Et kütt, wie et kütt! Mir san mir! Eiforbibbsch! Moin, moin! Es isch, wies isch! Allet jut! – Dialekte gehören zu unserer Kultur. 2016 beschied die Deutsche UNESCO-Kommission, dass die »Regionale Vielfalt der Mundarttheater in Deutschland« in das Bundesweite Verzeichnis des Immateriellen Kulturerbes aufgenommen wird. Mundarttheater leben von der Ausdruckskraft der Dialekte, die jahrhundertelang als Muttersprachen erworben, nun jedoch nicht selten auf Theaterbühnen am Leben erhalten werden. Das Interesse an den Dialekten ist groß, aber wenn es um den eigenen Nachwuchs geht, hat die Erziehung in der Standardsprache die Nase vorn.  

Dialekt ist im Süden beliebter als im Norden. Die Dialektkompetenz der Deutschen ist unterschiedlich ausgeprägt, sie reicht von der aktiven Beherrschung eines (Orts-)Dialekts oder einer überregionalen Umgangssprache bis hin zur mehr oder weniger ausgeprägten Fähigkeit, Dialekte zu verstehen. Manchmal sind es nur Signalwörter, die bekannt sind und der fortgeschrittenen Folklorisierung von Dialekten auch zu kommerziellen Zwecken Tür und Tor öffnet: der Kölner »Jeck«, der Frankfurter »Äppelwoi«, der sächsische »Bliemchengaffee«. Dialekte haben zwar eine Sprachnorm, denn Dialektsprechende wissen in der Regel, was in einem bestimmten Dialekt richtig ist und was nicht, jedoch führt ein Verstoß gegen Normen eines Dialekts zu keinerlei Sanktionen im Gegensatz zur Nichtbeherrschung der Regeln der deutschen Standardsprache. 

Dialekte sind keine verdorbene oder falsche Standardsprache, sie sind der Standardsprache nicht unterlegen. Historisch gesehen gäbe es keine Standardsprache ohne Dialekte. Die heutigen deutschsprachigen Dialekte gehen auf die Sprachen verschiedener germanischer Stämme zurück, die als Stammessprachen die Grundlage des heutigen Deutsch bildeten. Dialekte sind die ursprünglichen Sprachen, die sich natürlich, d. h. ohne normierende Eingriffe von Sprachpflegern, entwickelt haben. Durch Sprachwandel auf allen Ebenen, auf der Ebene der Laute, der Wortformen, des Satzes, der Bedeutungen von Wörtern, sind sie zu dem geworden, was sie heute sind. Für die Klassifizierung von Dialekten ist die Beobachtung des Lautwandels zentral, der sich in den einzelnen Dialekten in unterschiedlichen Graden und Formen bemerkbar gemacht hat. Unsere heutigen Dialektgrenzen werden größtenteils durch Unterschiede in der regionalen Verbreitung zentraler lautlicher Phänomene bestimmt.  

Dialekte sind aber auch durch Sprachkontakte oder besser: Dialektkontake geprägt. So gibt es z. B. bairisch-schwäbische Interferenzgebiete am Lech in Bayern, die dadurch ausgewiesen sind, Merkmale beider Dialekte aufzuweisen. Im Berlinischen haben die französischen Hugenotten Einfluss auf den Dialekt genommen. Es gibt Dialektmerkmale, die sich kleinräumig unterscheiden und großräumigere. Manchmal unterscheidet sich der Dialekt in Nuancen von Dorf zu Dorf oder sogar von einem Ortsteil zum nächsten. Aus historischen Quellen sind Schreibdialekte auf uns gekommen, die uns oft die einzige Möglichkeit geben, die gesprochenen Dialekte der früheren Zeiten zu rekonstruieren. Die heutige Schriftsprache des Deutschen ist durch einen Sprachausgleich aus großräumigen Schreibsprachen entstanden, die aus den Dialekträumen des Südostens Deutschlands und Ostmitteldeutschlands stammten.  

Die Auseinandersetzung mit der Verschiedenheit der Dialekte nimmt seit dem 17. Jahrhundert deutlich zu. Johann Andreas Schmellers Bayerisches Wörterbuch, das in erster Auflage zwischen 1827 und 1837 erschien, bildete einen ersten Meilenstein in der Dialektforschung. Die dialektale Erfassung aller Dialekte des gesamten deutschen Reichs begann um 1880 mit Georg Wenker, der 40 von ihm verfasste Sätze an Dorfschullehrer verschickte mit der Bitte, diese in den jeweiligen Ortsdialekt zu übersetzen. Die Wenkersätze entsprechen der Lebenswelt der Zeit und klingen teilweise etwas veraltet, so etwa Satz 3: »Thu Kohlen in den Ofen, daßdie Milch bald an zu kochen fängt.« Oder Satz 4: »Der gute alte Mann ist mit dem Pferde durch’s Eis gebrochen und in das kalte Wasser gefallen.«  

Diese Erhebungen bildeten den Ausgangspunkt der Arbeiten zum »Deutschen Sprachatlas« und »Deutschen Wortatlas«. Dialektforschung beruht auf Erhebungen an der Basis. Während in älterer Zeit Fragebogen an die jeweiligen Ortschaften versandt wurden, kamen ab der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts verstärkt Tonaufnahmen hinzu, die von Exploratorenteams direkt vor Ort mit meist älteren Gewährspersonen der Ortsdialekte aufgenommen wurden. Bei der Erhebung der Dialekte stehen die bäuerliche Lebenswelt, Flora und Fauna, gesellschaftliches Leben und ländliches Brauchtum im Fokus. Oft ist der Wortschatz zum Ausdruck von Emotionen in Kosenamen und Schimpfwörtern eine besondere Domäne des Dialekts. Für die meisten Sprachregionen existieren bereits Dialektwörterbücher, die über lange Zeiträume hinweg an Universitäten oder Akademien erarbeitet werden; eine Reihe davon sind im Entstehen. Neue Formen der Präsentation des Dialektwortschatzes bieten Onlineplattformen. Am Forschungszentrum in Marburg werden derzeit handgezeichnete Karten des »Deutschen Sprachatlas« modern aufbereitet und im Internet präsentiert. In Bayern ist gegenwärtig die Plattform »BDO« – Bayerns Dialekte online – im Aufbau. Der interessierten Bevölkerung und der Fachwelt werden unterschiedliche Zugriffe auf das Dialektmaterial geboten. Durch moderne Methoden wie die Georeferenzierung ist der dialektale Wortschatz auf Karten abbild- und mit anderen georeferenzierten Daten, z. B. Bild- und Tondokumenten, kombinierbar. Digital aufbereiteten Dialektdaten, die für systematische statistische Auswertungen und die Mustererkennung zugänglich sind, gehört die Zukunft. 

Die Dialekte unterscheiden sich im Grad ihrer Beliebtheit. In den Hitlisten nimmt das Bairische häufig vordere Ränge ein, das Schwäbische oder Sächsische eher hintere. Selbstverständlich sind derartige Bewertungen von verschiedenen Faktoren abhängig – wer wird z. B. gefragt? Nicht alle Sprechenden verhalten sich loyal gegenüber ihrem Dialekt. Während die Sprachloyalität im Bairischen besonders hoch ist, ist die Sprachloyalität im Norden Deutschlands gegenüber dem Niederdeutschen eher gering. Dabei ist das Niederdeutsche historisch gesehen eine eigene Sprache und kein Dialekt des Hochdeutschen. 

Deutschland ist ein Land der Dialekte. Der deutsche Nationalstaat entstand anders als in Frankreich relativ spät. Bis heute ist Deutschland eine Republik mit föderaler Struktur, und die Kulturhoheit liegt bei den Ländern. Die politischen Strukturen in Deutschland begünstigen im Grunde eine Stärkung der Regionen und damit der sprachlichen Vielfalt. Deutschland zeigt eher Parallelen zu Italien, das ebenfalls vergleichsweise spät eine nationale Einigung erfahren hat. Eine Académie française, die in Frankreich über die Einheit der französischen Sprache wacht, ist in Deutschland jedenfalls undenkbar. In Deutschland lebt die sprachliche Vielfalt! – Und damit auch der Dialekt?

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 2/2024.