Wohnen im Jahr 2025: Die Zahl der Wohnungen sei nicht ausreichend, die Nachfrage höher als das Angebot. Vor allem fehle es an bezahlbarem Wohnraum. Das sind die gängigen Klagen, insbesondere in den Ballungsräumen. Sie betreffen vorrangig die Quantität, die Qualität des Wohnens ist ein eigenes Feld. Freilich eins, dem weniger Aufmerksamkeit zuteilwird. Neu ist weder das eine noch das andere. Wohnungsnot und Wohnungselend sind schon seit der Entstehung von Großstädten allgegenwärtig.
Über Jahrzehnte hinweg war das Wohnen Gegenstand eines paternalistischen Gestaltungswillens, der nicht beim Gegenstand stehen blieb, sondern sich auf das ganze Leben des Menschen bezog. Als der österreichische Architekt Adolf Loos Ende des 19. Jahrhunderts schrieb, jeder sei sein eigener Dekorateur, war das keine Einladung zur Beliebigkeit, sondern ein Aufruf zur Autonomie. Doch dieser Autonomie stand bald eine Pädagogik der Form gegenüber, die im Namen von Ordnung, Klarheit und Rationalität alles vermeintlich Überflüssige, alles angeblich Schmückende und alles ungeordnet Erscheinende stigmatisierte.
Der 1907 in München gegründete Deutsche Werkbund oder das 1919 in Weimar gegründete Bauhaus und die letztmalig 1961 erschienene Zeitschrift »Deutsche Warenkunde« – sie standen unter dem Zeichen einer moralischen Verpflichtung: nicht allein zur Schönheit, sondern zu einer neuen Lebenshaltung. Möbel waren keine Waren, sondern Bekenntnisse. Und die Wohnung war kein beliebiger Rahmen, sondern ein normiertes Gefäß für das, was man das »neue Leben« nannte. In der behaupteten Klarheit der Linien lag der Anspruch auf Wahrheit; in der Vermeidung des Ornaments das Versprechen einer gereinigten Zukunft. 1927 präsentierte eine Werkbund-Ausstellung in Stuttgart Wohnräume, die bis dahin übliche Einrichtungsvorlieben brüsk verurteilten. Das Plakat zur Ausstellung war Programm: Mit breiten roten Pinselstrichen war ein bürgerliches Wohnzimmer mit einem X durchgestrichen; »So Nicht!« hieß es warnend. Wohnen sollte stattdessen normiert werden. »Richtig« und »falsch« standen sich fortan unversöhnlich gegenüber.
Die Rückkehr der Unverbindlichkeit
Doch dem missionarischen Eifer fehlten die Vollmachten. Individueller Konsum trat an die Stelle der verordneten Gestaltung. Das Möbel verlor seinen erzieherischen Charakter und wurde zum Produkt. Was einst als Hausgerät mit pädagogischem Eigensinn gedacht war, steht heute in Versandlagern, konfektioniert in Millimeter und Moodboards. Die Wohnung ist nicht mehr Ort überzeitlich gültiger Normierung, sondern Ort kurzweiliger Selbstinszenierung. Und wo früher eine Profession zu Maß und Haltung missionierend aufforderte, erlaubt der Konfigurator heute jede Laune.
Ist es ein Verlust an Ernsthaftigkeit, der sich seit einigen Jahrzehnten in den Wohnungen manifestiert? Ihre Oberflächen glänzen, ihre Funktionen sind durchdacht, ihre Nutzer inszenieren sich als Gestalter. Fehlt dennoch etwas? Hat sich die Gestaltungshoheit des Konsumenten als Chimäre erwiesen? Denn wo alles möglich ist, wird nichts mehr notwendig. Und wo nichts notwendig ist, heißt es mitunter resignierend, mangelt es am Sinn.
An die Stelle von Verzicht und Beschränkung trat schon vor Längerem Konsum als Zeichen materiellen Wohlstands. Bevormundungen spielen beim Einrichten der Wohnungen längst keine Rolle mehr. Jedoch ist die Konsumfreude inzwischen getrübt: Angesichts weitreichender Folgen des Klimawandels ist der Umgang mit Ressourcen eine immer drängendere Frage, auch für das Wohnen. Die Vernunft verlangt langlebige Einrichtungsgegenstände, die Logik kapitalistischer Warenproduktion indes kurzlebige Zyklen. Lässt sich dieser Grundkonflikt lösen?