Als die Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen Anfang des Jahres ihre Vision des neuen Europäischen Bauhauses vorstellte, erinnerte sie daran, wie wichtig das Zusammenspiel von Politik und Kultur, Kreativität und Technologie, Wirtschaft und Kunst ist. Dies habe schon einer der Gründungsväter der Europäischen Union, der damalige französische Außenminister Robert Schuman gewusst, der im Jahr 1954 schrieb: »Europa: Sicher, es ist essentiell, am wirtschaftlichen Wiederaufbau zu arbeiten, militärische Sicherheit zu garantieren und es politisch zu organisieren, damit wir abermalige blutige Konflikte verhindern. Aber was würden all unsere Anstrengungen wert sein, wenn wir nicht gleichzeitig in der Lage sind, eine solide und tiefe Basis in den kulturellen Beziehungen zwischen den europäischen Ländern zu schaffen? Hier formt sich der europäische Geist, und der Geist wird alles andere formen.«

Schuman wusste, wie wichtig es ist, Wachstum und harte Wirtschaftsfaktoren mit Kultur und Emotion zu verbinden. Ein vereintes Europa ist mit seinem europäischen Binnenmarkt eine friedensstabilisierende Kraft. Doch es ist die Kultur, die dabei identitätsfördernd wirkt und Europa als Kulturraum erfahrbar macht, der in Vielfalt geeint ist.

Die Herausforderungen, vor denen wir in Europa stehen, sind vielfältig. Der Klimawandel, die Digitalisierung und der enorme Anstieg der Weltbevölkerung zwingt uns, umzudenken und gemeinsam neue Wege zu gehen, wenn wir unser Ziel eines klimaneutralen Kontinents bis 2050 erreichen wollen.

Unsere Wirtschaft muss sich stärker in ressourcenschonenden Kreisläufen organisieren, die der Natur das zurückgeben, das sie ihr entnehmen. Dafür braucht es aber mehr als nur das Zurückfahren von Emissionen. Nach Meinung der Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen muss der Green Deal vor allem auch ein neues kulturelles Projekt für Europa sein, das Design und Nachhaltigkeit miteinander in Einklang bringen soll.

Aus diesem Grund hat die Kommission eine neue Europäische Bauhaus-Bewegung angestoßen – einen Raum des gemeinsamen Gestaltens und der Kreativität, in dem Architekten, Künstlerinnen, Studenten, Systemwissenschaftler, Ingenieurinnen und Designer zusammenarbeiten, um diese Vision zu verwirklichen. Ein Prozess, bei dem in den kommenden Monaten Pilotprojekte in der EU ausgewählt werden sollen, in denen dann interdisziplinär über die Welt von morgen nachgedacht wird.

Das Europäische Bauhaus ist zunächst eine Referenz auf das 1919 von Walter Gropius in Weimar gegründete »Staatliche Bauhaus«, das sich zur internationalen Bewegung für Architektur, Kunst und Design entwickelte und seit hundert Jahren kreatives Denken und Design in vielen Bereichen mitprägt. Das Bauhaus hat damals den Übergang zur Industriegesellschaft mitgestaltet.

Das zentrale Ziel der jetzigen Initiative ist es, neue Wege zu finden, wie Europa bis 2050 klimaneutral werden kann. Das Zurückfahren von Emissionen allein wird nicht ausreichen, und so soll das neue Europäische Bauhaus Anregungen aus allen Disziplinen mit aufnehmen. Es soll eine gemeinsame Bewegung entstehen, die zur Verbesserung der Lebensqualität beiträgt und dabei hilft, mit dem Green Deal der EU die Menschen zu erreichen.

Inzwischen wurde eine Webseite freigeschaltet, auf der Interessierte aufgerufen sind, sich auszutauschen, und ihre Ideen für die Gestaltung und Entwicklung des neuen Europäischen Bauhauses teilen können. In der sogenannten »Gestaltungsphase« soll jetzt das finale Konzept der Initiative entstehen. Dafür werden Ideen ausgelotet, die dringendsten Erfordernisse ermittelt und interessierte Kreise vernetzt.

Im Herbst 2021 sollen dann Aufforderungen zur Einreichung von Vorschlägen veröffentlicht werden, mit denen Ideen für das neue Europäische Bauhaus in mindestens fünf Projekten europaweit umgesetzt werden können.

Nach einigen Diskussionen im Europäischen Parlament ist inzwischen eins klar: Auch wenn es dem Projekt noch an konkreter Ausgestaltung mangelt, so hat das neue Europäische Bauhaus durchaus das Potenzial, einen interdisziplinären Prozess anzustoßen, um die Frage zu beantworten, wie wir in Europa künftig zusammenleben wollen. Es kann dazu beitragen, bezahlbare Lösungen für lebenswerte Wohn-, Arbeits- und Freizeiträume unserer EU-Bürger zu entwickeln und den Green Deal zu verwirklichen. Die Kombination der Werte Nachhaltigkeit, Ästhetik und Inklusivität ermöglicht zudem eine neue, andere Betrachtungsweise. Wissenschaft, Design, Architektur und Kultur geben unterschiedliche Blickwinkel frei, und jeder für sich ist wichtig für einen holistischen Ansatz.

Aber um das Potenzial auszuschöpfen, brauchen wir vor allem zunächst konkrete Ideen, die über das theoretische Konstrukt hinausgehen. Ideen, die die Menschen nachvollziehen können, Ideen, die bezahlbar sind. Wohnraum muss für die Bürgerinnen und Bürger bezahlbar sein und bleiben.

Auch brauchen wir Klarheit. Klarheit nicht nur darüber, was das neue Europäische Bauhaus eigentlich genau sein soll, sondern vor allem, wie viel das Projekt kosten und woher das Geld dafür kommen soll. Neue Ideen brauchen frisches Geld und keine kreative Umwidmung von Geldern aus bestehenden Programmen. Das Bauhaus darf nicht zulasten bestehender ausgehandelter Programme wie z. B. Kreatives Europa gehen. Und zu guter Letzt brauchen wir Entschlossenheit und Ausdauer: Projekte, die mit großen Worten angekündigt wurden und dann nach ein paar Jahren sang- und klanglos im Sande verliefen, gibt es schon genug.

Das Europäische Bauhaus hat das Potenzial, einen wirklichen Wandel anzustoßen, aber nur, wenn man dieses Projekt richtig angeht, die Bürgerinnen und Bürger mit einbezieht und genügend Ressourcen dafür bereitstellt. Nur so können wir einen innovativen Rahmen entwickeln und Nachhaltigkeit und Ästhetik kombinieren, um den grünen Wandel zu unterstützen, zu erleichtern und zu beschleunigen. Wenn es uns gelingt, eine echte Brücke zwischen der Welt der Kunst und Kultur auf der einen Seite und der Welt der Wissenschaft und Technologie auf der anderen Seite zu bauen, können wir den systemischen Wandel anstoßen.

Im neuen Europäischen Bauhaus geht es darum, wie wir zusammenleben, um unsere Werte, um unsere gemeinsamen Räume der Arbeit und der Freizeit, um unsere kollektiven und privaten Erfahrungen. Es soll ein Projekt sein für alle Regionen in Europa. Indem es erschwingliche Lösungen fördert, soll es zum sozialen Zusammenhalt und zur Lösung von Wohnungsproblemen beitragen.

Hierfür sammelt die Kommission derzeit auf einer eigens eingerichteten Webseite Beiträge von Künstlern, Designern, Ingenieuren, Wissenschaftlern, Unternehmern, Architekten, Studenten und allen Interessierten, Beispiele von Projekten, Ideen und Entwicklungen. Aus diesen Einreichungen sollen dann Pilotprojekte ausgewählt werden, die die Werte der Initiative repräsentieren und die die Diskussionen und die Transformation inspirieren können. Die Preise, unterteilt in 10 Kategorien, sollen an bestehende zeitgenössische Projekte, die Nachhaltigkeit, Design und Inklusivität vereinen, vergeben werden. In jeder der Kategorien gibt es zwei parallele Wettbewerbsstränge: New European Bauhaus Awards (30.000 Euro) für bereits fertiggestellte Beispiele bzw. Projekte und New European Bauhaus Rising Stars (15.000 Euro) für Konzepte oder Ideen, die von jungen Menschen unter 30 Jahren eingereicht werden. Das Ergebnis der sogenannten »Gestaltungsphase« wird ein auf EU-Programmen basierender Förderrahmen sein, mit einer Ausschreibung für fünf Pilotprojekte an mindestens fünf Orten in EU-Mitgliedstaaten. Danach sollen diese Ideen und Konzepte, die das neue Europäische Bauhaus definieren, über neue Projekte, Vernetzung und Wissensaustausch verbreitet werden. Es ist eine große Chance, die relevanten Fragen der Gegenwart aktiv anzugehen und unsere gemeinsame, geteilte Zukunft zu gestalten.

Ich wünsche dieser Initiative großen Erfolg. Sie kann gelingen, wenn die Rahmenbedingungen klar sind und wir alle uns an der Umgestaltung beteiligen.

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 09/2021.