Immer wenn ich zu Besuch in meinem Heimatdorf, in den tiefsten Tiefen des Taunus, bin, staune ich erneut über die Weite. Die Weite im Blick, aber auch die Weite zwischen den Häusern. Als ich dort lebte, war es mir selbstverständlich, wie viel Platz eine Familie und auch jeder Einzelne hat. Nicht nur im Haus oder der Wohnung, sondern auch in einem Schuppen, alten Stall, einer Scheune, dem Garten und anderem mehr. Heute, als in der Großstadt sozialisierter Mieter, weiß ich, dass dieser Platz, diese Weite alles andere als eine Selbstverständlichkeit ist.

Es ist daher wenig verwunderlich, wenn insbesondere Bildende Künstlerinnen und Künstler aufs Land ziehen, um dort zu arbeiten. Für im Vergleich zu den urbanen Zentren wenig Geld lassen sich große Ateliers mieten oder sogar auch kaufen. Im Unterschied zu Autorinnen oder Autoren oder auch Komponistinnen und Komponisten sammelt sich bei Bildenden Künstlerinnen und Künstler im Verlauf der künstlerischen Laufbahn ein beträchtliches viel Platz beanspruchendes Œuvre an. Nicht alles wird verkauft, vieles muss dauerhaft gelagert werden. Im ländlichen Raum bestehen oftmals die Möglichkeiten, die Werke sicher aufzubewahren.

Doch bietet der ländliche Raum nicht nur Weite, er kann sich auch durch große Enge auszeichnen. Das sich umeinander kümmern und füreinander da-sein, kann auch soziale Kontrolle und Druck bedeuten. Nicht jeder kann damit leben oder sich ggfs. davon freimachen und nicht darum scheren, was die anderen denken. Im ländlichen Raum prallen Kulturen ebenso aufeinander, wie es in den urbanen Zentren der Fall ist, aber die Wirkungen auf den Einzelnen können beträchtlich stärker sein. Besonders beunruhigend ist der zunehmende Einfluss von Rechtsextremen, die gerade Künstlerinnen und Künstler in ländlichen Gegenden bedrohen.

Im ländlichen Raum leben und arbeiten zunehmend mehr Künstlerinnen und Künstler und Kulturunternehmerinnen und -unternehmer. Sie wollen und sie müssen sich mit Kolleginnen und Kollegen aus den Städten messen. Es gibt selbstverständlich keinen Landbonus bei der Qualität. So gilt es immer wieder Kundinnen und Kunden »herauszulocken« in Ateliers, Galerien und Veranstaltungsorte im ländlichen Raum. Ebenso wichtig ist es insbesondere für die auf dem Land lebenden Künstlerinnen und Künstler, selbst präsent zu sein in den urbanen Zentren.

Infrastruktur ist daher eines der zentralen Stichworte für die Stärkung des ländlichen Raums als Kulturort. Dazu gehören so essenzielle Dinge wie Funkmasten, um Mobiltelefone nutzen zu können sowie schnelle Internetverbindungen. Auch wer materiell als Bildhauerin oder Maler arbeitet, brauchte eine gescheite Homepage sowie schnelle, stabile Internetverbindungen, um präsent zu sein, den Kontakt zu Kundinnen und Kunden, Lieferantinnen und Lieferanten zu pflegen sowie nicht zuletzt am kulturellen Leben im Netz teilnehmen zu können. Wenn diese Infrastruktur nicht oder nur unzureichend vorhanden ist, erschwert dies die kulturelle Arbeit auf dem Land enorm.

Ähnliches gilt für den öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV). Es versteht sich von selbst, dass ein ÖPNV in dünn besiedelten Regionen in Mecklenburg-Vorpommern oder in Ostfriesland anders aussehen und getaktet sein muss als in Metropolen wie Hamburg, Frankfurt oder Berlin. Gleichwohl wird die absolute Abhängigkeit vom Auto von vielen als Manko empfunden. Aus Nachhaltigkeitsgründen würden viele gerne den ÖPNV nutzen, doch wo keine oder nur unzureichende Anbindung vorhanden ist, muss auf das eigene Auto ausgewichen werden. Die mangelnde Anbindung an den ÖPNV erschwert es auch, Kundinnen und Kunden zu gewinnen. Insbesondere wenn diese aus den Metropolen kommen und selbst nicht über ein Auto verfügen.

Das Leben auf dem Land erscheint mitunter als Idyll und als Ort, an dem Gemeinschaft gelebt wird. Die Realität im ländlichen Raum sieht vielfach sehr anders aus. Viele Dörfer, insbesondere im »Speckgürtel« von größeren Städten sind zu »Schlafdörfern« geworden. Leben und Arbeiten sind sehr oft voneinander getrennt. Die bäuerliche Landwirtschaft ist nicht die prägende Unternehmensform, vielmehr prägen Nebenerwerbs- und Großbetriebe die Landwirtschaft. Geschäfte, Banken, Post oder auch Ärzte sind vielfach Fehlanzeige auf dem Land. Konflikte zwischen Alteingesessenen und Neuzugezogenen prägen so manche Dorfgemeinschaft. Ehrenamtliche Bürgermeisterinnen und Bürgermeister zu gewinnen, ist schwer und bedarf Überzeugungskraft. Nicht, weil sich keiner engagieren will, sondern weil die Aushandlungsprozesse vor Ort oftmals so schwierig sind.

Wenn die ländlichen Räume gestärkt werden sollen, müssen auch die Konflikte und die ausbaubedürftige Infrastruktur auf den Tisch. Gleichzeitig bedarf es eines langen Atems und langfristiger Programme, um Veränderungen nicht nur anzustoßen, sondern tatsächlich umzusetzen. Die Städte werden immer unbezahlbarer für Kulturschaffende. Gerade bildende Künstlerinnen und Künstler können sich die horrenden Mieten für ihre Ateliers in den Städten immer seltener leisten. Gleichzeitig werden die öffentlich geförderten Atelierprogramme zusammengestrichen. Der Umzug auf das Land ist deshalb für viele Notwehr und Chance zugleich.

Die Stärkung des ländlichen Raums ist ein wichtiges Anliegen im Koalitionsvertrag von CDU, CSU und SPD, der, wenn die SPD-Mitglieder ihm zugestimmt haben, und am 6. Mai dieses Jahres Friedrich Merz zum Kanzler gewählt wird, für die Arbeit der neuen Bundesregierung handlungsleitend sein dürfte.

Die Koalitionäre haben sich vorgenommen, gleichwertige Verhältnisse in Stadt und Land zu schaffen. Attraktive ländliche Räume werden für den gesellschaftlichen Zusammenhalt als wichtig angesehen und das Vereinsleben hierbei als ein zentraler Faktor betrachtet. Die Dörfer der Zukunft sollen für eine lebens- und liebenswerte Heimat stehen. Die im Jahr 2017 geschaffene Heimat-Abteilung im derzeitigen Bundesministerium des Innern und für Heimat wird vermutlich in das künftige Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Heimat transferiert werden. Heimat scheint damit ein Thema zu sein, dass vor allem den ländlichen Raum betrifft. Da darf man gespannt sein, welchen Stellenwert das Kulturschaffen auf dem Land bei den in Aussicht gestellten neuen Förderprogrammen des Bundes erhalten werden.

 

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 5/2025.