusst einfach gehalten, die Böden sind als beschichteter Estrich vorgesehen, Bodenbeläge werden außer in Bad und Küche und den Fluchttreppenräumen durch den Nutzer ebenfalls in Eigenleistung eingebracht.

Die Dachfläche ist als Dachgarten für die Nutzer des Hauses erschlossen. Sie kann ggf. auch als Aufstellfläche zur Erzeugung erneuerbarer Energien (PV-Anlagen, Warmwasserkollektoren etc.) genutzt werden. Die Nutzung der Dachfläche durch ein Staffelgeschoss ist denkbar. Die hier möglichen, höheren Mieteinnahmen können für die Finanzierungen und den Unterhalt des gesamten Gebäudes genutzt werden.

Es gibt 4 Wohnungstypen mit Ein- bis Vierzimmerwohnungen, die direkt mit einem Atelierraum verbunden sind. Bei den größeren Maisonette-Typen ist der Atelierraum zweigeschossig. Die Wohnungen im Erdgeschoss erhalten einen direkten Zugang von der Straße und können so auch öffentlichkeitswirksame Nutzungen wie Läden, Werkstätten, Kanzleien, Ateliers etc. aufnehmen. Der öffentliche Raum der Stadt wird hier belebt.

Welchen Nutzen hat »BERLINER-ATELIER-WOHNEN«© für die Stadt Berlin? Eine vitale internationale Szene aus Kunst- und Filmschaffenden, Designern, Kreativen aus Mode, Computer-, Medienbranche etc. gehört zu denjenigen Faktoren, die Berlin heute attraktiv machen. Das Wachstum dieser Szene verdankt sich nicht zuletzt auch der Verfügbarkeit von günstigen, atelierartigen Räumen, beispielsweise in unsanierten Fabrik- und Gewerbebauten. Als Zwischennutzer konnten Kunst- und Kulturschaffende diese bisher günstig mieten, Merkmale wie große Raumhöhen, industrieller Fußbodenbelag, Lastaufzüge etc. boten den Kreativen ideale Bedingungen zum Arbeiten. Aufgrund von Sanierungen, Privatisierungen und anderen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen werden diese Räume knapp.

Berliner-Atelier-Wohnen greift in Typologie und Ausstattungsmerkmalen diese Besonderheiten auf. BAW schafft Räume für eine Kombination von Wohnen und flexiblem Atelierraum, die der Nutzer sich aneignen und für seine Zwecke nutzbar machen kann.

Die Stadt Berlin – oder auch andere Gemeinden – hätten die Möglichkeit das Wohnungsangebot zu steuern, ohne selbst Geld zu investieren, indem sie gemeinnützigen Wohnungsbauträgern stadteigene Grundstücke für den Bau zur Verfügung stellen. Die Stadt Berlin könnte damit die Vitalität der internationalen Berliner Szene fördern – einen wichtigen Impulsgeber für die Berliner Wirtschaft.

Mehr dazu online unter: berliner-atelier-wohnen.de

 

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 11/2025.