Am 18. Oktober 2023 wurde in Tokyo der hoch angesehene Weltkunstpreis Praemium Imperiale in einer feierlichen Zeremonie des japanischen Kaiserhauses durch Prinz Hitachi vergeben. Er würdigt Künstler aus aller Welt in den Disziplinen Musik, Skulptur, Architektur, Musik sowie Theater/Film. Ausgezeichnet werden Lebenswerk, außergewöhnliches künstlerisches Talent und internationale Bedeutung. Er wird auch als Nobelpreis der Künste bezeichnet. Im kommenden Jahr 2024 feiert der Praemium Imperiale sein 35. Jubiläum. Bis heute sind 170 Künstler aus 31 Nationen ausgezeichnet. Gründungsdatum war im Jahr 1988 die 100-Jahrfeier der Japan Art Association. Mit dem Praemium Imperiale öffnete sich die Stiftung, die ursprünglich als Bewahrerin japanischer Kunst auftrat, der Welt. Sie brachte sich damit aktiv in den internationalen Austausch auf dem Gebiet der Künste ein, um Japan einen Beitrag zum interkulturellen Verständnis innerhalb der Weltgemeinschaft leisten zu lassen. Seit 1997 gibt es zusätzlich die Auszeichnung zur Förderung junger Künstler, dem »Grant for Young Artists«. Diese Auszeichnung erhält eine Gruppe oder Einrichtung, die junge Talente fördert und betreut. Gerade in den krisenhaften Zeiten sind Kunst und Kultur der Schlüssel zum Dialog. Sie schaffen einen inspirierenden Perspektivenwechsel und durchbrechen Isolation und Abschottung. Damit wirkt Kunst mit seinen ästhetischen Kategorien als politische und soziale Kraft. Der Aufbruch ins Unbekannte gehört zu den menschlichen Grunderfahrungen. Sie ist auch eine wesentliche Triebfeder von Kunst und Kultur. Dies wird bei der Auswahl der Preisträger in diesem Jahr besonders deutlich. Vija Celmins für Malerei musste 1944 ihre lettische Heimat verlassen und fand in den USA ihre neue Heimat. Flucht und Vertreibung haben ihre frühen Jahre beeinflusst, bis sie sich dann den grenzenlosen Darstellungen des Nachthimmels und des Ozeans zuwandte, die immer die Frage beinhalteten, was hinter dem Horizont liegen mag. Diesen Aufbruch, der Grenzen überschreitet, finden wir auch bei Ólafur Elíasson. Farbe, Licht, Wasser, Eis bilden die natürlichen Elemente seiner umfassenden Kunstwerke, die den Betrachter auf Reisen mitnehmen, sich der gefährdeten Welt auf poetische Weise zu nähern. Island, seine ursprüngliche Heimat, bleibt ihm als Bezugspunkt, wenngleich er seinen Schaffensmittelpunkt inzwischen seit 30 Jahren in Berlin hat. Ein Grenzgänger ist auch der Theatermacher Robert Wilson: Regisseur, Theaterautor, Maler, Lichtdesigner, Bühnenbildner, Videokünstler und Architekt. Aus der texanischen Enge heraus eroberte er sich die Welt, schuf einen visionären Kosmos, eine universelle Sprache, die eine Ahnung von den Welten hinter dem Horizont vermittelt. Aus einem kleinen Dorf im afrikanischen Burkina Faso stammt der Preisträger für Architektur, Francis Kéré. Er machte sich auf den Weg nach Berlin, um Architektur zu studieren – ein harter Weg, der ihn geprägt hat. Er wurde zu einem der innovativsten Architekten und ein Pionier für soziale Architektur. Wynton Marsalis, geboren in New Orleans, dem Herzen des amerikanischen Jazz, ist nicht nur als einer der weltbesten Jazztrompeter bekannt. Er entwickelte eine meisterhafte Leidenschaft für alle Arten der Musik, vom Jazz bis zur Klassik, vom ausübenden Künstler, Lehrer und Komponisten bis hin zum Intendanten am Lincoln Center in New York.

Bemerkenswert bei der Auswahl dieses Jahr ist der Umstand, dass zwei Preisträger aus Berlin kommen, die nicht hier geboren, aber hier produktiv sind. Ólafur Elíasson betreibt in einem ehemaligen Brauereigebäude ein großes Studio mit einem Team von mehr als 100 Kunsthandwerkern, Technikern, Architekten, Web- und Grafikdesignern, Filmemachern usw., die an der Entwicklung, Produktion und Installation seiner großformatigen Bau- und Kunstprojekte im öffentlichen Raum arbeiten, präsent in spektakulären Auftritten in der ganzen Welt, bei denen in künstlichen Szenerien Irritationen und Reflexionen erzeugt werden. Der Künstler entwirft in seinem Berliner Studio auch globale Sozialprojekte, die Menschen besonders in Afrika und Asien unterstützt. Seit 2012 ist Elíasson auch Mitglied der Akademie der Künste zu Berlin. Der burkinisch-deutsche Architekt Francis Kéré steht für einen deutlichen Paradigmenwechsel des Bauens, bei dem das soziale, lokale und kulturelle Umfeld essenzieller Teil der Planung ist. Francis Kéré ist inzwischen nicht mehr der einsame Rufer in der Wüste, seine Architektur ist nicht exotisch, sie vereint vielmehr Erfahrungen vieler Generationen mit modernen Erkenntnissen. Als junger Mann kam er nach Berlin, beendete 2004 erfolgreich sein Architekturstudium an der TU Berlin und gründete gleich darauf sein Architekturbüro in Berlin. Auch er ist Mitglied der Akademie der Künste zu Berlin.

Das sind zwei Beispiele, wenn auch sehr prominente, von Künstlern, die sich bewusst für Deutschland entschieden haben. Deutschland ist nicht nur ein Zuwanderungsland für qualifizierte Fachkräfte für Industrie, Dienstleistungen und Gesundheitswesen. Es gibt inzwischen längst Musiker, Schriftsteller, Filmemacher und bildende Künstler, die hier ihren Schaffensschwerpunkt setzen. Die große Attraktivität, die Deutschland so anziehend macht, ist seine Offenheit, seine Gestaltungsmöglichkeiten. Deutschland ist inzwischen das Land, in dem die meisten internationalen Künstler leben und arbeiten. Die künstlerische Freiheit ist ein hohes Gut, ebenso die persönliche Freiheit. Sie sind das entscheidende Ferment. Berlin mit seiner kosmopolitischen Prägung, seiner Diskursfähigkeit und seiner kulturellen Ausstrahlung tut ein Übrigens, diese Einschätzung noch zu steigern. Die politischen und kommerziellen Entwicklungen der letzten Jahre haben jedoch inzwischen zu merkbaren Einschränkungen der Gestaltungsmöglichkeiten geführt. So ist die Verfügbarkeit von bezahlbaren Wohnungen, Ateliers und Werkstätten deutlich zurückgegangen. Wo in den 1990er Jahren vor allem Kunst und Kreativität zu Hause waren, haben Investoren für eine massive Gentrifizierung gesorgt. Die zunehmende Belastung durch unkontrollierte Einwanderung und mehr als eine Million Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine führen teilweise zu ablehnendem Verhalten in der Gesellschaft, der Zugang zu den etablierten kulturellen Systemen, ihren Institutionen – Theater, Museen, Orchester und Bibliotheken – und der Akzeptanz über das Publikum werden erschwert. Aber gerade die künstlerische Auseinandersetzung mit den Themen Migration, Identität, kultureller Austausch kann über eine faktenbasierte Vermittlung hinaus mit Metaphern, Symbolen, Emotionen und poetischen Bildern Perspektiven eröffnen und Zusammenhänge herstellen, die ein überraschendes und erweitertes Verständnis ermöglichen. Es sind ästhetische Strategien, die eine soziale Kraft entfalten können. Sie zu nutzen ist eine Chance.

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 11/2023.