Seit 1989 ist das Künstlerdorf Schöppingen eine im Münsterland nahe der niederländischen Grenze gelegene und international ausgerichtete Künstlerresidenz. Der stipendiengeförderte Aufenthalt von zwei bis sechs Monaten ermöglicht die Umsetzung von Projekten in den Bereichen Visuelle Kunst, Literatur und Komposition.

Den Grundstein zur Eröffnung des Künstlerdorfs legte das Land Nordrhein-Westfalen mit der kulturpolitisch bedeutsamen Entscheidung, Kunst und Kultur auch jenseits der Großstädte, aber mit Strahlkraft über die Landesgrenzen hinaus zu fördern. Jedoch steht diese oft beschworene Strahlkraft nicht in unmittelbarem Zusammenhang mit der Produktion von künstlerischen Werken und sofortiger Sichtbarkeit. Residenzarbeit ist Beziehungsarbeit, die Begegnung und Austausch ins Zentrum rückt. Sie entzieht sich bewusst einer gewissen Verwertungslogik und wirkt langfristig.

Residenzprogramme stellen Künstlerinnen und Künstlern Zeit, Raum und Ressourcen zur Verfügung, um sich herausgelöst aus ihrer normalen Alltagsumgebung und deren Zwängen auf einzelne Projekte oder Fragestellungen konzentrieren zu können. In der jeweiligen Schwerpunktsetzung sind ihre Arbeitsweisen so unterschiedlich wie das Erscheinungsbild und Profil ihrer Orte und Umgebungen selbst. So können sie auf der Projektumsetzung, einem thematischen Bezug oder eben dem künstlerischen Prozess liegen. Letzterer prägt das Leitbild des Künstlerdorfs Schöppingen seit nunmehr 36 Jahren. Nicht nur mit dem Wandel künstlerischer Praktiken und Bedarfe, sondern auch mit einem veränderten Bewusstsein für die Anforderungen an ein produktives und unterstützendes Umfeld hat sich im Laufe der Jahre auch die Arbeit und Infrastruktur des Künstlerdorfs verändert. Dabei entsteht der für das künstlerische Arbeiten notwendige Freiraum nicht lediglich durch die Absenz des alltäglichen Kontextes und keineswegs durch die Abwesenheit von Regulation. Die unterschiedlichen Voraussetzungen der Künstlerinnen und Künstler erfordern eine individuelle Begleitung und ein aktives Schaffen von Rahmenbedingungen, die es allen ermöglicht, das Residenzstipendium überhaupt wahrnehmen und auch effektiv nutzen zu können. Limitierende Faktoren sind häufig die eingeschränkte Mobilität aufgrund von Visazugängen, Fürsorgepflichten oder eine Behinderung. Ein inklusives Künstlerdorf bemüht sich aktiv um diese Bedarfe und schafft eine kulturelle Infrastruktur, von der letztlich alle Beteiligten profitieren.

Darüber hinaus zeichnet sich der Ort durch den interdisziplinären Ansatz der Sparten Visuelle Kunst, Literatur und Komposition und deren Überschneidungen aus. Auch die internationalen Konstellationen der bis zu 14 Künstlerinnen und Künstler, die zeitgleich vor Ort sind, und die aufgrund der fehlenden Altersbeschränkung deutliche Auflösung der um lediglich eine Schaffensphase kreisenden Gespräche, sorgen für eine vielfältige Konstellation der Stipendiatinnen und Stipendiaten. Neben dem Nachweis der künstlerischen Qualität und einer realistischen Vorhabensbeschreibung ist eine Voraussetzung für den Residenzaufenthalt in Schöppingen diese Affinität und Bereitschaft, sich für die temporäre Gemeinschaft der Künstlerinnen und Künstler zu engagieren. Das regelmäßige Programm und die Angebote des Künstlerdorfs machen es, auch für Besuchende, zu einem Ort des Miteinanders und der Gegenseitigkeit, an dem radikale Gastlichkeit auf eine Ethik des Besuchens treffen. Innerhalb des Kulturbetriebs sind solche wettbewerbsfreien Räume, in denen kollegiale Beratung statt Selbstvermarktung steht, eher selten.

Der Freiraum der Künstlerresidenz ist auch ein Schutzraum. Dies gilt nicht nur für Künstlerinnen und Künstler in Notlagen, die der Bedrohung durch kriegerische Auseinandersetzungen und internationale Konflikte entfliehen. Es ist eine besondere Nische im Ökosystem des Kulturbetriebs, die es Künstlerinnen und Künstlern erlaubt, ihre Arbeit, Themensetzung und Methodik laut zu hinterfragen, nachzujustieren und sich neu auszurichten. Die fehlende urbane Ablenkung und die Ruhe des ländlichen Raums unterstützen diesen kontemplativen Prozess. Gleichzeitig agieren Künstlerresidenzen auch immer ortspezifisch und in Interaktion mit dem sie umgebenden Umfeld. Im Falle des Künstlerdorfs betrifft dies etwa Fragen zur früheren und heutigen Funktionsweise der Gebäude, die im frühen 19. Jahrhundert als Bauernhöfe errichtet wurden. Die landwirtschaftliche Nutzung prägt auch heute das Ortsbild, ebenso wie das lebendige Miteinander in der insgesamt wirtschaftsstarken und demografisch jungen Region. Traditionen werden über Generationen weitergegeben und bilden ebenfalls einen starken Kontext. Gelegen mitten im Zentrum des etwa 7.000 Bewohnerinnen und Bewohner zählenden Dorfs Schöppingen, reflektiert das Künstlerdorf auch die Ambivalenzen dörflicher Strukturen, die in ihrer Logik als Solidargemeinschaften zugleich Ausschlüsse hervorbringen. Wo Menschen aufeinandertreffen, entstehen Reibungsflächen, denen wir aber gerade mit Neugierde begegnen und sie als Chance begreifen sollten, von- und miteinander zu lernen.

Residenzen sind Infrastrukturen für künstlerisches Denken und Experiment, aber auch für den dynamischen Prozess gesellschaftlicher und internationaler Zusammenarbeit. Ihre Wirkung liegt in der nachhaltigen Ausrichtung künstlerischer Karrieren und Netzwerke sowie im fortlaufenden Dialog. Und diese Strahlkraft entwickelt sich besonders produktiv in dem entschleunigenden Umfeld der Dorfgemeinschaft, die sicher keine ideale Welt, aber gewiss einen engagierten Resonanzraum bereithält.