Wie geht der MDR mit dem Thema sexualisierte Gewalt um?

Cornelia Fach-Petersen: Die Themen Konfliktbewältigung und Schutz vor sexueller Belästigung am Arbeitsplatz werden im MDR seit Langem für wichtig erachtet. Bereits die Dienstvereinbarung zur Konfliktbewältigung im MDR, die 2005 verabschiedet wurde, enthielt konkrete Vorgaben für den Umgang mit Konflikten und Fällen sexueller Belästigung und Gewalt. Wegen der besonderen Anforderungen an den Umgang mit sexuellen Übergriffen unter Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern hat der MDR im März 2022 eine gesonderte Dienstvereinbarung zum Schutz vor sexueller Belästigung am Arbeitsplatz eingeführt. Diese gilt ergänzend zu dem seit 2006 in Kraft getretenen Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG), das allen Arbeitgebern unabhängig von ihrer Betriebsgröße Pflichten zum Schutz ihrer Mitarbeitenden vor Benachteiligungen aus Gründen der Rasse oder wegen der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion der Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität auferlegt.

Aus Sicht des MDR stellen sexuelle Übergriffe und Belästigungen eine erhebliche Beeinträchtigung und Verletzung der Menschenwürde dar, die unter keinen Umständen geduldet werden (Nulltoleranzhaltung).

 

Welche Maßnahmen unternimmt der MDR gegen sexualisierte Gewalt?

Die vorgenannte Dienstvereinbarung ermutigt Betroffene ausdrücklich, Vorkommnisse sexueller Belästigung und Gewalt nicht hinzunehmen, sondern aktiv dagegen vorzugehen. Die Führungskräfte im MDR haben die Aufgabe, die Mitarbeitenden vor sexuellen Übergriffen zu schützen und deren Anliegen ernst zu nehmen. Bei Anzeichen belästigenden Verhaltens sind sie verpflichtet, gegenzusteuern und eine eindeutige Haltung einzunehmen. Neben Gesprächen mit der jeweiligen Führungskraft können Betroffene auch persönliche und vertrauliche Beratungs- und Unterstützungsangebote innerhalb des MDR wahrnehmen. Davon losgelöst können die Beschäftigten im MDR ein formales Beschwerdeverfahren wegen sexueller Belästigung einleiten.

Der MDR bietet verschiedene Weiterbildungsmaßnahmen zum Thema sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz an. Führungskräfte und sonstige Personen mit Personalführungs- und Ausbildungsfunktionen sind verpflichtet, an einer Schulung zum Thema Schutz vor sexueller Belästigung und den Inhalten der o. g. Dienstvereinbarung teilzunehmen. Zudem enthält das Weiterbildungsprogramm des MDR ein entsprechendes Angebot für alle Beschäftigten.

Nicht nur innerbetriebliche Maßnahmen können aus Sicht des MDR zu dem vielzitierten Kulturwandel im Umgang mit sexueller Belästigung und Gewalt in der Medien- und Kulturbranche beitragen. In deutschen Fernsehprogrammen sind Frauen nach Studien der MaLisa Stiftung zur Audiovisuellen Diversität weiterhin unterrepräsentiert. Meist kommen Männer als Experten zu Wort, selbst in Berufsfeldern, in denen überwiegend Frauen arbeiten. Der MDR engagiert sich deshalb seit 2022 in der »50:50 Challenge« der BBC, um zu einer ausgewogeneren Sichtbarkeit von Frauen im Fernsehen und grundsätzlich zu einer größeren Wertschätzung von Frauen in der Gesellschaft beizutragen. Seit Oktober 2019 nimmt der MDR zudem an der Charta für Vielfalt teil.

 

Welche internen Ansprechpartner haben Sie etabliert?

Der MDR hat zahlreiche interne Anlaufstellen eingerichtet, an die sich Betroffene vertraulich wenden können. Neben der Gleichstellungsbeauftragten, die zugleich Mitglied der Gleichstellungskonferenz von ARD, ZDF, Deutschlandradio, Deutscher Welle und ORF ist, bieten u. a. zwei AGG-Beauftragte, die Personalräte, eine externe betriebliche Sozialberaterin und eine durch unabhängige Rechtsanwälte besetzte Ombudsstelle Hilfestellung im MDR bei Vorkommnissen sexueller Belästigung und Gewalt.

Die vorgenannten Stellen, vor allem aber die AGG-Beauftragten im MDR stehen für die Beratung zu den weiteren Diskriminierungstatbeständen des AGG zur Verfügung. Konkret bedeutet das, dass auch Fälle des Machtmissbrauchs, die sich meist in Form einer Diskriminierung nach Art. 3 Abs. 3 AGG wie z. B. Mobbing oder Bossing äußern, hier von den Betroffenen angesprochen werden können.

 

Machen Sie auch auf Themis aufmerksam?

Ausgehend von der MeToo-Bewegung nach dem Weinstein-Skandal entwickelte sich 2017 in Deutschland eine breite gesellschaftspolitische Debatte darüber, wie ein Kulturwandel im Umgang mit sexueller Belästigung und Gewalt in der Kultur- und Medienbranche erreicht werden kann. Die ARD-Anstalten, vertreten durch den MDR, engagieren sich seit der Gründung von Themis im Mai 2018 gemeinsam mit dem ZDF, dem Deutschlandradio, der Deutschen Welle und VAUNET als »Sektion der Sender« in der Delegiertenversammlung des Trägervereins der Vertrauensstelle, in der aktuell drei weitere Sektionen vertreten sind. Neben der intensiven Begleitung der Entwicklung der Vertrauensstelle unterstützen die »Sender« die Themis-Vertrauensstelle außerdem von Beginn an durch finanzielle Zuwendungen.

Unter Federführung der Compliance-Beauftragten läuft im MDR zurzeit eine Informationskampagne »Wer zu nah kommt, geht zu weit!« als starkes Signal, dass sexuelle Belästigung, Machtmissbrauch und übergriffiges Verhalten im MDR keinen Platz haben. Im Zuge dieser Kampagne wird zusätzlich auf externe Beratungsangebote, wie die vorgenannte Ombudsstelle, die Antidiskriminierungsstelle des Bundes, das Bundesweite Hilfetelefon Gewalt gegen Frauen und natürlich auf Themis hingewiesen. Darüber hinaus wird in der Dienstvereinbarung des MDR zum Schutz vor sexueller Belästigung ausdrücklich auf das Angebot von Themis aufmerksam gemacht.

 

Welche personalpolitischen Maßnahmen haben Sie ergriffen?

Die zuvor erwähnte Nulltoleranzhaltung des MDR im Bereich sexueller Belästigung und Gewalt zieht ein konsequentes Vorgehen nach sich, wenn eine Beschwerde vorliegt. Eine Beschwerde ist vertraulich zu behandeln, und alle am Beschwerdeablauf beteiligten Stellen sind zu Stillschweigen verpflichtet. Erhärtet sich ein Verdacht, werden angemessene und erforderliche Maßnahmen zur Unterbindung der sexuellen Belästigung und zum Schutz der Betroffenen ergriffen. Je nach Sachlage kommen in der Praxis auch arbeitsrechtliche Maßnahmen in Betracht, die von der Ermahnung bis zur Beendigung eines Arbeitsverhältnisses reichen.

Alle Vorgaben des AGG, inner- und außerbetriebliche Regularien bzw. Maßnahmen des MDR und anderer Protagonisten sind nur ausreichend, wenn sie von allen Beteiligten umgesetzt und gelebt werden. Es bleibt zu hoffen, dass sich das gesellschaftliche Klima und damit auch das Arbeitsumfeld in der Medien- und Kulturbranche schon bald so nachhaltig entwickelt, dass Fälle sexueller Belästigung und Gewalt zunehmend der Vergangenheit angehören.

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 3/2024.