Für mich lässt sich die auswärtige Kulturpolitik der derzeitigen Bundesregierung mit einem Satz beschreiben: Sie ist geschichtsvergessen und identitätslos. Die Groteske um die Benin-Bronzen ist das aktuellste Beispiel. Wir, die AfD-Fraktion im Deutschen Bundestag, haben uns wegen der weitverbreiteten Korruption in Nigeria gegen eine Restitution der Bronzen ausgesprochen. Jetzt rächt es sich, dass die als Wiedergutmachung für erlittenes koloniales Leid deklarierte Rückgabe nicht einmal mit Auflagen erfolgte. Statt im Edo Museum of West African Art ausgestellt zu werden, wofür die Bundesregierung fünf Millionen Euro Steuergeld nach Nigeria fließen ließ, verschwinden die Bronzen in der Privatsammlung des Königs.

Das konnte nur geschehen, weil zuvor nahezu die gesamte Presse die Restitution als »längst überfälligen Akt« begrüßt hatte. Wie die Bundesregierung saßen die Journalisten einer Geschichtsvergessenheit auf, nach der die europäischen Kolonialisten allesamt nur skrupellose, raffgierige Verbrecher waren und die kolonialisierten Völker nur bedauernswerte Opfer. Diese »postkolonialistische« Sicht ist blind für die vielen Widersprüche, Ambivalenzen und Nuancen der Geschichte. Sie macht vergessen, dass die Europäer die Kolonialisierung auch als zivilisatorisches Projekt ansahen, dass sie den kolonialisierten Völkern bis heute noch bestehende Infrastrukturen brachten – Verwaltung, moderne Verkehrswege, Krankenhäuser, Schulen – und im 19. Jahrhundert in Afrika den Sklavenhandel, die Sklaverei und die Praxis von Menschenopfern bekämpften.

Es wäre die Aufgabe der Goethe-Institute, einer solchen Geschichtsverdrehung, deren politische Folgen unabsehbar sind, entgegenzuwirken.

Angesichts der Verachtung des Eigenen ist es für mich verständlich, dass sich viele Künstler, Maler und Schriftsteller in eine vermeintliche »Weltoffenheit« flüchten und oftmals nur das hervorbringen, was es überall gibt. Durch viele Gespräche, die ich als Musiker auf meinen Konzertreisen in 65 Ländern führte, weiß ich allerdings, dass das bei denen, die sich für unser Land, unsere Sprache und Kultur interessieren, allenfalls zu gelangweiltem Gähnen führt.

Ich wünsche mir, dass unsere Künstler, aber auch die Vertreter unserer auswärtigen Kulturpolitik unsere reichhaltigen nationalen Traditionen wieder als einen Schatz begreifen. Ein jeder Musikfreund im Ausland würde mit verbundenen Augen im Konzertsaal die Dresdner Staatskapelle als herausragende Repräsentanten unserer Kultur erkennen – die Dresdner pflegen eben einen deutschen Klang. Auch in der Malerei und der Literatur gibt es dafür genug Beispiele.

In diesem Zusammenhang fällt mir der irische Dichter Seamus Heaney ein, der für seine Gedichtsammlung »North 1995 den Nobelpreis erhielt. Es sind irische Themen, die er darin verarbeitet, vom Alltag der Menschen bis hin zu keltischen Mythen; doch immer lassen sich seine Sprachbilder auch ins Übernationale, Weltläufige transponieren. Für mich klingen die Schlusszeilen von »North« daher wie ein Aufruf an unsere Künstler – und Kulturpolitiker! –, sich jenes »Schatzes« zu erinnern, den wir in den Händen halten: »Keep your eye clear / as the bleb of the icicle / trust the feel of what nubbed treasure / your hands have known.«

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 06/2023.