Die Arten der Tiere, Pflanzen und Pilze lassen sich mit einem genetischen Barcode unterscheiden. Er ist allerdings nicht wie ein Etikett im Supermarkt von außen sichtbar, sondern es handelt sich um einen bestimmten Abschnitt der Erbinformation DNA. Bei Tieren ist es eine Sequenz des COI-Gens der Mitochondrien, die 658 Basenpaare lang ist; bei Pflanzen oder Pilzen werden andere Gene zur Artidentifikation herangezogen. Dieser Barcode erlaubt es uns, Tierarten weitgehend automatisiert über ihre DNA zu unterscheiden, zu erkennen und zu bestimmen: Dieses Verfahren der genetischen Artunterscheidung nennt man DNA-Barcoding. Diese Identifikation kann komplett unabhängig von der Artbestimmung über die Morphologie, also vom äußeren und inneren Erscheinungsbild oder weiteren Charakteristika erfolgen. Überall dort, wo schnelle und zuverlässige Artbestimmungen bzw. Nachweise von Arten nötig sind, ergeben sich vielfältige Anwendungen des DNA-Barcoding: z. B. Umweltgutachten, Lebensmittelsicherheit, Forensik, aber auch Biodiversitätsmonitoring und andere Forschungsarbeit.

Der springende Punkt bei der Identifikation von Arten über das DNA-Barcoding ist die Zuordnung der DNA-Sequenz zum Artnamen. Der Artname ist zentral, denn er bringt alles zusammen: Wissen über Biologie, Verbreitung, Schutzstatus aber auch Emotionen. Um diese Verbindung und damit die Grundlage für DNA-Barcoding zu schaffen, ist eine DNA-Barcode-Referenzbibliothek unerlässlich. Eine solche Datenbank für die in Deutschland vorkommenden Tiere, Pflanzen und Pilze zu initiieren, zu füllen und zu pflegen war und ist zentrale Aufgabe der German Barcode of Life Initiative (GBOL). GBOL wurde 2011 gestartet. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) finanzierte bisher drei Förderphasen. Unter der Leitung des Leibniz-Instituts zur Analyse des Biodiversitätswandels – Museum Koenig Bonn arbeiten je nach Phase verschiedene Naturkundemuseen und Forschungseinrichtungen zusammen. Weiterhin wurde eine Zusammenarbeit mit Taxon-Expertinnen und -Experten für verschiedenste Tiergruppen aufgebaut, die wesentliches Wissen um Artbestimmung und Artengruppen einbrachten. Diese Taxon-Expertinnen und -Experten sind dabei nicht nur an Instituten tätig, viele von ihnen, die man als »citizen scientists« bezeichnen kann, gehen dieser Arbeit auch in ihrer Freizeit nach. Zudem hat sich GBOL nicht nur in Deutschland, sondern international mit Experten und weiteren Barcoding- und Biodiversitätsinitiativen vernetzt (z. B. iBOL, Biodiversity Genomics Europe).

Bei der Arteninventur in GBOL wurden und werden immer wieder für Deutschland neue Arten nachgewiesen oder gänzlich neu entdeckt, benannt und beschrieben. Dies ist besonders der Fall in der aktuellen Phase: GBOL III: Dark Taxa. In den ersten beiden Phasen wurden viele Arten der häufigen und gut bekannten Tiergruppen für die Referenzdatenbank erfasst. Dabei zeigte sich: Bei manchen Tiergruppen finden sich große Lücken in der Datenbank, und es handelt sich um genau die Tiergruppen, die in Proben von Fluginsekten am meisten vertreten sind und die manchmal bis zu 70 Prozent der gefangenen Individuen ausmachen.

Doch wie möchten wir optimale Maßnahmen gegen den dramatischen Insektenrückgang treffen, ohne genaues Wissen, um welche Arten es sich handelt? Wie möchten wir Tiere schützen, die keinen Namen haben, zu denen wir daher auch kein Wissen zusammentragen können, denen wir keinen Schutzstatus erteilen können, zu denen wir keine Beziehung aufbauen können? Wie möchten wir Lebensräume schützen – und damit letztendlich auch für uns eine nachhaltige Lebensgrundlage erhalten – ohne zu wissen, welche Arten vorkommen und welche wesentlichen Funktionen sie erfüllen? Und haben wir nicht das menschliche Bedürfnis und sogar eine Pflicht, alle Arten zu kennen, die mit uns hier leben? Die meisten Menschen würden annehmen, dass wir die heimischen Tiere längst alle kennen, und sind überrascht zu erfahren, dass dies nicht der Fall ist.

Die unbekannten, unbenannten und unerforschten Artengruppen sind sogenannte »Dark Taxa«. Besonders zahlreich sind diese in zwei Insektengruppen: Mücken und Fliegen (wissenschaftlich Diptera) und parasitoide Wespen, die wie Bienen und Ameisen und ihre gelb-schwarzen Wespenverwandten zu den Hautflüglern (wissenschaftlich Hymenoptera) gehören. Die Arten in diesen Gruppen sind oft nur wenige Millimeter groß und leben zahlreich in allen terrestrischen Ökosystemen. Parasitoide Wespen bedeutet, dass diese sich an oder in anderen Lebewesen entwickeln und diese dabei töten. Beide Tiergruppen zusammen, Hymenoptera und Diptera, kommen in Deutschland mit mindestens (!) 20.000 Arten vor. Bei insgesamt etwa 48.000 heimischen Tierarten sind das über 40 Prozent. Nicht alle sind unbekannt, aber die Lücken sind groß. Nur wenige Expertinnen und Experten kennen sich mit diesen Gruppen aus. In GBOL III: Dark Taxa wurde daher eine neue Generation Taxonominnen und Taxonomen ausgebildet, die eine große Zahl von Arten erstmals für Deutschland nachweisen oder neu beschreiben konnten. Somit ist es um die »Dark Taxa« etwas heller geworden. Wir sind noch lange nicht am Ziel, aber die Liste der heimischen Arten mit Namen wird länger und länger und besser und besser.

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 10/2024.