Die Zukunft der Kultur liegt in den Händen des künstlerischen Nachwuchses. Die Ausbildung an den Kunst- und Musikhochschulen spielt dabei eine entscheidende Rolle. Denn künstlerische Karrieren beginnen bereits während des Studiums, und Studierende sollten in der Ausbildung darauf vorbereitet werden, was zukünftig zu den Standards in Kulturorganisationen gehören wird.

Einige Hochschulen haben bereits Werte- und Verhaltenskodizes mit konkreten Regeln für ein respektvolles Miteinander. Ideal wäre, wenn jede Kunst- und Musikhochschule ihren eigenen Code of Conduct partizipativ entwickelt. In diesem Prozess sollten Fragen diskutiert werden wie z. B. wer wen unter welchen Voraussetzungen duzen oder siezen oder anfassen darf und wie Intimität und starke Gefühle auf der Bühne dargestellt und sensibel geprobt werden können. Dabei müssen kulturelle Gepflogenheiten in verschiedenen Ländern berücksichtigt werden, denn Künstlerinnen und Künstler sind global unterwegs und vernetzt.

Im Unterrichts- und Probenalltag finden zahlreiche nonverbale und verbale Grenzüberschreitungen durch Personen in Machtpositionen unter dem Deckmantel der Kunst statt. Es können auf den ersten Blick harmlos anmutende Missverständnisse sein, die in der Summe Studierende sehr belasten, sie blockieren und im schlimmsten Fall zum Studienabbruch führen. Wichtig ist auch ein Austausch über mehr Werke von Künstlerinnen und wie verhindert wird, dass überholte Geschlechterrollen oder rassistische Stereotype mit einer Darstellungsform ein weiteres Mal reproduziert werden. Bereits während des Studiums kann das Fundament für grundlegende Fähigkeiten gelegt werden, um übergriffiges Verhalten zu erkennen, anzuzeigen und vorzubeugen. Verbindliche Vereinbarungen in einem Code of Conduct können allen helfen: Sie schützen Studierende vor Machtmissbrauch und sexualisierter Gewalt und können Lehrende vor unangemessenen Reaktionen, Gerüchten, falschem Verdacht und übler Nachrede bewahren.

Die Bundeskonferenz der Frauen- und Gleichstellungsbeauftragten an Hochschulen (bukof) hat 2023 »Handlungsempfehlungen zum Umgang mit sexualisierter Diskriminierung und Gewalt an Kunst- und Musikhochschulen« verabschiedet. Darin fordert sie die Rektorenkonferenz der deutschen Musikhochschulen (RKM) und Kunsthochschulen (RKK) auf, die vielfältigen Maßnahmen an den insgesamt 51 staatlichen künstlerischen Hochschulen zu bündeln. Um langfristig in den Kultur- und Musikbereich hineinzuwirken, sollten Synergien genutzt werden.

Die Empfehlungen betonen die spezifischen Merkmale des künstlerischen Studiums wie Emotionalität als Ausdrucksmittel, Einzelunterricht, gelegentlich situationsbedingter Körperkontakt beim Musizieren, Tanzen, Schauspielen usw. Sie heben den harten Konkurrenzdruck und die große persönliche Abhängigkeit der Studierenden von Lehrenden hervor. Diese tragen die Verantwortung dafür, dass die Studierenden mit Freude und Hingabe lernen und ihre Talente angstfrei entfalten können.

Auch die Studierendenvertretungen von vielen Musikhochschulen in Deutschland, Österreich und der Schweiz haben Ende 2023 »Forderungen zur Prävention und Intervention von übergriffigem, unangemessenem und missbräuchlichem Verhalten« veröffentlicht. Die ASten betonen, dass verpflichtende Evaluation des Einzelunterrichts wichtig ist, um Übergriffe frühzeitig zu erkennen. Die kulturell und sprachlich vielfältige Studierendenschaft soll gestärkt werden durch niedrigschwellige Beratungsangebote. Ein Dilemma ist, dass die Hochschulen für Professuren »exzellente künstlerische Persönlichkeiten mit internationalem Renommee« suchen. Der Wechsel in der Musik oder den Darstellenden Künsten von der Bühne in den Unterricht erfordert ein besonderes Maß an Professionalität, Selbstreflexion und Rollenklarheit der Lehrenden. Lehrende müssen in regelmäßigen Fortbildungen die eigene Machtposition reflektieren und lernen, mit Studierenden aus aller Welt professionell Gespräche zu führen über Themen wie deren Körper, das Darstellen von intimen, erotischen und gewaltvollen Szenen, über sachdienliches Anfassen im Unterricht und die Emotionen, die durch die eigene Kunst ausgelöst werden bzw. ausgedrückt werden sollen. Lehrende sollen reflektiert damit umgehen können, wenn ihnen signalisiert wird, dass sie selbst eine körperliche oder seelische Grenze überschritten haben. Bei Stellenbesetzungsverfahren sollten solche Weiterbildungen zukünftig positiv gewichtet werden. Um dies national und international zu gewährleisten, müssen sie für alle Lehrenden verpflichtend werden, wie z. B. in Großbritannien.

Insgesamt bilden die Handlungsempfehlungen der bukof und die Forderungen der Studierenden eine gute Grundlage für ein umfassendes Schutzkonzept. Die Chancen der engen Verzahnung des Studiums mit der Kunst- und Kulturbranche sollten genutzt werden.

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Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 3/2024.