Politik & Kultur fragt bei Politologe und Journalist Frank Überall nach, wie der Deutsche Journalisten-Verband die Lage der Berichterstattung aus Russland beurteilt und welche Konsequenzen diese für Journalistinnen und Reporter im Land mit sich bringt.
Wie beurteilt der Deutsche Journalisten-Verband die Verschärfung des russischen Mediengesetzes?
Das ist der ultimative Versuch der russischen Staatsführung, kritische und unabhängige Berichterstattung unmöglich zu machen. Ultimativ deshalb, weil es kritischer Journalismus auch schon vor dem Überfall auf die Ukraine in Russland schwer hatte. Jetzt drohen bis zu 15 Jahre Haft, wenn sich Berichterstatter nicht an die vorgegebene Sprachregelung des Kreml halten. Davon betroffen sind auch die internationalen Korrespondenten in Russland. Mit Pressefreiheit hat das nicht mehr viel zu tun – ganz im Gegenteil. Die russische Bevölkerung soll nur noch mit gefilterten Informationen versorgt werden, die medial abgebildete Realität wird im staatlichen Auftrag verzerrt. Es gibt einen einfachen Ausdruck dafür: Zensur.
Wie kann jetzt für den Schutz der Pressefreiheit gesorgt werden; welche Forderungen erhebt der DJV?
In Russland gibt es keine Pressefreiheit mehr, die sich schützen ließe. Was wir fordern? Rückkehr des russischen Herrschaftssystems zur Demokratie, Wiedereinrichtung der Menschenrechte, zu denen auch die Pressefreiheit gehört. Aber ich mache mir keine Illusionen: Von Demokratie und Menschenrechten ist Russland jetzt so weit entfernt wie zu Sowjetzeiten. Deshalb müssen wir auch endlich zu einem funktionsfähigen System bei den Vereinten Nationen kommen, das Einschränkungen des Grundrechts auf Pressefreiheit konsequenter thematisiert und sanktioniert. Wenn wir nicht wollen, dass noch mehr als fast die Hälfte der Menschen auf der Erde ohne Demokratie leben, muss endlich etwas passieren. Dazu zählt die vom Deutschen Bundestag 2017 beschlossene Forderung, eine Beauftragte oder einen Beauftragten für den Schutz von Journalistinnen und Journalisten einzusetzen.
Der DJV fordert alle deutschen Auslandsreporter in Russland auf, aus Sicherheitsgründen schnellstmöglich das Land zu verlassen. Wie ist die aktuelle Situation für deutsche Journalisten in Russland?
Die Korrespondenten der meisten Medien haben das Land zunächst verlassen. Es gibt eine nicht bekannte Zahl an Berichterstattern in dem Land, die dageblieben ist und trotzdem zu berichten versucht. Das ist eine dynamische Lage, die jeden Tag, ja fast jede Stunde neu eingeschätzt werden muss. Ich wünsche den Kollegen Glück und hoffe in ihrem Interesse, dass sie so vorsichtig wie möglich sind und ihre Redaktionen und die deutschen Behörden hinter ihnen stehen – vor allem dann, wenn Russland mit seiner Verfolgung unabhängiger Berichterstattung ernst macht.
Welche langfristige Bedeutung hat es, wenn deutsche Journalistinnen und Journalisten nicht mehr aus Russland berichten können?
Auf Dauer ist es für die Medien schwierig, über ein Land zu berichten, in dem keine eigenen Korrespondenten arbeiten oder die, die vor Ort sind, bestimmte Themen ausklammern müssen. Informationen dringen natürlich nach außen, allein schon über die Social Media. Und es gibt viele Möglichkeiten, zu Menschen in Russland Kontakt aufzunehmen. Allerdings muss dabei darauf geachtet werden, diese Menschen nicht in Lebensgefahr zu bringen. Darüber hinaus ist es von anderen Standorten aus ungleich schwieriger, die Stimmung in Russland wirklich adäquat einzufangen, Quellen zu prüfen und Informationen, Fotos oder Videos zu verifizieren. Was in den sozialen Netzwerken kursiert, ist oft genug nicht vertrauenswürdig und hat mit Journalismus und einer möglichst objektiven Darstellung und Einordnung der Lage nichts zu tun. Das alles zeigt: Die journalistische Information ist ohne Korrespondenten vor Ort problematisch, wir drohen den Blick in die Russische Föderation als wichtiges Land zu verlieren.