Zuallererst sei klargestellt: Die Benennung von Objekten in der Archäologie ist alles andere als konsequent. Ein strammes System wie bei den Elementen in der Chemie fehlt vollständig, und auch die Klassifizierung in der Biologie erscheint – bei allen Besonderheiten – deutlich systematischer. Archäologie hat sich immer an der Grenze zwischen Geistes- und Naturwissenschaft abgearbeitet, und genau dies spiegelt sich in der Art der Benennung von Objekten. Daher folgt hier nur ein Seitenblick auf die Vielzahl von Begrifflichkeiten in der Archäologie, der als ein kleiner Seitenblick zur naturwissenschaftlichen Klassifizierung gedacht ist.

 

Das Material

Das Steinbeil ist ein Inbegriff für Bodenfunde – ebenso wie das Bronzebeil oder das Eisenschwert, die allerdings alle einer näheren Definition bedürfen, um im wissenschaftlichen Diskurs eingesetzt zu werden. Anders ist dies bei sehr speziellen Materialien, etwa dem Jadeitbeil, einem Beil aus dem bronzefarben schimmernden Jadeit, dass in der Jungsteinzeit an zwei Stellen in den Alpen abgebaut und über große Strecken verhandelt wurde. Auch ein Bergkristallglas benötigt keine weitere an seine Seite gestellte Begrifflichkeit.

 

Der Fundort

Doch diese einfache, auf die Materialität bezogene Namensgebung reicht natürlich nicht aus. Besondere Objekte brauchen besondere Namen. Die Himmelsscheibe von Nebra, die Schöninger Speere oder der Sonnenwagen von Trundholm sind solche exzeptionellen Funde, die sich unauslöschlich mit dem Namen des Fundortes verbunden haben, auch wenn sie, wie im Falle von Nebra, nicht unbedingt dem entsprechenden kommunalen Gebiet zuzuordnen sind – auch Namen sollten gut klingen.

Nun gibt es auch zahlreiche Ortsnamen, die für Fundtypen stehen, die keineswegs entsprechend außergewöhnlich sind, aber dennoch mit dem Ortsbegriff auf Dauer verbunden bleiben. An erster Stelle sind hier Waren zu nennen, die aufgrund ihres Herkunftsortes bestimmt werden können. Dies gilt besonders für Töpfereien. Ein gutes Beispiel dafür sind die mittelalterlichen Produktionsstätten im Rheinland. Die Badorfer Ware oder die Pingsdorfer Ware haben diese Dörfer in der Archäologie unsterblich gemacht; den größten Ruf genießen aber die Siegburger Töpfer, deren Ware nach der Erfindung des Steinzeugs um 1300 weit über das Rheinland hinaus größte Beliebtheit erreichte.

Größere Wirkung hatte aber die Benennung einer Objektgruppe nach einem Fundort. Ein gutes Beispiel dafür sind die Hemmoorer Eimer, sorgfältig aus Bronzeblech gefertigte Gefäße, die im 2. und 3. Jahrhundert in viele germanische Gräberfelder gelangten und dort auch gerne als Urnen genutzt wurden. Namensgebend wurden die 18 in Hemmoor bei Cuxhaven gefundenen Eimer, heute gibt es etwa 150 solcher Objekte.

 

Die Beschreibung

Kaum etwas machen Archäologen lieber, als Objekte detailliert zu beschreiben. Manche Beschreibung liest sich wie die Produktanmeldung eines Patentanwaltes. Ein besonders dafür geeignetes Feld ist die Typologie der Fibeln. Dabei handelt es sich keineswegs um Schulhefte, gemeint sind Sicherheitsnadeln, die in vielen Kulturen eingesetzt wurden, um Kleidungsteile wie Mäntel zusammenzuhalten.

Die Zwiebelknopffibel, welch wunderbare Wortschöpfung, trugen römische Soldaten und hochrangige Beamte. Die prächtigen vergoldeten Exemplare wurden als besondere Auszeichnung verliehen. Und doch heißen sie nicht nach dieser Funktion, sondern nach drei zwiebelförmigen Knöpfen, die auf den Fibelkörper aufgesetzt wurden. Küchenassoziationen werden so geweckt. Auch Augen-, Schlangen-, Schnabel- oder Brillenfibeln wecken gleich die Vorstellungskraft.

Die Form von Keramiken gibt ganzen Kulturen in der Jungsteinzeit ihren Namen: Glockenbecherleute, Trichterbecherkultur, Schnur- oder Bandkeramiker. Die Menschen, deren Namen wir nicht kennen, fassen Archäologen gerne nach der von ihnen so beschriebenen Keramik zusammen. So kann es dann schnell passieren – ein Lieblingszitat während meiner Studentenzeit –, dass nicht die Menschen, sondern die Glockenbecher über die Alpen wandern.

 

Eine Inschrift

Für Archäologen ist es ein höchst seltener Fall: Ein Objekt trägt fast seriell einen Schriftzug. Bei uns im neuen Museum liegt ein seltsamer, im slawischen Burgwall Spandau gefundener Ring. Er trägt die Inschrift »Thebal gut guttani« – es handelt sich um eine Beschwörungsformel auf aramäisch, die dem Träger Gutes verspricht; solche Ringe wurden auch einem Bischof und sogar einem Kaiser mit ins Grab gegeben. Nach dem ersten Wort heißen sie Thebalringe. Unweit von dem Ring findet sich ein Schwert mit der Inschrift »Ulfberht«. Ulfberht war möglicherweise ein Schmied, der herausragende Schwertklingen schuf. Sein Name wurde in karolingischer Zeit zu einem Markenzeichen, das sicher auch manches Mal gefälscht wurde. Heute tragen alle Schwerter mit diesem Namenszug seinen Namen.

 

Die Systematik

Die assoziativen Namen, geleitet von Material, Form, Assoziationen oder bestimmt vom Fundort, haben schon bald für eine systematische Klassifizierung nicht ausgereicht. Schauen wir nur auf die vorhin genannten Hemmoorer Eimer. Einer der begeisterten Formenbeschreiber war der Archäologe Hans-Jürgen Eggers, der die 150 Eimer in gleich 15 Formen untergliederte, die heute so die nüchterne Bezeichnung Eggers Typ 52-66 tragen. Diese Art der Benennung hat im Fach bereits eine lange Tradition. Der schwedische Forscher Oscar Almgren veröffentlichte bereits 1897 sein Werk »Studien über nordeuropäische Fibelformen der ersten nachchristlichen Jahrhunderte mit Berücksichtigung der provinzialrömischen und südrussischen Formen«. Seitdem werden die Fibeln z. B. als Almgren Typ 22 bezeichnet, und die Typentafeln sind unersetzliche Arbeitsmittel. Gleiches gilt etwa für Reitzubehör, das nach den Formen, die Norbert Goßler erstellt hat, bezeichnet wird. Heute bildet die systematische Benennung die Basis für die Fundbestimmung in der Archäologie. Immer weiter kann diese Typisierung verfeinert, regional bearbeitet und besser chronologisch gefasst werden. Die große Arbeit ist jedoch geschehen. Umso bedeutender werden die Einzelfunde, die sprechende Namen tragen und die Vorstellungskraft der Menschen anregen.

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 10/2024.