Lange Jahre galten insbesondere die Kulturbereiche des öffentlichen Dienstes innerhalb der Branche als Musterbeispiele für fest verankerte Mitbestimmungsstrukturen. Diese gewährleisteten meistens ein funktionierendes Meldewesen für die Anliegen aller Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Fast alle staatlichen Kultureinrichtungen in Deutschland verfügen traditionell über Personalrätinnen und Personalräte, gewählt nach dem jeweiligen länderspezifischen Personalvertretungsgesetz. Viele Gremienmitglieder wurden von der gewerkschaftlichen Bildungseinrichtung »ver.di b&b« für ihre Funktion als Mitarbeitervertreterinnen und -vertreter ausgebildet. Die Gewerkschaften unterstützen vor Ort die Mitbestimmungsgremien bei kniffligen und problematischen Situationen in vielen Häusern. Die Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft ver.di bietet in ihrem bundesweiten Bildungsprogramm Seminare mit Bildungsfreistellung zu Themen wie Diskriminierung und Mobbing für ihre Mitglieder an. In vielen Kultureinrichtungen des öffentlichen Dienstes organisieren sich die Gewerkschaftsmitglieder in ver.di-Betriebsgruppen, in denen eine innerbetriebliche Vernetzung und gegenseitige Unterstützung bei betrieblichen Problemen und problematischen Vorfällen gewährleistet werden soll.

Dennoch häuften sich in den letzten Jahren Fälle, bei denen bei Diskriminierungen und sexuellen Übergriffen am Arbeitsplatz nicht die Personalrätinnen und Personalräte die ersten Ansprechpartner für die Betroffenen waren. Oftmals wurde bei aktuellen Vorfällen im Kulturbereich der Weg einer außerbetrieblichen Beratungsstelle gewählt. Dies deutet darauf hin, dass die Meldestrukturen und Ansprechpersonen im Betrieb nicht bekannt sind oder als nicht vertrauenswürdig oder unwirksam eingeschätzt werden. Wird die Meldung jedoch nur an externe Einrichtungen übermittelt, besteht die Gefahr, dass die diskriminierungsbegünstigenden Rahmenbedingungen im Betrieb unangetastet bleiben. Teilweise wechseln Betroffene den Arbeitsort, diskriminierende und gewaltausübende Personen und Strukturen bleiben.

Für gewählte Mitarbeitervertretungen stellt sich die Frage, wie innerbetriebliche Unterstützungsstrukturen gestaltet werden, die von den Beschäftigten angenommen werden. Wichtig ist, dass Fälle von Belästigung und Gewalt nicht nur akut aufgearbeitet werden, sondern es transparente Strukturen und Handlungsschritte gibt. Diese können in betrieblichen Vereinbarungen verbindlich festgehalten werden. Sabine Oertelt-Prigione und Sabine Jenner haben in einer Studie für die Hans Böckler Stiftung 120 Betriebs- und Dienstvereinbarungen gegen sexuelle Belästigung ausgewertet. Ihre Einschätzung: Zu einer betrieblichen Vereinbarung gehört eine präzise Definition von sexueller Belästigung, die Autorinnen empfehlen die Definition des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes zu übernehmen. Darüber hinaus soll die Vorbildfunktion von Vorgesetzten und ihre Verantwortung, bei Bedarf aktiv einzuschreiten, festgehalten werden. Konsequenzen bei Pflichtverletzungen von Vorgesetzten sollten ergänzend geregelt werden. Auch Verhaltenskodizes für alle Arbeitnehmer, die Fehlverhalten mitbekommen, sollen enthalten sein. Ein transparentes und strukturiertes Meldeverfahren halten die Autorinnen für unabdingbar, inklusive Benennung konkreter Ansprechpersonen. Die Entscheidung, ob ein förmliches Beschwerdeverfahren eingeleitet wird, sollen die Betroffenen fällen. Bei der Einleitung eines Verfahrens sind klare Regeln und Sanktionsmöglichkeit empfehlenswert.

Doch Papier ist geduldig, Betriebs- und Dienstvereinbarung sind nur wirksam, wenn sie von Arbeitnehmerinnen und -nehmern, Mitbestimmungsorgangen und Vorgesetzten gelebt werden. Um in akuten Fällen von Diskriminierung, Machtmissbrauch und sexueller Belästigung für Beschäftigte ansprechbar zu sein, ist es notwendig, dass alle Beteiligten zu den Themen weitergebildet werden und sich mit ihrer jeweiligen Rolle und Verantwortung auseinandersetzen. Auch die hierarchischen Strukturen in den Institutionen sollten grundlegend hinterfragt und aufgebrochen werden.

Um Personalrätinnen und -räte bei der Herausforderung der praktischen Umsetzung von Dienstvereinbarungen und Meldestrukturen im Bereich Diskriminierungs- und Gewaltschutz zu unterstützen, hat ver.di im Landesbezirk Berlin-Brandenburg ein Pilotprojekt in Kooperation mit »Diversity Arts Culture« gestartet.

Die Teilnehmenden waren Personalräte und -rätinnen aus Museen, Bibliotheken, Gedenk- und Bildungsstätten sowie Theaterbühnen und Konzerthäusern. Die ersten Erfahrungen aus diesen Seminaren zeigen, dass im Kulturbereich Menschen mit unterschiedlichen und internationalen Hintergründen aufeinandertreffen. Dies führt zu einer Vielschichtigkeit von möglichen Diskriminierungsformen. Diese zu erkennen und einzuordnen ist für viele eine große Herausforderung. Um dieser gerecht zu werden, sind Weiterbildung und Austausch elementar.

Perspektivisch werden Trainings auch bundesweit von ver.di angeboten. Ziel ist es, ein nachhaltiges Angebot für die speziellen Herausforderungen im Kunst- und Kulturbereich für Betriebs- und Personalräte zu schaffen.

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 3/2024.