So sieht eine Erfolgsgeschichte aus. Auf einer Podiumsdiskussion in Berlin berichtet die kolumbianische Ingenieurin Vanessa Romero von ihrer Karriere: Besuch der deutschen Schule in Kolumbien, Studium mit einem Stipendium des Deutschen Akademischen Austauschdienstes (DAAD) in Hamburg und nach dem Abschluss der erfolgreiche Einstieg in eine berufliche Karriere – derzeit arbeitet sie als Projektingenieurin bei der Hamburg Port Authority. Romeros Geschichte zeigt exemplarisch, dass internationale Studierende einen wichtigen Beitrag zum Fachkräftebedarf in Deutschland leisten können.
Die Ausgangslage hierzu ist gut: Deutschland ist eines der beliebtesten Zielländer für internationale Studierende weltweit. Die Zahl internationaler Studienanfängerinnen und -anfänger hat sich in den vergangenen zehn Jahren fast verdoppelt, auf über 75.000 pro Jahr. Die Bundesrepublik liegt auf Rang vier der weltweiten Studienziele. Für die deutschen Hochschulen und unsere Gesellschaft sind internationale Studierende eine große Bereicherung: Sie tragen zu Vielfalt und kulturellem Austausch bei, bringen internationale Perspektiven ein und sind unerlässlich für die internationale akademische Vernetzung.
Doch nicht nur Wissenschaft und Gesellschaft können von der wachsenden Zahl internationaler Studierender profitieren: In Zeiten des dramatischen Mangels an qualifizierten Fach- und Führungskräften rücken internationale Studierende und ihre Mobilität immer stärker in den Fokus der Fachkräftedebatte. Die Lücke auf dem Arbeitsmarkt ist groß: Allein bis 2026 fehlen in Deutschland bis zu 240.000 Fachkräfte, so die Ende 2022 veröffentlichte Fachkräftestrategie der Bundesregierung. Hier kann die Einwanderung über die Hochschulen einen wichtigen Beitrag leisten. Jedes Jahr verlassen über 50.000 hochqualifizierte internationale Absolventinnen und Absolventen die deutschen Hochschulen, über die Hälfte davon mit einem Abschluss in den auf dem Arbeitsmarkt besonders gefragten MINT-Fächern, rund 40 Prozent allein in den Ingenieurwissenschaften. Viele der Absolventinnen und Absolventen wollen längerfristig in Deutschland bleiben, gerade die guten Berufsperspektiven sind dabei wichtiger Grund für die Wahl des Studienorts Deutschland. Das Potenzial dieser Gruppe von hochqualifizierten, motivierten und gesellschaftlich bereits gut integrierten jungen Menschen als zukünftige Fachkräfte ist dabei bei Weitem noch nicht ausgeschöpft: Aktuelle Daten der OECD verweisen darauf, dass nur etwas mehr als ein Drittel der internationalen Studierenden zehn Jahre nach Studienbeginn noch in Deutschland ist und dem Arbeitsmarkt zur Verfügung steht. Rechnerisch sind dies bei den aktuellen Studienanfängerzahlen rund 25.000 Fachkräfte, die über die Hochschulen langfristig nach Deutschland einwandern. Diese Zahl lässt sich nach Einschätzung des DAAD zeitnah auf 50.000 verdoppeln, die richtigen Maßnahmen vorausgesetzt. In einem aktuellen Positionspapier hat der DAAD dafür drei zentrale Stellschrauben identifiziert: Steigerung der Studierendengewinnung, Verbesserung des Studienerfolgs und mehr Unterstützung beim Übergang in den Arbeitsmarkt.
Für die Gewinnung von mehr internationalen Studierenden braucht es kontinuierlich attraktive, nicht zuletzt auch mehr englischsprachige Studienangebote sowie zielgerichtete Marketing-, Informations- und Orientierungsangebote. Noch weit effektiver wäre eine Neuregelung des Hochschulzugangs: Das aktuelle System setzt zu stark auf das Schulsystem im Herkunftsland als Entscheidungsgrundlage für den Hochschulzugang in Deutschland. Eine mutige Reform hin zu einer Prüfung der individuellen Qualifikation könnte mehr jungen, qualifizierten Menschen aus Ländern außerhalb Europas den Eintritt ins deutsche Hochschulsystem eröffnen. Das zweite Handlungsfeld ist die Verbesserung des Studienerfolgs: Noch immer liegen die Abbruchquoten internationaler Studierender deutlich über denen deutscher Studierender. Es braucht deswegen noch bessere und auf die Bedürfnisse der internationalen Studierenden zugeschnittene Betreuungs- und Integrationsangebote an den Hochschulen. Besonders wichtig sind dabei begleitende Deutschangebote – insbesondere bei englischsprachigen Studiengängen. Wer sehr gut Deutsch spricht, schafft den Sprung in eine erfolgreiche Karriere in Deutschland ungleich besser. Für den erfolgreichen Übergang in den Arbeitsmarkt ist neben einer guten Fach- und Sprachausbildung auch praktische Unterstützung unerlässlich. Gerade internationale Studierende benötigen individuelle Begleit- und Beratungsangebote, z. B. in Form von »International Career Center«, die Hilfestellung bei administrativen Fragen geben und auch vermitteln, wie deutsche Arbeitgeber ticken. Hier ist eine enge Zusammenarbeit zwischen Hochschulen und Wirtschaft wichtig, um die Bedarfe der Absolventinnen und Absolventen mit denen der Arbeitgeber zusammenzubringen. Die Hochschulen im Land müssen für diese zusätzlichen Aufgaben finanziell entsprechend ausgestattet werden.
Von grundlegender Bedeutung für die Debatte ist, dass die Qualifikation internationaler Studierender zu Fachkräften keine Einbahnstraße sein soll und darf. Internationale Kooperation funktioniert nur mit langfristigen Perspektiven und auf Grundlage von gemeinsamer Verantwortung und Vertrauen. Die Qualifikation internationaler Fachkräfte für den deutschen Arbeitsmarkt muss daher nach den Prinzipien fairer Migration gestaltet werden. Zu gewährleisten ist eine »Win-win-win-Situation« für alle Beteiligten, also für die Studierenden, die Bundesrepublik und das Herkunftsland. Gerade die Gefahr eines Braindrains junger Talente aus Ländern des Globalen Südens gilt es zu verhindern. Ziel muss es sein, Fachkräftemigration im Sinne einer gegenseitig befruchtenden »Brain Circulation« zu gestalten. Dafür können Migrationsabkommen, die Art und Umfang von Migrationsbewegungen unter fairen Bedingungen regeln, eine gute Grundlage bilden. Auch der Aufbau von Netzwerken, Programme und Förderangebote, die den beidseitigen Transfer und die Zirkulation von Wissen und Personen gezielt fördern, können maßgeblich zur Nachhaltigkeit in der Fachkräftemigration beitragen.
Die allgemeinen rechtlichen Rahmenbedingungen für die Zuwanderung über die deutschen Hochschulen sind im internationalen Vergleich schon heute recht gut. Die eigentlichen Herausforderungen liegen in der praktischen und konkreten Umsetzung der angestrebten Willkommenskultur: Solange Studieninteressierte aus zahlreichen Herkunftsländern monatelang auf ein Visum warten, solange nicht auch in Ausländerbehörden am Studienort die gewünschte Offenheit praktiziert und gelebt wird und solange sich kleine und mittelständige Betriebe nicht systematisch auf die neuen internationalen Fachkräfte einstellen und eine eigene Integrationskultur entwickeln, bleibt es ein steiniger Weg zur Fachkraft von morgen.
Eine faire Migrationspolitik, eine gelebte, weltoffene Willkommenskultur sowie gezielte Förderprogramme sind daher die zentralen Voraussetzungen, um das Potenzial internationaler Studierender als Fachkräfte wirklich zu heben. Dies ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, die nur durch das gemeinsame Engagement aller Beteiligten in Politik, Verwaltung, Hochschulen, Wirtschaft und Gesellschaft zu leisten ist. Packen wir es an!