Namen sind nicht bloße Etiketten, sie transportieren Bedeutungen und Wertungen, und diese wandeln sich im Lauf der Geschichte. Auch die Namen von Pflanzen und Tieren sind nicht frei von Konnotationen und können zu Kontroversen in der Gesellschaft führen, wie das Beispiel des Deutschen Schäferhunds zeigt, der außerhalb Deutschlands im Zuge des Ersten Weltkriegs »Elsässischer Schäferhund« genannt wurde. Umgangs- bzw. nationalsprachliche Namen für Pflanzen und Tiere hängen lediglich vom Konsens unter den Sprechenden ab. Wissenschaftliche Namen dagegen unterliegen offiziellen Regelwerken, zum Beispiel dem International Code of Nomenclature for Algae, Fungi, and Plants oder dem International Code of Zoological Nomenclature. Erklärtes Ziel dieser Codizes ist ein stabiles und eindeutiges System von Namen der behandelten Organismen, das in allen Sprach- und Kulturgebieten der Welt gültig ist. Änderungen einmal publizierter wissenschaftlicher Namen sind nur unter strengen Auflagen zugelassen. Genau darum dreht sich ein heftig geführter Disput in der Taxonomie und außerhalb der Wissenschaft. Meist geht es dabei um sogenannte Eponyme, das sind Namen, die von Personennamen abgeleitet sind und meist vergeben wurden, um die Träger oder Trägerinnen der Ursprungsnamen zu ehren. Es gibt aber auch strittige Fälle, die nicht Eponyme betreffen, sondern ganz allgemein Namen, die als unangemessen, kränkend, herabwürdigend oder beleidigend angesehen werden.
Das prominenteste Beispiel ist der vom österreichischen Zivilingenieur Oskar Scheibel 1937 Anophthalmus hitleri genannte Höhlenkäfer aus dem ehemaligen Jugoslawien. Drei Jahre früher wurde schon einmal ein wissenschaftlicher Artname publiziert, der Adolf Hitler gewidmet war, Roechlingia hitleri, doch der steht nicht im Fokus der öffentlichen Diskussion, denn ihn trägt das Fossil eines Fluginsekts. Der »Hitlerkäfer« wird auch deshalb stets im Zusammenhang mit der Forderung nach Namensänderung genannt, weil Exemplare dieses Käfers als Devotionalie in Neonazi-Kreisen so begehrt sein sollen, dass die Art im Freiland vom Aussterben bedroht ist.
Die Internationale Kommission für zoologische Nomenklatur (ICZN) hat es abgelehnt, eine Änderung des Namens Anophthalmus hitleri zuzulassen. Dagegen haben die Delegierten des Internationalen Kongresses für Botanik im Juli 2024 in Madrid beschlossen, das von betroffenen Menschen in Afrika als herabwürdigend empfundene Art-Epithet caffra und alle seine weiteren Formen in affra zu ändern. Die Argumente im einen wie im anderen Fall sind komplex und jeweils vernünftig. Die ICZN hat vorgebracht, die Änderung eines Eponyms aus ethischen Gründen öffne weitreichenden Revisionen Tor und Tür und gefährde damit das Hauptziel der Nomenklaturregeln, die Stabilität der Namen. Die Vorsitzende der Botanik-Kommission, Professor Sandra Knapp aus London, erklärte, dass der Beschluss von Madrid nach sorgfältiger Erwägung nur einen Einzelfall betreffe, und dass auch die wissenschaftlichen Nomenklaturregeln ethische Normen und ihre historische Veränderung nicht ignorieren dürften.
Mehr als 1.500 Fachleute veröffentlichten im Juni 2024 in Journal BioScience einen internationalen Appell mit der Forderung nach Stabilität der wissenschaftlichen Namen und dem Schutz der wissenschaftlichen Nomenklatur. Zum einen erhebt sich die Frage, wo eine Grenze zu ziehen sei und wer bestimme, was als anstößig zu gelten habe. Als nur ein mögliches Beispiel sei hier der Blattkäfer-Name Cryptocephalus petaini genannt. Zum Zweiten werden Personen- oder andere Namen, in verschiedenen Kulturkreisen verschieden konnotiert. So hat z. B. 2005 der damalige türkische Umweltminister Osman Pepe gefordert, die Schafsart Ovis armeniana in Ovis orientalis anatolica umzubenennen. Wer also sollte über die Maßstäbe bestimmen? Und zum Dritten: Wie sollte gewährleistet werden, dass Namen nicht nach gewisser Zeit abermals geändert werden, wenn sich beispielsweise eine durch ein Eponym geehrte Person nach der Ehrung als unwürdig erweist?
Eine umfassende rückwirkende Säuberung des Bestands wissenschaftlicher Namen wäre neben den genannten Schwierigkeiten auch finanziell und organisatorisch nicht zu leisten. Einzelfälle wie das Epithet caffra in der Botanik können den entsprechenden Entscheidungsgremien zur möglichen Änderung vorgelegt werden. Eine grundsätzliche Lösung mindestens für eventuell als unangemessen betrachtete Eponyme könnte sein, Benennungen nach Personen in den Nomenklaturregeln zu verbieten. Das hätte einerseits sicher den Verlust des durchaus wichtigen Aspekts des Hedonismus in der taxonomischen Arbeit zur Folge. Zum anderen aber schlösse es die Möglichkeit aus, zahlungswilligen Menschen die Wahl eines Eponyms zu ermöglichen und so den unterfinanzierten Taxonominnen und Taxonomen eine gewisse Geldquelle zu erschließen. Am wichtigsten erscheinen mir Eigenschaften, die mit formalen Zwängen nicht zu erreichen sind: Besonnenheit, Respekt, Gelassenheit, Sinn für Geschichte.