Sämtliche Organismen haben eine den Linné‘schen Regeln gehorchende lateinische Bezeichnung, bestehend aus Gattungs-(Genus) und Artname (Epitheton). Daneben gibt es vielfach auch einen Trivialnamen. Wie aber ist es bei den einzelligen, in wässrigem Milieu lebenden Mikroorganismen? Gelten bei der Benennung von zellkernlosen (prokaryotischen) Bakterien und zellkernhaltigen (eukaryotischen) Protisten die gleichen Linné’schen Regeln wie bei allen anderen Lebewesen? Ja, sie gelten: Treponema pallidum heißt zum Beispiel der bakterielle Syphilis-Erreger und Paramecium caudatum das Pantoffeltier.

Eine wesentliche Besonderheit der meist deutlich unter einen Millimeter messenden einzelligen Organismen liegt darin, dass sie abgesehen von einigen Ausnahmen in der Regel nur mit optischen Hilfsmitteln (Lupe, Mikroskop) wahrgenommen werden können. Somit bleiben sie für den weitaus größten Teil der Menschen unsichtbar und damit unbekannt. Man weiß vielleicht, dass es sie gibt, hat aber kaum eine realistische Vorstellung davon, wie sie gestaltet sind, geschweige denn, wie viele es von ihnen auf unserem Planeten gibt. Nur zur Information: Es sollen derzeitig ca. 5.000 Bakterienarten bekannt sein, wobei man allerdings in Hochrechnungen von kaum vorstellbaren hunderttausenden Arten ausgeht. Auch bei den bislang rund 60.000 erfassten eukaryotischen Einzellern wird die reale Anzahl erheblich höher, nämlich auf weit über 100.000 eingeschätzt.

Die wissenschaftlichen Namen sollten eine Aussage über den entsprechenden Organismus machen. So wird die Wimpertiergattung Pantoffeltier unter Forschern Paramecium genannt. Die Bezeichnung leitet sich von griechisch paramekes = länglich ab. Es sind also längliche Wesen. Die vermutlich bekannteste Art trägt das Epitheton caudatum, abgeleitet von lateinisch caudatum = geschwänzt. Bei dieser Art finden sich am Hinterende schwanzartig verlängerte Wimpern. So bekommt man – die Kenntnis der griechischen und lateinischen Sprache vorausgesetzt – eine gewisse Vorstellung von diesem Einzeller. Der deutsche Trivialname Pantoffeltier umschreibt treffend die äußere Form.

Die Namensgebung kann aber auch komplexer sein wie beispielsweise bei den Trompetentieren. Der Gattungsname ist Stentor. Auf den ersten Blick dürfte nicht klar sein, warum die Gattung nach Stentor, einem in der Ilias erwähnten griechischen Kämpfer vor Troja, benannt wurde. Selbiger Held soll mit seiner ehernen Stimme so laut wie 50 Männer zu rufen in der Lage gewesen sein. Kein Protist kann laut rufen oder irgendwelche vom Menschen vernehmbare Lautäußerungen von sich geben. Die gewaltige Stimme muss aber bei der Namensgebung auch nicht ausschlaggebend gewesen sein; möglicherweise waren es die zu einem Schalltrichter vor dem Mund zusammengelegten Hände, wodurch besagter Stentor seine Stimme noch zusätzlich verstärkt haben könnte.

Der Trivialname Trompetentier ist nachvollziehbar, sobald man einen Vertreter dieser Gattung zu Gesicht bekommen hat. Er hat nämlich gewisse Ähnlichkeiten mit der Tonaustrittsöffnung einer Trompete. Will man den alternativen, ehemals verwendeten und eigentlich treffenderen Trivialnamen Schalmeientierchen verstehen, ist es nützlich, sich bei historischen Musikinstrumenten auszukennen. Denn eine Schalmei ist ein klappenloses, längliches Holzblasinstrument, das an seinem Vorderende wie eine Trompete gestaltet ist.

Das für eine bestimmte Stentor-Art geprägte Epitheton coeruleus, abgeleitet von lateinisch coeruleus = blau, hingegen ist leicht nachzuvollziehen. Denn diese Stentor-Art ist durch eingelagerte Pigmente bläulich gefärbt.

Problematisch sind die Trivialnamen für Einzeller insofern, als dass einige treffend, andere hingegen unverständlich sind. Wenn man bei »Große Wimperkugel« noch eine gewisse Vorstellung vom Aussehen des betreffenden Organismus vermittelt bekommt, wird es bei »Falltürinfusor« und »Verschiedenborstiges Vierersternchen« doch etwas mühsam. Das mag eine mehr oder minder gelungene Übersetzung des wissenschaftlichen Namens sein. Aber man sollte es doch besser bei den altsprachlichen Bezeichnungen Volvox globator, Thuricola folliculata und Tetrastrum heteracanthum belassen.

Es finden sich allerdings auch Gattungs- und Artnamen, die keine Aussage über den entsprechenden Organismus machen, so zum Beispiel Pyramimonas moestrupii, eine einzellige Geißeltierart, benannt nach dem dänischen Phykologen Øjvind Moestrup, oder die Gattung Lynnella, benannt nach dem kanadischen Wimpertierforscher Denis Lynn. Derartige Namen finden sich in allen Organismengruppen. Sie werden von Fachkollegen in Anerkennung der Arbeiten eines entsprechenden Kollegen vergeben.

Schließlich gibt es aber auch Namensgebungen, die selbst bei gutem Willen nicht nachvollziehbar und erst recht nicht erträglich, eigentlich nur ärgerlich sind. So ist eine Geißeltiergattung deshalb Cafeteria genannt worden, weil die Artbenenner laut eigener Aussage in einer Cafeteria sitzend über die Namensgebung für eine neu entdeckte Art nachgedacht und die Bezeichnung ihres aktuellen Aufenthaltsorts als Anregung aufgriffen haben. Wer soll das in weiterer Zukunft nachvollziehen können?

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 10/2024.