Viele künstlerische Arbeitsprozesse sind verbunden mit körperlicher Nähe und der Darstellung von Emotionen – auch in der Ausbildung an Musik- und Kunsthochschulen. Entsprechend aktiv setzen sich die Hochschulen mit der Prävention von und Reaktion auf sexualisierte Gewalt auseinander.

Die staatlichen Kunst- und Musikhochschulen haben entsprechende Richtlinien erarbeitet und verabschiedet. In drei Interviews geben der Vorsitzende der Rektorenkonferenz der deutschen Musikhochschulen, Christian Fischer, der erste Sprecher der Ausbildungskonferenz Tanz, David Russo, und der Sprecher der Rektorenkonferenz der deutschen Kunsthochschulen, Arne Zerbst, Auskunft über die Debatten in den jeweiligen Rektorenkonferenzen und Fachzusammenschlüssen sowie die Umsetzung an den Hochschulen.

 

Theresa Brüheim: Herr Fischer, wie gehen Musikhochschulen, Stand Januar 2024, mit dem Thema sexualisierte Gewalt um?

Christian Fischer: Das Thema beschäftigt uns immer wieder. Durch die Entwicklungen der letzten zehn Jahren, vor allem durch die MeToo-Bewegung, ist es zum Glück einfacher geworden, über sexualisierte Gewalt zu sprechen und sich gezielt damit auseinanderzusetzen. Die deutschen Musikhochschulen, die in der Rektorenkonferenz der deutschen Musikhochschulen (RKM) organisiert sind, haben im letzten Jahr ihre Antidiskriminierungs-Arbeitsgruppe wieder eingesetzt, in der Rektorinnen und Rektoren, Kanzlerinnen und Kanzler sowie Gleichstellungsbeauftragte mitarbeiten. Diese AG setzt sich aktuell mit Forderungspapieren und Empfehlungen auseinander, die im letzten Jahr veröffentlicht wurden. Eines davon ist z. B. das Papier der Bundeskonferenz der Frauen- und Gleichstellungsbeauftragten an Hochschulen (bukof), das im Frühjahr 2023 erschienen ist und Handlungsempfehlungen enthält.

Ein anderes stammt vom Dachverband der europäischen Musikhochschulen AEC, bei dem sich eine AG über mehrere Jahre – unter deutscher Beteiligung – sehr differenziert mit dem Thema Machtmissbrauch auseinandergesetzt hat. Mit deren im Herbst vorgelegten Empfehlungspapier beschäftigen sich nun die deutschen Musikhochschulen und die RKM-AG ebenfalls intensiver. Und kurz vor Weihnachten haben die Hochschulleitungen aller deutschsprachigen Musikhochschulen, also inklusive Österreich und Schweiz, ein umfangreiches Forderungspapier einer studentischen Initiative erreicht, das von fast allen Studierendenvertretungen dieser Musikhochschulen unterzeichnet wurde.

All diese Papiere sind Ausgangspunkte für ein eigenes Positionspapier der RKM zu dieser Thematik, das voraussichtlich Ende Februar erscheinen wird. Wir wollen darin aufzeigen, wo die RKM aktuell steht und was sie ihren Mitgliedshochschulen empfiehlt.

Natürlich muss sich jede Musikhochschule selbst und proaktiv mit der Thematik auseinandersetzen. An allen Musikhochschulen gibt es inzwischen Kodizes zum Umgang mit Diskriminierung, insbesondere mit sexueller Diskriminierung und sexualisierter Gewalt, sowie Empfehlungen für fairen und respektvollen Umgang miteinander. Es gibt interne und externe Beratungsstellen, studentische Awareness-Gruppen sowie an mehreren Musikhochschulen aufklärende Broschüren oder Handbücher. Außerdem finden Aktions- oder Awareness-Tage regelmäßig an vielen Hochschulen statt. Sie sehen, die deutschen Musikhochschulen setzen sich intensiv mit dem Thema auseinander.

 

Lassen Sie uns vom ersten Überblick zum Konkreten kommen. Wie gehen Sie an der Musikhochschule in Trossingen mit dem Thema um?

Seit vielen Jahren gibt es einen Kodex für ein faires Miteinander, an dem wir immer wieder arbeiten. Darin finden auch der Umgang mit Fällen sexueller Diskriminierung bzw. die Prävention Platz. Wir haben außerdem ein aktives Gleichstellungsteam, das diese Thematik mit betreut. Seit etwa einem Jahr hat sich auch ein studentisches Awareness-Team gegründet, das im Wechsel mit Rektorat und Gleichstellungsteam zweimal jährlich einen Awareness- oder Hochschul-Tag zu diesem oder anverwandten Themen durchführt. Wir versuchen, unsere Strukturen des Beschwerdemanagements zu verbessern. Wir haben neben einer Vertrauensanwältin auf Landesebene eine unabhängige externe Ombudsperson, die für geschützte Beratungen zur Verfügung steht. Außerdem haben wir eine allgemeine Antidiskriminierungsbeauftragte sowie einen Beauftragten für Fälle von sexueller Diskriminierung bei Männern und selbiges auch für Frauen. Die Kolleginnen und Kollegen führen in der Regel eine Erstberatung durch. Bei schwerwiegenden Fällen leiten sie weiter. Dann gibt es einen Ordnungsausschuss, der sich rechtlich wirksamen Fällen annimmt und erwägt, in welcher Art und Weise man disziplinarisch tätig werden kann.

 

Sie erwähnten, dass Ende Februar ein Positionspapier der RKM erscheinen wird. Können Sie vorab einen Einblick geben, was es konkret umfassen wird?

Es wird beginnend die Ausgangslage in den Musikhochschulen beschrieben, ferner welche Maßnahmen in den letzten Jahren bereits entwickelt wurden und wie der derzeitige Diskussionsstand ist. Bei den aktuellen Aufgaben der Musikhochschulen wird neben der Einforderung der konsequenten Umsetzung der entstandenen Kodizes auch angeführt, unter welchen Voraussetzungen empirische Untersuchungen zu dieser Thematik Sinn machen können. Insbesondere wird eine fortgesetzte Reflexion des Lehrverständnisses und des Künstlerbildes sowie daraus folgend ein Wandel des Selbstverständnisses bzw. Rollenbildes der Lehrenden an Musikhochschulen angemahnt. Dieses spielt an Musikhochschulen eine zentrale Rolle. Denn bei uns gibt es überwiegend Einzelunterricht, bei dem es natürlich viel um eine gute Balance zwischen Vertrauen, Nähe und Distanz geht, der aber eben auch ein Exzellenzmerkmal der Musikhochschulen darstellt, welches wir nicht einfach präventiv abschaffen können und wollen. Auch ein Generalverdacht ist da unangebracht. Vielmehr gilt es hier entsprechend zu sensibilisieren. Dazu gehört auch das Bemühen um eine moderne Lehrdidaktik, die das klassische engere »Meister-Schüler«-Rollenverständnis, bei dem zumeist eine starke emotionale Bindung entsteht, in Richtung eines reflektierteren Selbstverständnisses von Lehre und Lehrenden weiterentwickelt. Das ist herausfordernd, da Emotionen und Körperlichkeit immanente Bestandteile des künstlerischen Arbeitsprozesses sind. Hier gilt es, weiter Lehrende wie Studierende zu sensibilisieren und Empfehlungen umzusetzen, wie z. B. Intimitätskoordinatoren im Bereich des darstellenden Unterrichts zu implementieren.

Solche Empfehlungen, differenziert zu den drei Schwerpunktthemen Machtmissbrauch, Diskriminierung und sexualisierte Gewalt, bilden den Kern unseres Papiers.

 

An der Musikhochschule Trossingen und in der RKM adressieren Sie den Umgang mit sexualisierter Gewalt und vor allem ihre Prävention. Was geben Sie den Studierenden beim Einstieg in den Arbeitsmarkt Kultur mit? Wie können die Musikhochschulen vorbereitend helfen?

Sowohl im freien Markt als auch in Anstellungsverhältnissen sind Sensibilisierungsmaßnahmen oder Selbstverpflichtungserklärungen der Einrichtungen vonnöten. Im Rahmen des Studiums und insbesondere in berufsvorbereitenden Ergänzungsangeboten können und wollen wir als Musikhochschulen unsere Studierenden sensibilisieren und empowern. Die Studierenden sind natürlich sehr unterschiedlich – auch zwischen den Studiengängen gibt es große Unterschiede. Lehramtsstudierende sind in der Regel woke und aktiv. Es studieren an unseren Musikhochschulen auch viele Menschen aus anderen Kulturräumen, bei denen es zum Teil unüblich ist, Grenzüberschreitungen eines Lehrenden oder Vorgesetzten zu thematisieren. Hier arbeiten wir weiter daran, durch Ansprache in der jeweiligen Landessprache und durch Angebote zu unterstützen.

Vielen Dank.

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 3/2024.