Wir wandern durch ein Dickicht unzähliger Bäume, deren Kronen sich wie ein Dach über uns schließen. Die Luft ist feucht und schwer, die Farben der Blüten überwältigend. Lourdes Melo dos Santos führt mich durch das Schutzgebiet Tapajós im brasilianischen Amazonas. Sie ist hier im Regenwald aufgewachsen, in einem Gebiet, das wegen seiner Artenvielfalt und der mächtigen Bäume als die grüne Lunge der Erde gilt.

Wir bleiben häufig stehen, denn Lourdes zeigt mir, wie die Menschen in ihrer Gemeinde mit und von dem Wald leben. Plötzlich fährt ihre Hand über einen Baumstamm und zerdrückt eine rote Ameise. Deren Sekret, so Lourdes, schützt die Haut vor Insekten. Eine Pflanze im Unterholz wirkt gegen Unterleibsschmerzen. Und aus den Bäumen tritt Latex aus, ein klebriger Milchsaft, aus dem die Menschen Naturkautschuk produzieren.

In Tapajós zeigt sich eindrücklich, dass intakte Ökosysteme die Lebens- und Wirtschaftsgrundlage von Menschen sind. Von Menschen wie Lourdes, für die Kautschuk und andereNaturprodukte eine wichtige Einkommensquelle sind. Aber auch von Menschen in Deutschland und Europa, die Luft zum Atmen brauchen, sauberes Wasser und natürliche Rohstoffe. Ökosysteme binden enorme Mengen an CO2 und stabilisieren so das Klima weltweit. Und sie haben eine große wirtschaftliche Bedeutung: Naturkautschuk aus Brasilien wird zum Beispiel in japanischen Autoreifen und französischen Turnschuhen verarbeitet. Mehr als die Hälfte der globalen Wirtschaft hängt von der Natur ab. Ein bedeutender Teil dieser biologischen Vielfalt befindet sich in den Partnerländern der deutschen Entwicklungszusammenarbeit.

Ich reiste im Juli nach Brasilien, weil das Land eine Schlüsselrolle beim Schutz der Biodiversität, der Umwelt und des Klimas einnimmt. Das Amazonasgebiet ist der größte Regenwald der Erde und ein gigantischer CO2-Speicher. Hier haben etwa zehn Prozent aller auf der Welt lebenden Tier- und Pflanzenarten ihre Heimat. Die deutsche Entwicklungspolitik unterstützt Brasilien deshalb bei wichtigen gemeinsamen Vorhaben wie etwa dem Waldschutz oder dem Übergang zu einer umweltverträglichen und sozial gerechten Form des Wirtschaftens.

Wie das konkret aussieht, erfahre ich von den sogenannten Hüterinnen des Waldes. So werden Frauen im Amazonas genannt, die sich für die Rechte indigener Völker und den Umweltschutz einsetzen. Denn ihr Land wird oft illegal besetzt und ausgebeutet. Sie werden häufig bedroht oder sogar getötet, wenn sie ihr Land und ihre Rechte verteidigen. Die deutsche Entwicklungspolitik unterstützt indigene Völker dabei, sich politisches Gehör zu verschaffen und über ihre Lebensräume mitzuentscheiden. Und auch dabei, den Wald zu schützen und aus den Waldressourcen nachhaltige Produkte zu fertigen und zu verkaufen.

Das Programm Naturschutzgebiete in Amazonien (ARPA) ist ein Baustein hierfür. Mit ihrer gemeinsamen Initiative möchten die brasilianischen Bundes- und Landesregierungen Amazoniens und die Zivilgesellschaft verhindern, dass Ökosysteme weiter zerstört werden. Sie arbeiten zum Beispiel daran, Entwaldung mittels Satelliten-Warnsystemen frühzeitig zu erkennen und dagegen vorzugehen.

Programme wie dieses zeigen Erfolg: Im Bundesstaat Pará, in dem das Schutzgebiet Tapajós liegt, ist die Entwaldung zwischen 2022 und 2023 um 21 Prozent zurückgegangen. Bis 2030 möchte die brasilianische Regierung die Entwaldung auf null zurückfahren. Hierfür sei die internationale Zusammenarbeit unerlässlich, versicherte mir Umweltministerin Marina Silva bei meinem Besuch. So schlagen sich zum Beispiel gemeinsame Projekte der brasilianisch-deutschen Zusammenarbeit der letzten Jahrzehnte zum Management von Schutzgebieten in öffentlichen Umweltpolitiken von heute nieder. Sie tragen dazu bei, dass Menschen wie Lourdes Melo dos Santos vom Wald leben können, nicht von dessen Zerstörung. Und dass dies möglich ist, nutzt auch uns hier in Deutschland und Europa. Denn obwohl die Regenwälder am Amazonas 10.000 Kilometer entfernt sind, sorgen sie auch bei uns für ein gesundes Klima.

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 10/2024.