Die Möbeldesignerin Hanne Willmann spricht mit Ludwig Greven über fehlende Sinnlichkeit und Weiblichkeit in der deutschen Wohnkultur. Und über Multifunktionstische.
Ludwig Greven: Sie haben an der Universität der Künste in Berlin und in Barcelona studiert und entwerfen jetzt Möbel, Leuchten und Geschirr. Was hat Möbeldesign mit Kunst zu tun?
Hanne Willmann: Es ist verwandt, aber nicht das gleiche. Kunst kommt aus sich heraus. Design hingegen ist die ästhetische Ausarbeitung von Bedürfnissen. Dazu kommt meine Interpretation von Sinnlichkeit. Ich verstehe mich jedoch nicht als Künstlerin, sondern als Gestalterin.
Die Betten, Sofas, Tische und Regale, die Sie gestalten, sind aber nicht nur Gebrauchsgegenstände.
Ein Bett, wie ich es mir vorstelle, dient nicht allein zum Schlafen. Es drückt Geborgenheit aus, die Möglichkeit sich sinnlich auszuleben. Und sich darauf verlassen zu können, dass es nach Qualität aussieht. Auch das ist gestalterisch umsetzbar. Zum Beispiel durch massive Füße oder eine besondere Polsterung, bestimmte Stoffe. Genauso bei einem Sofa oder Sessel.
Wie würden Sie Ihren Designstil beschreiben?
Er ist menschlich und sinnlich. Für mich ist das Entscheidende, dass der Mensch mit dem Möbelstück in Kontakt kommt. Wie ist es, wenn er es berührt? Wie fühlt es sich an? Deshalb mag ich weiche Materialien. Betten, Stühle, Sofas, die den Körper auffangen. Da verändert sich etwas. Eine Vase mag schön und handwerklich gut gemacht sein. Aber sie macht nichts mit mir.
Für wen sind die Möbel gedacht?
Ich gestalte sie für hochwertige Marken. Es ist eine Klientel, die sich Qualität leisten kann und will. Manche sparen dafür. Auch ihnen ist wichtig, dass die Sachen lang halten und in Europa oder Deutschland gefertigt und nicht fünfmal um die Welt geschifft werden. Und es müssen designaffine Menschen sein. Bei den Preisen geht es nicht allein um Qualität. Es sind Leute, die Gestaltung schätzen, sich von anderen abheben und individuell sein wollen.
Auf der Gegenseite stehen Ikea und andere Möbelhäuser, die Massenware anbieten. Finden Designermöbel Niederschlag in der allgemeinen Wohnkultur?
Die Topmarken sind Inspirationsgeber für die Masse und die Hersteller solcher Möbel. Das ist genauso wie bei der Mode. Design wird dadurch demokratisiert. Es kommt in alle Schichten und Preiskategorien. Ich finde es wichtig, dass auch jemand, der wenig Geld hat, in einem schön gestalteten Zuhause wohnen kann. Problematisch ist, dass das meist Wegwerfware ist, die nicht lange hält. Und dass es dazu führt, dass man es nach ein paar Jahren wegwerfen will, weil es zu trendy geworden ist. Ich wäre gerne Botschafterin für Qualität und Langlebigkeit.
Möchten Sie stilbildend wirken?
Mein Ziel ist, mehr Feminismus in die Möbelästhetik zu bringen. Deutschland ist sehr geprägt durch das Bauhaus, einen männlichen, kühlen Stil. Es gab zwar immer schon auch Gestalterinnen, aber die durften meistens nur die Teppiche und die Keramik machen. Bestimmt 90 Prozent der bekannten Möbeldesigner sind Männer. Dabei treffen mehr als 60 Prozent der Kaufentscheidungen bei Möbeln Frauen. Ich möchte deshalb mehr Sinnlichkeit oder Weiblichkeit.
Wie drückt sich das aus? In anderen Materialien und Formen?
Vor allem darin, mehr auf die emotionale Wirkung zu achten als auf die bloße Funktionalität. Warum muss ein Tisch kantig sein? Warum kann er nicht eine schön geschwungene Form haben? Sofas sind oft so kastig, dass man sich gar nicht daraufsetzen mag. Warum kann das nicht schwingen, dass man sich reinfallen lässt und sagt: So, jetzt bin ich.
Seit der Pandemie gibt es eine Rückbesinnung auf die eigenen vier Wände. Macht sich das im Wunsch nach mehr Behaglichkeit bemerkbar?
Die Menschen werden mutiger, bei den Formen und bei den Farben. Lange Zeit musste alles grau oder beige sein und eckig. Jetzt nehmen sie schon mal ein altes Sofa und lassen es in Rot aufpolstern. Das hat schon vor der Pandemie angefangen. Stark geändert hat sich auch das Umfeld bei der Arbeit. Auch bei Büro- und Objektmöbeln ist das Wohnlichere, Sinnlichere gefragt.
Für deutsche Wohnkultur stand früher die Schrankwand. Dann kam durch Ikea die leichtere skandinavische Art. Was ist heute der vorherrschende Einrichtungsstil?
Das ist inzwischen sehr eklektisch, ein Sammelsurium. Da sind die Erben des Bauhauses, die sich weiter austoben. Daneben gibt es ein bisschen den Feminismus der Sinnlichkeit, den ich vertrete. Andere bevorzugen das Exzentrische der Italiener oder das kühle Skandinavische. In der Architektur wird wieder mehr Wert auf Innenausbau gelegt. Schrankwände und Regale sollen verschwinden, der Einbauschrank ist zurück. Polstermöbel stehen jetzt im Fokus. Und exzentrische Leuchten, die nicht nur Lichtquellen sind, sondern Ausdruck einer Persönlichkeit.
Sie haben in Spanien studiert und in der Türkei gearbeitet. Wie unterscheidet sich die Wohnkultur?
Wir geben viel Geld aus für die Wohnung und die Einrichtung. Dort lebt man mehr draußen. Türken oder Spanier laden meist nur ins Wohnzimmer ein. Bei uns ist das gesamte Haus oder die Wohnung oft für alle offen, jeder kann sich umsehen. Deshalb legen wir wahrscheinlich mehr Wert auf Ausdruck. Zur deutschen Wohnkultur gehört aber auch das Technische: ein Sessel mit Massage-, Heiz- und vermutlich Startknopf-Funktion. Oder der berüchtigte Mu-Fu-Ti – der Multifunktionstisch. Ich versuche, solche Dinge höflich zu übersehen.
Die Möbeldesignerin Hanne Willmann spricht mit Ludwig Greven über fehlende Sinnlichkeit und Weiblichkeit in der deutschen Wohnkultur. Und über Multifunktionstische.
Ludwig Greven: Sie haben an der Universität der Künste in Berlin und in Barcelona studiert und entwerfen jetzt Möbel, Leuchten und Geschirr. Was hat Möbeldesign mit Kunst zu tun?
Hanne Willmann: Es ist verwandt, aber nicht das gleiche. Kunst kommt aus sich heraus. Design hingegen ist die ästhetische Ausarbeitung von Bedürfnissen. Dazu kommt meine Interpretation von Sinnlichkeit. Ich verstehe mich jedoch nicht als Künstlerin, sondern als Gestalterin.
Die Betten, Sofas, Tische und Regale, die Sie gestalten, sind aber nicht nur Gebrauchsgegenstände.
Ein Bett, wie ich es mir vorstelle, dient nicht allein zum Schlafen. Es drückt Geborgenheit aus, die Möglichkeit sich sinnlich auszuleben. Und sich darauf verlassen zu können, dass es nach Qualität aussieht. Auch das ist gestalterisch umsetzbar. Zum Beispiel durch massive Füße oder eine besondere Polsterung, bestimmte Stoffe. Genauso bei einem Sofa oder Sessel.
Wie würden Sie Ihren Designstil beschreiben?
Er ist menschlich und sinnlich. Für mich ist das Entscheidende, dass der Mensch mit dem Möbelstück in Kontakt kommt. Wie ist es, wenn er es berührt? Wie fühlt es sich an? Deshalb mag ich weiche Materialien. Betten, Stühle, Sofas, die den Körper auffangen. Da verändert sich etwas. Eine Vase mag schön und handwerklich gut gemacht sein. Aber sie macht nichts mit mir.
Für wen sind die Möbel gedacht?
Ich gestalte sie für hochwertige Marken. Es ist eine Klientel, die sich Qualität leisten kann und will. Manche sparen dafür. Auch ihnen ist wichtig, dass die Sachen lang halten und in Europa oder Deutschland gefertigt und nicht fünfmal um die Welt geschifft werden. Und es müssen designaffine Menschen sein. Bei den Preisen geht es nicht allein um Qualität. Es sind Leute, die Gestaltung schätzen, sich von anderen abheben und individuell sein wollen.
Auf der Gegenseite stehen Ikea und andere Möbelhäuser, die Massenware anbieten. Finden Designermöbel Niederschlag in der allgemeinen Wohnkultur?
Die Topmarken sind Inspirationsgeber für die Masse und die Hersteller solcher Möbel. Das ist genauso wie bei der Mode. Design wird dadurch demokratisiert. Es kommt in alle Schichten und Preiskategorien. Ich finde es wichtig, dass auch jemand, der wenig Geld hat, in einem schön gestalteten Zuhause wohnen kann. Problematisch ist, dass das meist Wegwerfware ist, die nicht lange hält. Und dass es dazu führt, dass man es nach ein paar Jahren wegwerfen will, weil es zu trendy geworden ist. Ich wäre gerne Botschafterin für Qualität und Langlebigkeit.
Möchten Sie stilbildend wirken?
Mein Ziel ist, mehr Feminismus in die Möbelästhetik zu bringen. Deutschland ist sehr geprägt durch das Bauhaus, einen männlichen, kühlen Stil. Es gab zwar immer schon auch Gestalterinnen, aber die durften meistens nur die Teppiche und die Keramik machen. Bestimmt 90 Prozent der bekannten Möbeldesigner sind Männer. Dabei treffen mehr als 60 Prozent der Kaufentscheidungen bei Möbeln Frauen. Ich möchte deshalb mehr Sinnlichkeit oder Weiblichkeit.
Wie drückt sich das aus? In anderen Materialien und Formen?
Vor allem darin, mehr auf die emotionale Wirkung zu achten als auf die bloße Funktionalität. Warum muss ein Tisch kantig sein? Warum kann er nicht eine schön geschwungene Form haben? Sofas sind oft so kastig, dass man sich gar nicht daraufsetzen mag. Warum kann das nicht schwingen, dass man sich reinfallen lässt und sagt: So, jetzt bin ich.
Seit der Pandemie gibt es eine Rückbesinnung auf die eigenen vier Wände. Macht sich das im Wunsch nach mehr Behaglichkeit bemerkbar?
Die Menschen werden mutiger, bei den Formen und bei den Farben. Lange Zeit musste alles grau oder beige sein und eckig. Jetzt nehmen sie schon mal ein altes Sofa und lassen es in Rot aufpolstern. Das hat schon vor der Pandemie angefangen. Stark geändert hat sich auch das Umfeld bei der Arbeit. Auch bei Büro- und Objektmöbeln ist das Wohnlichere, Sinnlichere gefragt.
Für deutsche Wohnkultur stand früher die Schrankwand. Dann kam durch Ikea die leichtere skandinavische Art. Was ist heute der vorherrschende Einrichtungsstil?
Das ist inzwischen sehr eklektisch, ein Sammelsurium. Da sind die Erben des Bauhauses, die sich weiter austoben. Daneben gibt es ein bisschen den Feminismus der Sinnlichkeit, den ich vertrete. Andere bevorzugen das Exzentrische der Italiener oder das kühle Skandinavische. In der Architektur wird wieder mehr Wert auf Innenausbau gelegt. Schrankwände und Regale sollen verschwinden, der Einbauschrank ist zurück. Polstermöbel stehen jetzt im Fokus. Und exzentrische Leuchten, die nicht nur Lichtquellen sind, sondern Ausdruck einer Persönlichkeit.
Sie haben in Spanien studiert und in der Türkei gearbeitet. Wie unterscheidet sich die Wohnkultur?
Wir geben viel Geld aus für die Wohnung und die Einrichtung. Dort lebt man mehr draußen. Türken oder Spanier laden meist nur ins Wohnzimmer ein. Bei uns ist das gesamte Haus oder die Wohnung oft für alle offen, jeder kann sich umsehen. Deshalb legen wir wahrscheinlich mehr Wert auf Ausdruck. Zur deutschen Wohnkultur gehört aber auch das Technische: ein Sessel mit Massage-, Heiz- und vermutlich Startknopf-Funktion. Oder der berüchtigte Mu-Fu-Ti – der Multifunktionstisch. Ich versuche, solche Dinge höflich zu übersehen.