Der 12. Oktober 2014 ist ein Datum, das vielen Biologen Unbehagen bereitet. Wenn nicht direkt, dann immerhin durch seine Auswirkungen, denn an diesem Tag trat das Nagoya-Protokoll in Kraft. Diese internationale Vereinbarung ist ein Zusatzprotokoll des Übereinkommens über die biologische Vielfalt (CBD), das seit 1993 den Schutz der Artenvielfalt, der Vielfalt der Ökosysteme, die nachhaltige Nutzung ihrer Bestandteile und die gerechte Aufteilung der aus der Nutzung ihrer genetischen Ressourcen resultierenden Vorteile zum Ziel hat. Dieses letzte Ziel spielt unmittelbar in das Nagoya-Protokoll, das auf eine Kontrolle des Zugangs (»access«) bei gleichzeitigem gerechten Vorteilsausgleich (»benefit sharing«) der genetischen Ressourcen eines Staates abzielt. Diese genetischen Ressourcen können vielfältig sein, man kann dies als den Zugang zu biologischen Exemplaren oder Proben übersetzen, also zu Tieren, Pflanzen oder anderen nicht-menschlichen Organismen oder deren genetischem Material. Eingeschlossen ist auch »traditionellen Wissens« (»traditional knowledge«), also Wissen der indigenen Bevölkerung über bestimmte Organismen bezüglich ihres Nutzens für den Menschen. Neu ist hierbei, dass die genetischen Ressourcen eines Staates als dessen Besitz angesehen und von diesem reguliert werden können und somit auch der Zugang (übersetzt etwa die Beprobung) zu ihnen. Dadurch sollten die Staaten die Möglichkeit erhalten, sich gegen die Ausbeutung dieser Ressourcen durch Unternehmen zu wehren. So kann der Zugang zu einer Heilpflanze, die traditionell zur Behandlung bestimmter Krankheiten genutzt wird, durch dieses neue Abkommen reguliert und ein gerechter Vorteilsausgleich für eine Nutzung verlangt werden. Dieses theoretische Konstrukt war primär gegen Biopiraterie gerichtet, also die gewerbliche Nutzung biologischer Ressourcen und des traditionellen Wissens über ihre Verwendung durch kommerzielle Unternehmen, die daraus mittels Forschung und Entwicklung Produkte generieren. Werden diese Produkte kommerzialisiert, ohne dem Herkunftsland oder der vor Ort ansässigen Bevölkerung, deren Wissen gegebenenfalls in die Herstellung dieses Produktes eingeflossen ist, einen Ausgleich vom erzielten Gewinn zu gewähren, fehlt das »benefit sharing«. Diese zu Recht angeprangerte Praxis der einseitigen Gewinnerzielung durch natürliche Ressourcen ohne fairen und gerechten Vorteilsausgleich mit den Herkunftsländern führte zur Gegenmaßnahme durch das Nagoya-Protokoll, das es jedem Mitgliedsstaat freistellt, den Zugang zu seinen genetischen Ressourcen zu regulieren und ein »benefit sharing« vom Nutzer einzufordern. So weit, so gut.

Durch die »Conference of Parties« (COP, also den Treffen der Mitgliedsstaaten) sowie die Gesetzgebungsprozesse bei der Umsetzung des Nagoya-Protokolls sind jedoch weitreichende Entscheidungen getroffen worden. So wurde nicht nur die Konjunktion von Forschung und Entwicklung als relevant erachtet, sondern auch die einfache Forschung ohne Produktentwicklung. Ein Beispiel für solche Forschung wären biologische Artbeschreibungen und taxonomische Forschung, wie sie in Naturkundemuseen erfolgen. Neben der Einbeziehung der Grundlagenforschung in das Protokoll wurden Dokumentationspflichten eingeführt, die an der Realität vieler Forschungseinrichtungen vorbei gehen. So sind die Unterlagen, etwa die mit dem Ursprungsland der genetischen Ressource vorher ausgehandelte Zustimmung und der Nutzungsvertrag (»prior informed consent« und »mutually agreed terms«), 20 Jahre nach Beendigung der Forschung aufzubewahren. Daneben gilt es, die oben genannten Genehmigungen auszuhandeln und dabei alle Gesetze im Herkunftsland wie auch im Land, in dem die Forschung geschieht, einzuhalten, zu dokumentieren, vorzuhalten und so der geforderten Sorgfaltspflicht nachzukommen. Nur so können Kontrollen durch das Bundesamt für Naturschutz, der zuständigen Vollzugsbehörde in Deutschland, bestanden werden.

Doch auch hier gibt es einen weiteren Aspekt: Neben möglichen hohen Bußgeldern oder anderweitigen Sanktionen steht der Imageschaden für eine angeprangerte Institution, die in dieser Sache nachlässig agiert hat. Daher haben Forschungsinstitutionen in den Jahren nach 2014 interne Regeln zum Umgang mit dem Nagoya-Protokoll implementiert. Die zu beachtenden Regeln sind komplex, die Zunahme der Bürokratie bei der Planung und Durchführung von Forschungsprojekten ist spürbar und hat schon zur Verlagerung von Forschungsaktivitäten geführt. Dies alles galt der physischen Form von genetischen Ressourcen, also dem Organismus selbst oder auch seinem genetischen Material. Genetische Forschung hat jedoch den Anspruch, digitale Sequenzinformationen öffentlich und für alle zugänglich in Datenbanken einzustellen. Die Implikationen dieser Veröffentlichung sind Kern der Diskussion der COP bei ihrem Treffen im Oktober 2024 in Bogota. Lässt sich schon aus den Sequenzdaten allein ein Nutzen ziehen, der wie bei der physischen genetischen Ressource ein »benefit sharing« nach sich ziehen soll?

Es ist damit zu rechnen, dass neben dem Nagoya-Protokoll, ursprünglich als berechtigtes Instrument für einen fairen Vorteilsausgleich erdacht, die Publikation und Nutzung von wissenschaftlichen Informationen und Daten der Grundlagenforschung in frei zugänglichen Datenbanken bald unter verbindliche Regelungen für digitale Sequenzinformationen unter das CBD fallen könnten. Diese Regelungen werden die kommerzielle Forschung und Entwicklung wenig einschränken, aber weitreichende Folgen für die Grundlagenforschung wie der Artenentdeckung und -beschreibung und auch für Kooperationen mit den Herkunftsländern haben. Leider zeigt sich auch hier, wie in vielen anderen Bereichen, dass eine zunehmende Komplexität der Anforderungen in der Praxis eher neue Barrieren aufbaut, ohne die eigentlichen Ziele zu erreichen.

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 10/2024.