Wie stellt sich die Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik (AKBP) nach der Zeitenwende auf? Welche Rolle spielen dabei die Mittlerorganisationen, wie ist es um deren Finanzlage bestellt? Und was steht hinter der geplanten internationalen Museumsagentur? Theresa Brüheim fragt bei Ralf Beste, Leiter der Abteilung Kultur und Gesellschaft im Auswärtigen Amt, nach.
Theresa Brüheim: Herr Beste, wie ist die Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik aktuell aufgestellt?
Ralf Beste: Da bin ich natürlich befangen: Wir sind auf einem guten Weg, allen deutlich zu machen, dass unsere Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik im Endeffekt Gesellschaftspolitik ist – und damit ein ungemein wichtiger Teil moderner Außenpolitik. Es ist eine Politik, die mit Menschen zu tun hat, auf Menschen und menschliche Beziehungen wirkt. Das ist der Unterschied zur klassischen Diplomatie, bei der gewissermaßen Profis untereinander kommunizieren. Was wir tun, wirkt unmittelbar auf den Menschen, z. B. mit Mitteln der Kunst, Wissenschaft, Bildung, Kommunikation, also etwa mit Stipendien, Austausch- und Künstlerprogrammen, und damit auch viel tiefer in Gesellschaften hinein. Wir sind also gut gerüstet, aber wir justieren unsere Instrumente auch und passen sie an veränderte Aufgaben an. Denn die Zeitenwende betrifft auch diesen Bereich der deutschen Außenpolitik.
Wie machen Sie das? Was planen Sie konkret?
Gemeinsam mit dem Goethe-Institut nehmen wir eine Aufgabenkritik vor, die uns der Bundestag vorgegeben hat. Wir bauen eine internationale Museumsagentur, um sowohl der Internationalisierung unserer Museumsarbeit als auch der Intensivierung und Professionalisierung der Restitution von Kulturgütern eine neue Form zu geben. Wir arbeiten daran, unser Netz an Auslandsschulen mit einem Masterplan stärker konzeptionell an unseren Kernzielen auszurichten. Außerdem schärfen wir den Begriff der »Science Diplomacy« mit Blick auf die Anwendungsfälle, die wir spätestens seit der Zeitenwende erlebt haben: Welche Wissenschaftsbeziehungen haben wir, welche davon sind zum beiderseitigen Nutzen und welche sind gerade in Zeiten des Systemwettbewerbs mit Autokratien nicht mehr zeitgemäß? Das sind die ersten vier Bereiche.
Zudem sind wir sehr intensiv damit beschäftigt, die Kommunikationskompetenz unserer Botschafterinnen und Botschafter zu verbessern. Früher beschränkte sich deren Arbeit oft auf Verhandlungen hinter verschlossenen Türen, heute ist der direkte Kontakt mit der Bevölkerung mindestens genauso wichtig. Deswegen verbessern wir die Aus- und Fortbildung im diplomatischen Dienst und bauen neue Strukturen auf, um z. B. besser mit Desinformation umzugehen.
All das hat besondere Dringlichkeit dadurch erfahren, dass die Jahre des Haushaltswachstums wohl an ein Ende kommen. Wir müssen gemeinsam mit unseren Mittlern prüfen, wie wir konsolidieren und strategisch priorisieren können. Gleichzeitig sind die Anforderungen durch die Zeitenwende gewachsen. Denn wir merken, dass wir uns in der Auseinandersetzung mit autoritären Regierungen etwas straffen müssen.
Welche Ziele verfolgen Sie mit dieser Neuausrichtung der AKBP?
Das Gleiche wie immer, nur unter schwierigeren Bedingungen: Wir wollen die Glaubwürdigkeit und Anziehungskraft Deutschlands stärken. Dazu müssen wir noch besser verstehen, wie andere Gesellschaften ticken, wie sie Deutschland sehen und wie glaub- und kritikwürdig wir sind. Das bildet die Grundlage dafür, dass wir besser verstanden werden: unser »Way of Life«, unsere Wertvorstellungen. Die Glaubwürdigkeit und Anziehungskraft unseres Lebensstils sind wichtige Voraussetzungen dafür, um für die Akzeptanz dessen zu werben, was uns wichtig ist: Rechtstaatlichkeit, Demokratie, Freiheit und Menschenrechte. Insofern ist eine so verstandene Gesellschaftspolitik auch ein Instrument der Sicherheitspolitik. Denn sie stärkt unsere Position international.
Und sie ist wesentlicher Teil anderer außenpolitischer Strategien wie etwa der Klimaaußenpolitik oder der feministischen Außenpolitik. Beides müssen wir auf Ebene der Gesellschaften, der Menschen erklären und umsetzen – dazu können wir mit unseren Instrumenten viel beitragen.
Sie beziehen sich kontinuierlich auf die Intensivierung dieser Arbeit nach der sogenannten Zeitenwende. Bedeutet das im Umkehrschluss, es wurde vorher nicht ausreichend getan?
Darum geht es mir nicht. Wir müssen schlichtweg auf Veränderungen reagieren. Wie Außenministerin Baerbock sagte: Nach dem russischen Angriff sind wir in einer anderen Welt wach geworden. Bundespräsident Steinmeier hat verlangt, Politik und Wirtschaft müssten sich neu aufstellen. Da muss man auch die Frage stellen, was das für Kultur- und Gesellschaftspolitik bedeutet. Denn zu sagen, an diesem Bereich geht die Zeitenwende vorbei, und man kann alles so weiterlaufen lassen wie zuvor, fände ich vermessen und weltfremd. Ich denke, »Zeitenwende« steht hier für den Abschied von der Hoffnung, dass alle Gesellschaften dieser Welt automatisch auf uns zu laufen. Das war letztlich der Traum vom Ende der Geschichte. Wir müssen feststellen, dass es Bewegungen, Stimmungen, Orientierungen gibt, die unseren zuwiderlaufen, uns anzweifeln. Das nicht ernst zu nehmen wäre fahrlässig, wenn wir unsere Interessen und Wertvorstellungen wahren wollen. Der Krieg als Mittel der Politik ist zurück. Und zwar in unserer unmittelbaren Nachbarschaft. Manche der Länder, die uns jetzt herausfordern, waren vor 20 Jahren auf einem anderen Weg; Liberalisierungsprozesse wurden gestoppt oder gar niedergeschlagen. In vielen Ländern kritisieren Menschen unsere Weltsicht; Regierungen versuchen, solche Spannungen durch Desinformation auszubeuten. Zugespitzt: Wir müssen uns einem globalen Meinungskampf stellen.
Welche Rolle spielen dabei die Mittlerorganisationen? Sie haben eben schon das Goethe-Institut und die Auslandsschulen genannt.
Eine Schlüsselrolle – nach wie vor. Der allergrößte Teil unserer Arbeit läuft über leistungsstarke Mittler wie Goethe, DAAD, die Humboldt-Stiftung, die Schulen. Sie sind Ausdruck unseres Respektes vor der Freiheit von Medien, Kunst und Wissenschaft. Es sind die Mittler, die in diese Sphären hineinwirken, aber eben nicht als staatliche Akteure. Die Selbstständigkeit der Mittler ist für die Glaubwürdigkeit unseres Handelns zentral – im Sinne eines praktizierten Respekts vor diesen Freiheiten. Die Mittler als Behörden zu sehen wäre nicht nur unklug, es widerspräche auch unseren Prinzipien. Unsere Aufgabe als Behörde, die die Finanzierung organisiert und für die Steuerung verantwortlich ist, besteht darin, mit den Mittlern zu klären, was die veränderte Weltlage und die sich ändernde Finanzlage für die Zusammenarbeit bedeuten: Wie sortieren wir uns angesichts der sich neu sortierenden Welt?
Bleiben wir bei der Finanzlage der Mittler.
Wenn Sie sich die Haushaltsentwicklung angucken, sehen Sie, dass sich der jahrelang stetige Zuwachs abschwächt. Allen zwischenzeitlichen Klagen über Kürzungen zum Trotz: Die Mittler bekommen ordentliche Summen zugewiesen. Aber wer auf eine unbegrenzte Fortsetzung der Zuwächse gesetzt hatte, muss jetzt schauen, wie er konsolidiert, strategisch priorisiert und sich auf reduzierte Wachstumserwartungen und steigende Kosten einstellt. Das erfordert eine Aufgabenkritik, zu der wir mit unseren Mittlern im Gespräch sind.
Wie betrachten Sie die Mittler in der Zusammenarbeit: Partner auf Augenhöhe oder doch eher Dienstleister?
Dass sie keine bloßen Dienstleister sind, hatten wir eben besprochen. Mal vom Deutschen Archäologischen Institut und der Zentralstelle für das Auslandsschulwesen abgesehen sind die Mittler keine nachgeordneten Behörden, sie sind in der Regel als Vereine verfasst. Fakt ist aber: Auch bei den anderen ist der Geldfluss einseitig, wir sind der »Zuwendungsgeber«, wie es unter Bürokraten heißt. Das ist eine Realität, mit der die Mittler leben müssen. Das ist, um die Frage nach der Augenhöhe zu verstehen, eine wichtige Voraussetzung. Wir als Bundesregierung haben den Auftrag seitens des Gesetzgebers, die Mittler zu kontrollieren und zu steuern. Das geschieht partnerschaftlich, ist aber auch nicht von Illusionen übers Verhältnis begleitet. Die Mittler schweben nicht frei, sondern sie spielen eine Schlüsselrolle für die deutsche Außenpolitik, der sie natürlich verpflichtet sind.
Welche regionalen Schwerpunkte in der AKBP wollen Sie künftig setzen?
Die Schwerpunkte leiten sich aus unseren außenpolitischen Interessen und Werten ab. Es ist nicht so, dass die Politik plötzlich wie ein Meteorit in die Kulturszene einschlägt: Wie man beispielsweise an der Geschichte des Goethe-Instituts sieht, ist Kultur- und Bildungspolitik immer auch ein Spiegel der Weltpolitik. Genauso, wie das Goethe-Institut in Phasen des Kalten Krieges anders agiert hat als in der Zeit danach, zieht auch die Zeitenwende Veränderungen nach sich. Insofern sind Schwerpunkte in der Außenpolitik immer maßgeblich für kultur-, und gesellschaftspolitische Entwicklung. Besonders deutlich wird gerade, wie wichtig die transatlantische Rückversicherung für unsere Sicherheit und wie wichtig die europäische Integration für unsere Freiheit und unseren Wohlstand sind: Daraus ergeben sich Schwerpunktländer unserer Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik. Die osteuropäischen Partner verdienen ein besonderes Augenmerk. Darunter natürlich die Ukraine, deren Zivilgesellschaft wir sowohl vor Ort als auch im Exil mit erheblichen Mitteln fördern. In den Nachbarregionen des Mittleren Ostens und Afrikas zeigen wichtige Partnerländer großes Interesse an engerer Zusammenarbeit mit uns, und gleichzeitig versuchen Autokratien wie China und Russland zum Teil auch mit gezielter Desinformation die Bevölkerung dort für sich zu gewinnen. Außerdem wollen wir für Fachkräfte aus diesen Regionen attraktiver werden. All das bringt uns dann wieder zu Fragen der Glaubwürdigkeit und Anziehungskraft.
Welche Rolle spielt dabei der Bereich (Auslands-)Kommunikation, den Ihre Abteilung verwaltet?
Im klassischen Repertoire der Kulturpolitik wurde Public Diplomacy in Deutschland vielleicht ein bisschen unterschätzt. Wenn Sie das neben Cultural Diplomacy und Science Diplomacy legen, sind das drei Elemente, die das Bild vervollständigen. Dass wir besser verstanden werden wollen in der Welt und auch besser verstehen, ist für uns von zentraler Bedeutung. Entsprechend müssen sich unsere Auslandsvertretungen in noch stärkerem Maße als bisher als Kommunikatorinnen begreifen, unsere Botschafterinnen und Botschafter das als Chefsache sehen. Da machen wir schon große Fortschritte. Alles, was Deutschland tut, ist maßgeblich für das Bild, das wir abgeben und für die Attraktivität, die wir ausüben – das fängt bei Wartezeiten für Visa an und hört eben nicht beim Web-Auftritt auf. Auch die Instrumente der klassischen Kulturpolitik tragen in diesem Sinne zum kommunikativen Ganzen bei. Im Zusammenspiel von AKBP und Auslandskommunikation liegt für mich sehr viel Potenzial. Wir haben tatsächlich die Aufgabe eines Kulturwandels in unserer Behörde, die aus einer Tradition kommt, wo Austausch eher unter Profis im Verborgenen stattfindet. Das Herausgehen in die Öffentlichkeit ist ein wichtiger Schritt, um unseren gesellschaftspolitischen Zielen Rechnung zu tragen.
Wie sehen Sie die Zusammenarbeit in der Kulturpolitik zwischen »Innen und Außen«?
Genauso wie die Auswärtige Politik sich aus den Interessen und Werten eines Landes definiert, müssen wir uns, wenn es um Glaubwürdigkeit und Anziehungskraft geht, im Klaren darüber sein, dass wir mit dem Deutschland arbeiten, das wir sind. Das heißt, wenn wir verstanden werden und ein zeitgemäßes Deutschlandbild vermitteln wollen, sind wir darauf angewiesen, dass wir eine stete Rückkopplung an die deutsche Gesellschaft, Wirklichkeit, Kultur und Wissenschaft haben. Gleichzeitig müssen die Instrumente unserer Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik auch Sensoren sein, um die Welt besser zu verstehen. Die Frage »Innen und Außen« sollten wir im Sinne der Durchlässigkeit, nicht der Abgrenzung beantworten. Übrigens auch ganz praktisch in der Regierungsbürokratie: Mein Counterpart bei der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien ist mein Vorgänger auf diesem Posten; durch engen Austausch versuchen wir die Nahtstelle zwischen »Innen und Außen« so glatt wie möglich zu strukturieren. Bester Ausdruck davon ist die gemeinsame Arbeit beim Aufbau einer Museumsagentur, die wir mit dem Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung betreiben.
Was steht genauer hinter der geplanten internationalen Museumsagentur?
Länder wie Großbritannien und Frankreich haben eine lange Tradition der Internationalisierung ihrer Museumsarbeit. Das wollen auch wir stärker betreiben. Dafür wollen wir eine Serviceagentur etablieren, die in allem Respekt für die Zuständigkeiten der Länder und der Museen ihre Dienste anbietet, um deren internationalen Auftritt zu stärken. Ein Modellbeispiel dafür ist die Restitution der Benin-Bronzen: Der Bund schuf mit seinem Außenhandeln die politischen und rechtlichen Rahmenbedingungen, damit die Museen die Eigentumsübertragung in völliger Eigenregie mit den jeweiligen Behörden in Nigeria vollziehen konnten. Die Agentur kann künftig in anderen, möglicherweise schwierigeren Restitutionsfällen unterstützen und Wanderausstellungen in Drittstaaten ermöglichen. Insgesamt geht es um eine große Palette an Tätigkeiten genau an der Schnittstelle zwischen »Außen und Innen« der Kulturpolitik, die die Agentur leisten soll: darunter die Förderung von Museumsbauten, Ausstellungsunterstützung, Restitutionshilfe. Und nicht zuletzt Aus- und Fortbildung gemeinsam mit internationalen Museumsexperten, denn auch das Museums Lab soll in die Agentur integriert werden.
Vielen Dank.