Verena Hubertz will Tempo machen, spricht von Brechstangen und will einen Bauturbo zünden – die Begriffe klingen nach Aufbruch, nach der neuen Epoche einer vom Staat verordneten Effizienz. Die Bundesbauministerin vervollständigt eine Strategie ihrer Vorgängerin und SPD-Parteigenossin Clara Geywitz, die schon in der vorherigen Legislaturperiode eine Gesetzesinitiative zur Beschleunigung des Wohnungsbaus eingebracht hatte. Nachdem Geywitz mit einem Ziel von 400.000 Wohnungen pro Jahr auf Quantitäten setzte, dreht Hubertz an der Stellschraube Zeit. Qualität – die dritte Säule einer ausgewogenen Baupolitik – scheint in dieser Betrachtung die Konsequenz aus beidem zu sein.

Bundestag und Bundesrat haben Mitte Oktober diese SPD-Initiative für den Wohnungsbau durchgewunken. Wer in diesen Tagen dem politischen Sprachgebrauch folgt, bekommt also den Eindruck, als ließe sich das Bauen mit der Geschwindigkeit des Straßenverkehrs regeln. Doch Architektur ist kein Wettbewerb der Minuten. Theoretisch ausgedrückt ist es die geduldige Kunst, Raum zu schaffen, in dem sich Gesellschaft entfalten kann. Wer sich auf eine Diskussion über Beschleunigung einlässt, sollte daher zunächst wissen, worin Baupolitik überhaupt besteht. Denn das eigentliche Bauen wird nicht beschleunigt. Baupolitik muss das Problem lösen, dass Bauverwaltungen Genehmigungen zu langsam erteilen. 3.000 Gesetze, Normen und Vorschriften gibt es beispielsweise für den Bau eines Wohnhauses. »Genehmigungs- und Entbürokratisierungsturbo« wäre daher wohl das treffendere Begriffspaar.

Das Bauwesen gab schon immer Impulse für Veränderungen. In diesem zentralen Politikfeld ließe sich also gut aufzeigen, wie sich unsere Demokratie ohne populistische Zwischenrufe reformieren könnte. Der Planungs- und Bausektor hätte die Chance, eine der gesellschaftlichen Schieflagen unserer Zeit in den Griff zu bekommen: den Mangel an bezahlbarem Wohnraum. 215.000 Einheiten genehmigten deutsche Bauämter im Jahr 2024. Von der politischen Zielvorgabe in Höhe von 400.000 Wohnungen, die Geywitz kurz nach ihrem Amtsantritt 2021 prognostizierte, ist das weit entfernt. Doch da sich der Bund 2006 vollständig als Akteur aus dem Wohnungsbau zurückgezogen hat, konzentriert er sich auf sein politisches Kerngeschäft. Seit Inkrafttreten dieser Föderalismusreform vor fast 20 Jahren darf auch Verena Hubertz in ihrem jetzigen Amt kein eigenes Wohnungsbauprogramm auflegen.

 

Was Baupolitik eigentlich ist

Baupolitik ist weder Architekturpolitik noch Wirtschaftsförderung. Sie ist das juristische Fundament, auf dem gebaut wird – im wörtlichen Sinn. Auf Bundesebene regelt sie vor allem zwei Dinge: das Baugesetzbuch (BauGB) und die Baunutzungsverordnung (BauNVO). Hier wird festgelegt, wie Kommunen Flächennutzungspläne oder Bebauungspläne aufzustellen haben, und wie Dichte, Nutzung sowie Geschossflächen definiert werden. Die Baupolitik des Bundes schafft also den Rahmen. Sie legt nicht fest, wie ein Haus konkret errichtet wird, welche Materialien zugelassen sind oder wie lang ein Fluchtweg sein muss. Nur sehr selten greift die Bundespolitik in konkrete Gestaltungsfragen ein, sie tat dies z. B., als der Bundestag 2002 beschloss, drei Barockfassaden des Berliner Stadtschlosses originalgetreu zu rekonstruieren.

Wenn das Bauen konkreter wird, übernehmen die Länder. Sie besitzen im föderalen System die Hoheit über die Bauordnungen. Und so kommt es, dass Deutschland heute über 16 verschiedene Landesbauordnungen verfügt – ein Nebeneinander, das selbst Fachleute oft ratlos zurücklässt. Für den Brandfall gilt beispielsweise eine einheitliche Fluchtweglänge von 35 Metern. Führt ein zweiter Rettungsweg allerdings durch ein Fenster, darf das Mindestmaß von 0,90 x 1,20 m in Nordrhein-Westfalen unterschritten werden, in Hamburg darf das Fenster explizit keinen Mittelpfosten haben. Ähnlich verwirrend war es über zehn Jahre lang mit dem mehrgeschossigen Holzbau in Gebäudeklasse 5. Als Vorreiter erlaubte Baden-Württemberg ihn für bis zu 22 Meter hohe Bauten schon 2015. Sachsen zog als Schlusslicht erst in diesem Jahr nach. Der Brandschutz galt hierbei als größtes Hindernis.

Architekten fragen sich zu Recht, ob sich Feuer in München anders ausbreitet als in Hamburg. Der Föderalismus, einst als Garant regionaler Vielfalt gedacht, hat im Baurecht zur permanenten Verlangsamung geführt. Und doch: Die eigentliche Schwäche liegt nicht in den unterschiedlichen Verordnungen, sondern in der fehlenden Koordination zwischen den Ebenen. Das Zusammenspiel von Bund, Ländern und Kommunen ist baupolitisch fragmentiert. Die Bauministerkonferenz (ARGEBAU) denkt zwar strategisch und innovativ, ist aber letztendlich nur ein koordinierendes Gremium der Länder. Ihre Empfehlungen sind nicht bindend. Vor dem Hintergrund, dass Gebäude in Deutschland nicht nur für 40 Prozent aller CO2-Emissionen, sondern auch für mehr als die Hälfte aller Abfälle verantwortlich sind, muss Baupolitik auf Bundesebene eine größere Bedeutung und Durchsetzungskraft erlangen. Stattdessen wird sie in jeder Koalitionsverhandlung zum Spielball der Parteien.

 

Ein Flickenteppich der Zuständigkeiten

Dieser normative Wildwuchs und das Dickicht der Bauvorschriften sind Ausdruck eines politischen Prinzips, das seine historische Berechtigung längst überschritten hat. Ab 1949 galt Länderhoheit als Schutz vor zentraler Macht. Heute schützt sie das Beharrungsvermögen der Verwaltungen. Während Nachbarländer wie die Niederlande oder Österreich auf einheitliche technische Bauvorschriften setzen, die regional ergänzt werden können, verharrt Deutschland in einem komplizierten Geflecht aus Zuständigkeiten.

In der Praxis führt das zu absurden Situationen: Ein Wohnungsbauprojekt, das über Ländergrenzen hinweg geplant wird, muss in jedem Bundesland neu genehmigt werden. Unterschiedliche Nachweisformen, divergierende Brandschutzkonzepte, wechselnde Berechnungsmodelle – jede Vereinfachung endet in einem neuen Formular. Zwar erlaubt das Planungsrecht die länderübergreifende Typengenehmigung eines standardisierten Bauwerks. Wenn eine Landesbehörde einen solchen Antrag genehmigt, gilt er in allen anderen 15 Bundesländern. Es entbindet den Bauherrn allerdings nicht, bei der Kommune einen Bauantrag zu stellen. Denn die Gemeinde prüft weiterhin, ob und wie sich auch ein Typenbau mit dem örtlichen Planungsrecht verträgt. Der Bauturbo stößt hier auf die Macht einer Bürokratie, die unbebaute Flächen vor architektonischen Hässlichkeiten schützt. Denn Typenbau wird heute von Architekten kaum als Gestaltungsaufgabe verstanden. Auch das will Verena Hubertz voranbringen: »Serielles Bauen, 3D-Druck, Holzbau für Hochhäuser – das sind keine Zukunftsvisionen, das ist an vielen Stellen schon Realität.« Der Bauturbo, so die Ministerin, schaffe die Möglichkeit für die Kommunen, schnell zu bauen, anstatt in Schönheit zu sterben.

Das jetzt mit dem § 246e im Baugesetzbuch eingeläutete Risiko wird hier besonders sichtbar: Schnell mit Typenprojekten zu bauen, schafft zwar Wohnraum. Doch die Baukultur gerät unter besonderen Druck, weil sich Bauherren im Galopp der beschleunigten Genehmigung von allzu ambitionierten Architekten verabschieden werden. Der Paragraf gilt bis Ende 2030 jedoch nur für Gebiete in angespannten Wohnungsmärkten.

Der Bauturbo sieht außerdem vor, dass Genehmigungen nach drei Monaten automatisch erteilt werden – sofern die Kommune nicht widerspricht. Das führt zwangsläufig zu rechtlicher Unsicherheit, die Verwaltungen bereits zu juristischen Planspielen veranlasst. Findige Bauträger und Häuslebauer wittern schon die rechtlichen Lücken, die das Bundesgesetz kurz nach seiner Verabschiedung öffnen wird. Erst Präzedenzfälle vor Gerichten werden eine rechtliche Klarheit schaffen. Denn der befristete § 246e BauGB bleibt eine Ausnahmeregelung.

 

Wohnraummangel als Symptom

Aber Baupolitik sollte nicht Verwaltungspolitik sein. Sie bestimmt, wie dicht wir wohnen, wie wir Energie verbrauchen, wie wir uns bewegen und welche sozialen Beziehungen Architektur ermöglicht. Bauen ist nie nur eine Frage des Materials, sondern immer auch eine Frage der Haltung. Die Debatte über die Beschleunigung blendet Kosten und Qualitäten weitgehend aus. Die Politik ist vom baukulturellen Marathon zum 100-Meter-Sprint übergegangen.

Noch schwerer wiegt, dass sich Baupolitik fast ausschließlich auf den Neubau konzentriert. Als ließe sich das Defizit allein durch neue Quadratmeter beheben. Doch die entscheidende Frage lautet: Wie können wir vorhandene Flächen umnutzen? Brauchen wir nicht lieber einen Wohnraumaktivator statt eines Neubauturbos? In deutschen Städten stehen zehntausende Quadratmeter Bürofläche leer, Lagerhallen, Kaufhäuser, Verwaltungsbauten – ungenutzte Ressourcen, die zugleich energetisch unterhalten werden müssen.

Die Umnutzung von Bestandsgebäuden könnte ein Schlüssel zur Entlastung des Wohnungsmarktes sein. Doch sie ist genehmigungsrechtlich ein Hindernislauf. Jede Nutzungsänderung gilt als Neubau, mit allen Anforderungen der aktuellen Bauordnung. Zur Erinnerung: 16 Landesbauordnungen zählt Deutschland. Das bedeutet: Wird ein Bürohaus in Wohnungen umgewandelt, müssen Decken, Fenster, Schallschutz und Brandschutz heutigen Standards entsprechen – selbst dann, wenn das Gebäude seit Jahrzehnten sicher genutzt wird. Die Folge: Umbauten werden oft teurer als Neubauten. Nur wenige Länder, etwa Niedersachsen, haben Ausnahmeregeln eingeführt, die realitätsnäher sind.

Hinzu kommt ein wirtschaftlicher Widerspruch, der ausgerechnet im Steuerrecht wurzelt: Für Büronutzung gilt der Vorsteuerabzug, für Wohnraum nicht. Wer also ein Gebäude umbaut, muss bei Umwandlung von Gewerbe zu Wohnen die gezahlte Umsatzsteuer anteilig zurückführen – ein bürokratischer Unsinn, der jede Sanierung bestraft. Der Staat fördert so indirekt den Leerstand. Will man Wohnraum schaffen, muss man also nicht schneller bauen, sondern klüger umbauen. Baupolitik darf sich nicht im Ausweisen von Flächen erschöpfen, sie muss Instrumente entwickeln, die Bestand, Klimaschutz und soziale Balance verbinden. Denn jeder Quadratmeter, der nicht neu versiegelt wird, ist ein Gewinn für das Klima.

 

Föderalismus als Bauhemmnis

Der deutsche Föderalismus hemmt im Bauwesen große Reformen. Es fehlt ein gemeinsamer Nenner. Ein modernes Bauen braucht ein einheitliches Grundverständnis davon, was sozial, ökologisch und ökonomisch sinnvoll ist. Dazu gehört eine bundesweit geltende Bauordnung, die regionale Anpassungen zulässt, aber nicht alles neu erfindet. Ebenso eine Vereinheitlichung der digitalen Baugenehmigungen, die längst versprochen, aber nie wirklich umgesetzt wurde.

Beschleunigung entsteht nicht durch Paragrafenreduktion, sondern durch Kohärenz. Was fehlt, ist eine Baupolitik mit architektonischer Intelligenz – eine, die erkennt, dass sich Raumentwicklung nicht linear planen lässt, sondern die Wechselwirkungen von Recht, Technik und Gesellschaft zusammendenkt. Dazu gehört auch eine Planungssicherheit für Bauherren aller Art. Die populistische Debatte über das Gebäudeenergiegesetz hemmt die Modernisierung von Heizungen und verzögert potenzielle Investitionen. Bauschaffende und Planende verfluchen nichts so sehr wie Unentschlossenheit oder angekündigte Änderungen, sei es auf der Baustelle oder im Gesetz.

 

Umbau als Zukunft der Baupolitik

Die ökologische Krise zwingt uns, das Verhältnis von Neubau und Bestand neu zu justieren. In Zeiten von Ressourcenknappheit und Klimawandel wird jedes neu gebaute Haus zu einer ethischen Frage. Neubau kann nur dann gerechtfertigt sein, wenn Umbau unmöglich ist. Das Baugesetzbuch sollte daher um eine »Pflicht zur Prüfung der Umnutzbarkeit« ergänzt werden. Wer neu baut, sollte nachweisen, dass keine bestehende Struktur geeignet ist. Ein solcher Paradigmenwechsel würde Baupolitik vom Wachstums- zum Erneuerungsprojekt machen.

Es ist paradox: Wir verfügen über eines der dichtesten Regelwerke Europas, aber nicht über eine Strategie, wie diese Regeln sinnvoll aufeinander abgestimmt werden. Während Ministerin Hubertz den Bauturbo beschwört, scheitern Kommunen daran, digitale Bauakten zu öffnen. Während über Klimaneutralität gesprochen wird, stehen in den Innenstädten die Heizungen leerer Büros auf halber Kraft.

Baupolitik ist immer auch Gesellschaftspolitik. Sie betrifft Fragen des Zusammenlebens, der Gerechtigkeit, der Ästhetik und der Demokratie. Wenn der Staat das Bauen nur als Verwaltungsvorgang begreift, verliert er den Raum als kulturelle Aufgabe. In Wahrheit entscheidet sich im Bauwesen, wie zukunftsfähig eine Gesellschaft ist. Eine Politik, die nur beschleunigt, aber nicht strukturiert, wird an ihren eigenen Versprechen scheitern. Was es braucht, ist kein Bauturbo, sondern eine Bauverfassung, die Verbindlichkeit schafft: ein nationales Regelwerk, das föderale Unterschiede respektiert, aber übergeordnet koordiniert. Denn nur wenn die Spielregeln klar und einfach sind, können Architekten, Ingenieure und Kommunen das tun, was sie am besten können: Räume schaffen, die Bestand haben – nicht nur im technischen, sondern im kulturellen Sinn.

Deutschland hat kein Bauproblem, sondern ein Baupolitikproblem. Wir bauen nicht zu langsam, weil Gesetze fehlen, sondern weil sie zu unterschiedlich interpretiert werden. Der Bauturbo wird daran wenig ändern, solange er die strukturelle Zersplitterung des Systems nicht überwindet. Baupolitik ist die Kunst, das Ganze zu denken – nicht das Tempo zu steigern. Sie verlangt weniger Schlagworte und mehr Koordination, weniger Föderalismus und mehr Vertrauen in die kommunale Kompetenz. Nur wenn der Staat den Mut hat, sein eigenes Regelwerk zu entwirren, kann Baupolitik wieder das werden, was sie sein sollte: die politische Gestaltung unseres gebauten Lebensraums und ein Beitrag zur Baukultur.

 

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 11/2025.