Immer wieder lesen wir von wissenschaftlichen Entdeckungen, die Hoffnung machen. Beispielsweise, als Forscher 2016 in einer PET-Recyclingfabrik im japanischen Sakai auf Bakterien stießen, die sich durch halbverrottete Plastikflaschen fraßen. Diese Mikroorganismen, später als »Ideonella sakaiensis« bekannt, haben die Fähigkeit, Kunststoff abzubauen und als Energiequelle zu nutzen. Plastikfressende Bakterien – das klingt fast wie Science-Fiction. Könnte diese Entdeckung der Schlüssel zur Lösung der globalen Plastikverschmutzung sein?

Plastikabfälle zählen zu den drängendsten Umweltproblemen unserer Zeit. Jährlich gelangen Millionen Tonnen Plastik in die Ozeane, bedrohen Meereslebewesen und reichern sich als Mikroplastik in der Nahrungskette an. Entdeckungen wie die von Ideonella sakaiensis wecken daher die Hoffnung, dass die Wissenschaft uns helfen kann, diese und andere große Herausforderungen zu bewältigen, vor denen die Menschheit steht – sogenannte Grand Challenges. Derartige Durchbrüche könnten auch dazu beitragen, die 17 Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen zu erreichen – von der Bekämpfung von Armut und Hunger über den Klimaschutz bis zur Förderung von Frieden und Gerechtigkeit. Doch wie kommen wir zu solchen Entdeckungen? Dazu müssen wir verstehen, was wissenschaftliche Entdeckungen ausmacht und wie sie zustande kommen. Genau darum geht es in der Philosophie wissenschaftlicher Entdeckungen. Wissenschaftliche Entdeckungen unterscheiden sich von alltäglichen Entdeckungen, und auch die Entdeckung von Ideonella sakaiensis war mehr als nur ein glücklicher Zufall – sie war das Ergebnis eines Prozesses, der weit über das bloße Finden der Bakterien hinausging. Einem Vorschlag folgend, den ich in den letzten Jahren erarbeitet habe, sind wissenschaftliche Entdeckungen als Prozesse zu begreifen, die drei Merkmale aufweisen: Finden, Akzeptanz und Wissen. Diese Merkmale greifen ineinander und sind entscheidend für wissenschaftlichen Fortschritt.

Jede Entdeckung beginnt mit einem Finden. Dies kann von einer neuen biologischen Art über eine chemische Reaktion bis hin zu einer physikalischen Tatsache, einer mathematischen Struktur, historischen Artefakten oder neuen Zusammenhängen in den Umweltwissenschaften reichen. Doch ein bloßes Finden allein, so faszinierend es auch sein mag, ist noch keine wissenschaftliche Entdeckung. Stellen Sie sich einmal vor, Sie finden im Botanischen Garten Exemplare einer unbekannten Käferart. So interessant und spannend das sein mag – es handelt sich zunächst nur um eine private Entdeckung.

Damit eine private Entdeckung zu einer wissenschaftlichen wird, muss sie von der wissenschaftlichen Gemeinschaft akzeptiert werden. Dies geschieht durch Überprüfung, Publikation und Diskussion der Entdeckung. Auch die Benennung des Phänomens spielt eine entscheidende Rolle. Sie ermöglicht es, das Entdeckte in Wissenssysteme zu integrieren und es für andere zugänglich zu machen. Wissenschaftliche Namen wie »Ideonella sakaiensis« in der Biologie oder »Higgs-Boson« in der Physik markieren wichtige Durchbrüche und ermöglichen es, präzise über diese Entdeckungen zu sprechen.

Namen sind unverzichtbar für die Kommunikation innerhalb der Wissenschaft sowie zwischen Wissenschaft und Gesellschaft. Sie sind nicht nur ein Anzeichen für die Akzeptanz einer Entdeckung, sondern ermöglichen auch genaue Diskussionen sowie die Verankerung in Wissenssystemen. Die Rolle der Benennung zeigt sich zudem in der gesellschaftlichen Wahrnehmung von Entdeckungen. Sobald eine Entdeckung einen Namen hat, kann sie Teil eines öffentlichen Diskurses werden. Namen bilden somit eine Brücke zwischen Wissenschaft und Gesellschaft. Sobald eine Entdeckung akzeptiert und benannt wurde, ist sie in das kollektive Wissen integriert. Dieses neue Wissen erweitert den bisherigen Bestand und stellt zugleich die Grundlage für zukünftige Forschung dar. So gesehen markiert Wissen sowohl das Ziel als auch den Ausgangspunkt wissenschaftlicher Entdeckungen. Ein Beispiel dafür ist die Entdeckung des Higgs-Bosons, die nicht nur unser Wissen über die Grundbausteine des Universums erweitert, sondern auch neue Forschungsrichtungen in der Physik eröffnet hat. Solches Wissen ist entscheidend für wissenschaftlichen Fortschritt und damit auch für die Bewältigung globaler Herausforderungen.

Halten wir fest: Um unsere drängendsten globalen Probleme zu lösen, sind wir auf wissenschaftlichen Fortschritt angewiesen – und der besteht im Zuwachs von Wissen. Dafür wiederum benötigen wir neue und bahnbrechende wissenschaftliche Entdeckungen. Wenn wir überdies die Charakteristika von Entdeckungen besser verstehen, können wir gezielter unter anderem politische Maßnahmen ergreifen, um mehr neue und bahnbrechende Entdeckungen zu machen. Indem wir das Forschungsfeld der Philosophie wissenschaftlicher Entdeckungen weiter ausbauen, können wir also nicht nur zum wissenschaftlichen Fortschritt beitragen, sondern auch die Herausforderungen unserer Zeit gezielter und erfolgreicher angehen.

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 10/2024.

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