In einer fast schon sprichwörtlichen Stelle der hebräischen Bibel im Buch Jesaja heißt es »Fürchte Dich nicht, (…), ich habe Dich bei Deinem Namen gerufen …«. Es ist eine von vielen Stellen in der hebräischen Bibel, aber auch im Neuen Testament, in denen die Menschen direkt angesprochen, bei ihrem Namen gerufen werden. Der Name, in christlichen Kontexten neben dem Rufnamen oft noch der Taufname, hat für uns Menschen eine große Bedeutung. Wer hat sich nicht schon mal über seinen Namen, in der Regel seinen Vornamen, geärgert, weil er zu altbacken, zu modisch, zu häufig oder zu selten ist. Lustig wurde sich über Namen wie »Chantal« oder »Kevin« gemacht. In Studien wurde aufgezeigt, wie sehr der Vorname Vorurteile bei Lehrerinnen oder Lehrern produzieren kann und dass gerade eine »Chantal« es schwer hat, als intelligent wahrgenommen zu werden, ganz unabhängig von ihrer individuellen Leistung.

Spitznamen, die teilweise vom Vornamen abgeleitet werden, sich teilweise auf Eigenschaften von Personen beziehen, sind ein ganz eigenes Kapitel. Sie können für manch einen eine Plage oder auch amüsant sein, wenn z. B. ein zwei Meter großer Hüne immer noch der Steppke ist.

Seit gut 800 Jahren sind in Deutschland Nachnamen üblich. Zuerst in bürgerlichen Schichten, später für alle Menschen. Viele der Nachnamen nehmen Bezug auf berufliche Tätigkeiten wie Müller, Schneider oder auch, wie bei mir, Zimmermann. Oftmals übten die ersten Namensträger den jeweiligen Beruf aus, und mitunter, so zumindest in meiner Familie, einer Familie von Zimmermännern, auch über lange Zeit hinweg.

Im Habsburger Reich wurden Ende des 18. Jahrhunderts jüdische Familiennamen eingeführt. Sie dienten dazu, die jüdische Bevölkerung, die zuvor Vornamen sowie teilweise Beinamen hatte, in den Amtsbüchern und damit auch steuerlich zu erfassen. Manche dieser Namen wie »Zuckerberg«, »Mandelbrot« oder »Ringelblum« sind sprechende Namen. Nach der Einwanderung nach Palästina, später Israel, hebräisierten viele ihre Namen. So wurde aus David Josef Grün der Staatsgründer David Ben-Gurion.

Aber auch in Deutschland deutschten Zuwandererinnen und Zuwanderer ihre Namen ein, oder die Namen schliffen sich so ab, dass der Ursprungsname kaum mehr zu erkennen ist. Der Name gehört zu einem Menschen.

Namen, die Benennung der belebten und der unbelebten Umwelt, sind zutiefst menschlich. Sie sind Teil unserer Kultur. Namen dienen zur Gruppenzuweisung und zur Unterscheidung. Erst, was benannt ist, kann beschrieben und überliefert werden. Über das, was benannt ist, kann sich verständigt werden, kann geforscht werden. Wenn etwas benannt ist, ist es einzigartig und identifizierbar.

Benennungen sind daher für die Wissenschaft unentbehrlich. Das gilt für die verschiedenen Disziplinen. In der Literaturwissenschaft wird der Jambus vom Trochäus unterschieden, in der Musik zwischen Dur und Moll, in der Bildenden Kunst geht es um verschiedene Stile, in der Medizin wird das gesamte Skelett klassifiziert, und Erkrankungen werden benannt, viele andere Beispiele ließen sich anführen.

Bahnbrechend für die Biologie war der schwedische Biologe Carl von Linné (1707-1778), der die Grundlage für die noch heute angewandte Nomenklatur zur Beschreibung von Pflanzen und Tieren legte. Seine Grundprinzipien werden noch heute strikt angewandt, wenn es um die wissenschaftlich korrekte Benennung in der Biologie geht.

Und diese Arbeit ist noch lange nicht abgeschlossen. Die Biodiversität auf der Erde ist immer noch so groß, dass es nach wie vor Tiere und Pflanzen gibt, die noch nicht beschrieben und noch nicht benannt sind. Doch wir müssen uns beeilen, denn täglich sterben Arten aus, ohne dass sie je benannt wurden.

Damit das Beschreiben und Benennen gelingt, ist zuerst ein anderer Sinn gefragt: Das genaue Hinsehen. »Innere Augenränder nach unten stark konvergierend und nierenförmig ausgerandet; Geissel dick, nach dem Tode nicht eingerollt, Schenkel und Schienen ›3‹ etwa doppelt so lang wie die übrigen Schenkel und Schienen; Analsternit wie eine Legescheide zusammengedrückt«, so beschreibt der berühmte deutsche Wegwespenforscher, Heinrich Wolf, die Gattung Ceropales. Von dieser eher kleinen Wegwespe gibt es in Deutschland acht Arten, die in drei Untergattungen aufgeteilt sind. »Die Bestimmung der Wegwespen ist keineswegs leicht«, schreibt der Entomologe, vulgo Insektenforscher, in der Einführung in seinen Bestimmungsschlüssel.

Ich bin mir sicher, die meisten Leserinnen und Leser haben in ihrem Leben noch keine Wegwespe bewusst gesehen. Und das, obwohl In Deutschland fast 100 verschiedene Arten dieser Wespen leben, in der Welt sind es sogar mehr als 5.000 Arten. Nur wenn wir jede einzelne bei ihrem Namen nennen können, können Forscher überall in der Welt ihre Ergebnisse untereinander austauschen. Ohne spezifische Benennung ist internationale Forschung unmöglich.

Genau hinsehen ist in vielen Disziplinen erforderlich, um in eine Materie einzutauchen und zu verstehen, was sie auszeichnet bzw. unterscheidet und worum es tatsächlich geht. Sehen und Benennen sind wissenschaftliche Grundlagenarbeit in der Natur-, aber auch in der Kulturwissenschaft.

Lassen Sie sich, liebe Leserinnen und Leser, mitnehmen, in ein für eine kulturpolitische Zeitung eher ungewöhnliches Thema, nämlich die Benennungen in der Biologie, und stellen Sie fest, wie viele Bezüge zu anderen Disziplinen bestehen.

Mein Dank gilt dem Museum für Naturkunde Berlin, insbesondere Michael Ohl, für die gemeinsame Planung und Realisierung dieses Dossiers.

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 10/2024.