Was wir nicht benennen, verschwindet. Kulturelle Leistungen in ihren Materialisierungen benennen und erkennbar machen – dafür gibt es in der Denkmalpflege ein eigenes Arbeitsgebiet: die wissenschaftliche Inventarisation. Neben der Erhaltung von Denkmalen ist es gesetzlicher Auftrag der Denkmalpflege, Denkmale zu erforschen und das Wissen über sie zu verbreiten. Dem Handeln am Denkmal vorgeschaltet ist ein erkenntnisgeleiteter wissenschaftlicher Prozess, die Erfassung (Inventarisation), d. h. Objekte, »die aus sich selbst heraus nicht als Denkmale existieren und verstehbar sind, durch Beschreibung, Interpretation und Erläuterung als Denkmale überhaupt zu erkennen und zu bewerten, um sie als solche vermitteln zu können. (…) Die aus der wissenschaftlichen Erfassung gewonnenen Erkenntnisse führen zur Feststellung der Denkmaleigenschaft.« (Kommentar DSchG, 2008, S. 145). Die Darstellung von Denkmalbedeutung braucht Vergleichsanstrengungen, Unterscheidung, Einordnung und Expertise. Argumentative Begründungsarbeit ist Benennungsarbeit. Für das Benennen von Denkmalen setzt das Berliner Denkmalschutzgesetz einen weitsichtigen, einheitsstiftenden und stabilisierenden Rahmen. Grundübereinkunft ist, dass Geschichte und Erkenntnisse über Denkmale entwicklungsoffen sind. Denkmal ist ein Objekt, dessen Erhaltung wegen geschichtlicher, künstlerischer, wissenschaftlicher oder städtebaulicher Bedeutung im Interesse der Allgemeinheit liegt. Diese Kriterien und der offene Rechtsbegriff sind individuell bezogen auf ein Objekt wertausfüllungsbedürftig durch denkmalkundliches Begründen und Benennen. Denkmalkunde bringt Denkmale hervor im Zirkel von Wissenschaft und Gesellschaft. In diesem wohlverstandenen Sinne ist das »Benennen« von Denkmalen ein hohes Gut, das gesetzlich garantiert wird. Was für die Allgemeinheit erhalten werden soll, muss gut begründet sein. Objektivierend wirken hierbei sowohl quellenkritische wissenschaftliche Methoden als auch gesetzliche Kriterien. Das schützt die Benennungspraxis vor interessengeleiteter Vereinnahmung.

Ist das Verzeichnen seit jeher soziale Praxis eines Gemeinwesens, fungieren Listen als Instrumente des Benennens. Sie dienen der Wissensbildung, weil sie Objektwissen durch die Zeit zu tragen vermögen. Listen sind unter anderem überblicksgebend, wissensspeichernd und distanzmedial wirksam. Eine komplexe Form der Liste ist die Denkmalliste. In ihr sind nicht nur reale Objekte und dahinterstehendes Wissen repräsentiert, sondern auch Zusammenhänge von Objekten (Denkmalbereiche). Als Instrument mit nachrichtlichem Rechtscharakter und als standardisiertes Wissenstool leistet die Denkmalliste Orientierung und Einstieg zu weiteren Quellen. Über das gesetzliche Erfordernis ihrer Veröffentlichung hinaus bietet das Landesdenkmalamt Berlin mit »Liste – Karte – Datenbank« im Internet kulturell wirksame Medien und mehrdimensionale digitale Zugänge zu den Berliner Denkmalen.

Digitalität richtet den Blick wiederum auf das Benennen. Durch exponentielles Wachstum synthetischer Daten steigt der Wert einer wichtigen Ressource, der kuratiert gewachsenen, strukturell aufbereiteten, quellenkritisch geprüften, qualitätsgesicherten und öffentlich zugänglichen Daten. Dazu gehören nach einheitlichen Kriterien fortgeschriebene gelistete Dinge wie Denkmale in Denkmallisten. Digitalisierung ermöglicht, dass alles konsistent Benannte auf vielfältige Weise modellierbar wird. Was wir nicht modellieren können, verschwindet. Aber: So wie die Überlieferung lebt auch Digitalität von einer Leistung, die sie selbst nicht mitbringt und die koordinierendes Denken, Beschreibungs- und Verstehensleistung sowie hermeneutische Interpretation voraussetzt: Benennung. Obwohl wir Denkmale mit ihren besonderen Materialien auch mit Händen greifen können, sind sie ohne Begriffe nicht vollumfänglich begreiflich. Digitalität hilft – und das ist nur scheinbar paradox –, Denkmale »dingfest« und »begreifbar« zu machen. Deshalb sind digital-informatische Methoden der Digital Humanities ein wichtiges komplementäres Potenzial im Prozess der Aufbereitung, Repräsentation und Vermittlung von Denkmalwissen. Gesammeltes Wissen zum Denkmalbestand wird im Landesdenkmalamt erschlossen, aufbereitet und zugänglich gemacht. Der Ausbau des operativen Zugangs zu Inhalten wird vorangetrieben durch systematische Pflege von Strukturdaten, durch Thesaurierung und das Implementieren von Normdaten, also das Bezeichnen nach geprüften Standards. Ausdauernde Bezeichnungsarbeit wird qualitätvolle neue Angebote korrelationsbezogener Wissensdarstellung möglich machen, zum Beispiel unterschiedlichste sachthematische Zugänge.

Beschreiben und Benennen als Verfahren bleiben essenziell für neue Erkenntnisse, für Verstehen, Transparenz, Vernetzung, interdisziplinäre Synergien, Mehrung von Wissen und Bildung. Vergegenwärtigung braucht Bezeichnungskraft, Benennen braucht begriffliche Klarheit. Eine Investition in die Arbeit an den denkmalkundlichen Wissensgrundlagen sichert nicht nur für die Zukunft die Fachlichkeit der Denkmalpflege, sondern ein fundiert informiertes und glaubwürdiges gemeinsames Handeln am Denkmal.

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 10/2024.