Eisenhüttenstadt kennt in seiner 75-jährigen Geschichte nur Wohnungsnot oder Wohnungsüberschuss. Die Jahre zwischen der Gründung im Jahr 1950 und dem Mauerfall waren von kontinuierlichem Wachstum geprägt. Mit jeder Erweiterung des Stahlwerks wurden neue Wohnkomplexe (WK) errichtet. 1989 waren es sieben WK für ca. 53.000 Einwohner, ein achter für etwa weitere 30.000 Einwohner war in Planung. Die meisten Menschen zogen der Arbeit wegen zu und mussten am Anfang in beengten Verhältnissen wohnen und auf ihre »richtige Wohnung« warten.

Mit dem Mauerfall begann das ebenso kontinuierliche Schrumpfen. Bis zum Beginn des Stadtumbaus und dem ersten Abriss 2003 verließen ca. 15.000 Menschen die Stadt. Heute hat »Hütte« ungefähr 24.000 Einwohner, seit 2003 wurden ca. 6.400 Wohnungen der ehemals knapp 22.000 Wohnungen gemeinsam von den beiden großen Wohnungsunternehmen, der kommunalen Gebäudewirtschaft (GeWi) und der Eisenhüttenstädter Wohnungsbaugenossenschaft eG (EWG), vom Markt genommen.

Der Stadtumbau hat im Wesentlichen gut funktioniert, die Stadt wirkt ausbalanciert. Was tut man aber nun, wenn die schlimmsten Prognosen eintreffen und Eisenhüttenstadt in den nächsten 15 Jahren aufgrund des demografischen Wandels um weitere 6.000 Einwohner schrumpft und somit ein Wohnungsüberhang von über 3.000 Wohnungen entstünde?

Die EWG eG verfolgt mehrere Strategien für ihren ca. 4.700 Wohnungen (es waren 2003 fast 7.000) umfassenden Bestand, die sich in drei wesentliche Kategorien unterscheiden lassen:

 

  1. Veränderung der Gebäude und deren Nutzung
  2. Veränderung der Quartiere
  3. Öffentlichkeitsarbeit.

 

Neben der klassischen Leerwohnungsinstandsetzung – wir sanieren pro Jahr grundhaft ca. 160 Wohnungen, die teilweise noch aus Erstbezug stammen – verändern wir auch Grundrisse. Wir haben fast ausschließlich Q6- und P2-Gebäude (Wohnbautypologien der DDR-Zeit) im Bestand und somit fast identische Zwei- und Dreiraumwohnungen mit kleinen Zimmern und beengten Bädern. Aktuell sehen wir einen steigenden Bedarf an größeren Wohnungen, so dass wir Wohnungszuschnitte verändern. Aufgrund der gestiegenen Baupreise und Finanzierungskosten haben wir aber vor dem Hintergrund einer durchschnittlichen Neuvermietungsmiete unter sieben Euro pro qm nur begrenzten Handlungsspielraum.

Lange Zeit und bis heute wurde in Eisenhüttenstadt von beiden Wohnungsunternehmen sehr hochwertig saniert. In einer Stadt mit Wohnungsüberschuss ist die Erwartungshaltung der Menschen hoch und man kämpft(e) um die Mieter.

Wir testen momentan neben der klassischen, weiterhin hochwertig grundsanierten Wohnung daher auch andere Wohn- und Wohnungsformen. Young-Living-Wohnungen befinden sich in den Obergeschossen und sind für Azubis gedacht, sie beinhalten eine Küche, und die EWG übernimmt für die Ausbildungszeit den Genossenschaftsanteil. #obenohne-Wohnungen liegen ebenfalls in den Obergeschossen. Die letzte Schicht wird hier nicht renoviert, es gibt keine Renovierungsverpflichtung bei Auszug, aber einen Gutschein für die letzte Schicht, mit Gestaltungsfreiraum und mit einer geringeren Miete. Gemeinsam mit »Neulandia – Neues Leben und Arbeiten auf dem Land« bieten wir demnächst an einem Gebäudeaufgang liegende möblierte Wohnungen für Menschen von außerhalb Eisenhüttenstadts an, die das Leben in »Hütte« testen möchten. Neulandia hat bereits mehrere sogenannte »Summer of Pioneers« – »sechs Monate Land auf Probe« organisiert, eine »Mini-Variante« dieses Konzeptes kommt nun nach Eisenhüttenstadt.

Die drei Konzepte werden ausschließlich in den Obergeschossen umgesetzt, da sich unsere Gebäude in der älter werdenden Stadt von oben leerziehen. Das Durchschnittsalter der Bewohner ist von ca. 28 auf ca. 50 Jahre gestiegen. Im Umkehrschluss haben wir noch keine Probleme bei der Vermietung von Wohnungen in den unteren Geschossen. Wir versuchen daher die »teuren, großen« Instandsetzungen auf das Erd- und erste Obergeschoss zu konzentrieren, die Vermietung bewusst auf diese Geschosse zu fokussieren und die Belegung somit zu steuern.

Ohne grundlegende Veränderungen an den Gebäuden und in den Quartieren wird man bei Eintreffen der Prognosen aber nicht auskommen. Daher laufen auch Gespräche mit der Stadtverwaltung, der GeWi und den Versorgern zur nächsten Phase des Stadtumbaus. Wir versuchen gemeinsam, einerseits weitere vertretbare Rückbaupotentiale zu finden, andererseits aber auch im Stadtzentrum und im 6. WK auf flächendeckenden Abriss zu verzichten. Der nicht denkmalgeschützte, zu 100 Prozent mit Fernwärme aus dem Stahlwerk versorgte 6. WK könnte dabei mit partiellem, nach Möglichkeit geschossweisem Rückbau, einer Nachhaltigkeits- und Mobilitätsstrategie das Schlüsselprojekt der Transformation werden. Es entstünde so auch neben der sozialistischen Planstadt eine zeitgemäße CO2-neutrale, barrierefreie zweite Planstadt.

Hütte hat aufgrund seiner Geschichte aber auch Optimismus und Selbstbewusstsein verloren. Wir organisieren daher in Ergänzung zu den städtischen Formaten eigene Kulturveranstaltungen, um die Lebensqualität in der Stadt zu erhöhen – Weihnachtsmarkt, Balkontheater und Sommertanz sind beispielsweise fest im Stadtkalender verankerte wiederkehrende Events. Kooperationen mit Bildungseinrichtungen wie der Kunsthochschule Weißensee, Ausstellungen wie fünffürhütte, Radtouren und unser 2025 erstmals ausgetragenes HütteBeats-Festival sollen die Stadt über ihre Grenzen hinaus bekannt machen. Die Resonanz ist fast immer positiv, und so hoffen wir, dass der eine oder die andere das enorme Potenzial erkennt und zu uns nach Eisenhüttenstadt zieht.

 

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 11/2025.