Line Jastram ist freischaffende Bildende Künstlerin. Sie lebt mit ihrem Mann und ihren Kindern in Dobis, einem kleinen Dorf in Sachsen-Anhalt. Im Interview spricht sie über ihre Erfahrungen als Künstlerin auf dem Land.
Barbara Haack: Sie arbeiten und leben auf dem Land. Beschreiben Sie den Ort, in dem Sie leben?
Line Jastram: Dobis hat knapp 200 Einwohner. Es ist ein Sackgassendorf und dadurch kein Transitort. Es leben hier einige Kulturschaffende, ein Grafiker, ein Grafikdesigner, eine Puppenspielerin, ein Papierkünstler. Wir haben zwei Maler, zwei Keramiker und mit mir und meinem Mann zwei Bildhauer. Halle ist die nächste größere Stadt. Viele Menschen pendeln.
Sind Sie sozial gut eingebunden in diesem Ort und werden auch als Künstlerin akzeptiert und verstanden?
Wir haben hier regelmäßig offene Atelierveranstaltungen des Berufsverbandes. Wir haben eine Weihnachtsveranstaltung, die die lang ansässigen Künstler hier etabliert haben und die sehr gut besucht wird. Es gibt auch Leute aus dem Ort, die so etwas nie nutzen, die sich wahrscheinlich fragen, wie wir unser Geld verdienen. Manche haben keinen Zugang zur Kunst oder interessieren sich vielleicht auch nicht dafür. Das ist in Ordnung. Dann gibt es wieder Menschen, die haben uns von Anfang an begleitet. Die Ortsstruktur basiert sehr stark auf ehrenamtlichen Strukturen. Die Vereinsstrukturen hier führen Menschen zusammen: Wir lernen uns kennen, kommen mit Menschen in Kontakt. Da sind sicherlich Leute dabei, die ihr Kreuz bei Parteien machen, für die wir nicht sind. Trotzdem gibt es aufgrund dieser ehrenamtlichen Strukturen hier im Ort Ebenen, auf denen man sich treffen kann.
Haben Sie sich bewusst entschieden, aufs Land zu ziehen?
Ja. Wir hatten in Halle eine Wohnung und zwei Ateliers zur Miete, und es war klar, dass die Mieten immer weiter steigen. Wir sind beide eher ländlich orientiert. Jetzt sind wir seit sieben Jahren hier, wir haben unsere Ateliers hier auf dem Hof.
Hat diese ländliche Umgebung einen Einfluss auf Ihre künstlerische Arbeit?
Ich brauche definitiv diesen Rückzug. Ich merke, dass die Einkehr und diese Abgeschiedenheit hier sehr dienlich sind, um für mich inneren Frieden und auch Antworten zu finden. In der Stadt habe ich das Gefühl, mich sehr zu verausgaben. Ich engagiere mich auch im Berufsverband, im Vorstand und habe hier dann diesen nötigen Rückzug, um Abstand zu gewinnen und Kraft dafür zu tanken.
Sie müssen von Ihrer Kunst leben, müssen den Kontakt zu Galerien halten, Präsenz zeigen. Wie verhält sich das zu Ihrem Leben auf dem Dorf, fern vom Kunstmarktgeschehen?
Es gibt Momente, in denen ich mich wirklich abgehängt fühle. Aber ich hoffe sehr, dass Beständigkeit immer noch ein Faktor ist, auch in dieser schnelllebigen Zeit. Viel läuft über das Internet. Ich kann mich an den Rechner setzen und mich überall bewerben. Ich sehe Sachsen-Anhalt als Standort auch logistisch praktisch, weil ich in der Mitte bin. Andererseits gibt es sicherlich auch Dinge, die zum Nachteil für uns beide sind. Wenn man in der Stadt lebt, kommt man natürlich in städtische Strukturen hinein. Aber durch meine ehrenamtliche Tätigkeit bin ich regelmäßig in Halle. Gerade im ländlichen Raum ist es meine Entscheidung, welche Verknüpfungen ich halte, welche Verbindung ich stärke.
Erreichen Sie Ihre Käufer von dort, wo Sie leben?
Ja, aber es könnte noch besser gehen. Wir sind selbstständige Künstler, und ich bin erstaunt, wie viel da mittlerweile neben dem Atelier passieren muss, damit die Kunst verkauft wird. Das würde mich in der Stadt aber genauso stören wie hier. Viel hängt von meinem Engagement ab und auch vom Selbstbewusstsein. Wenn ich gute Fotos habe und eine gute Webseite, dann kann ich von hier aus genauso mitmachen.
Wie mobil sind Sie?
Das ist ein wichtiges Thema: der ländliche Raum und die Logistik. Die Förderung des öffentlichen Nahverkehrs ist ein wichtiger Punkt. Wenn ich von hier aus starte, bin ich einen halben Tag unterwegs, um eine Stunde Termine in Halle wahrzunehmen. Es geht auch um Nachhaltigkeit. Die Abhängigkeit vom Auto ist hier nach wie vor da.
Ein Thema ist für mich die Förderung des öffentlichen Nahverkehrs im Zusammenhang mit der Förderung des ehrenamtlichen Engagements. Man könnte im Übrigen an vielen kleinen Schrauben drehen, um ehrenamtlich Tätigen das Leben ein bisschen zu erleichtern und diesen Menschen eine Wertschätzung zu vermitteln. Das Ehrenamt ist für unsere Landessituation ein großer Pfeiler.
Sie haben die offenen Ateliers angesprochen. Wie funktionieren die?
In Sachsen-Anhalt öffnen landesweit Künstlerinnen und Künstler einmal im Jahr ihre Ateliers. Das gibt es auch im städtischen Raum, Ateliergemeinschaften oder Atelierhäuser, die natürlich besser besucht sind. Aber das heißt nicht, dass die, die zu uns kommen, nicht einen ähnlichen Wert schaffen. Man erreicht mit Veranstaltungen vielleicht weniger Leute als in der Stadt. Aber diese Verkettung im ländlichen Raum, der Buschfunk hat eine Langzeitwirkung. Ich bin manchmal ein bisschen traurig, dass Politiker Veranstaltungen im ländlichen Raum unterschätzen. Vielleicht kommen nicht so viele Menschen, aber die Wirkung ist stärker.
Sie haben erwähnt, dass Sie auch zu tun haben mit Menschen, die, wie Sie sagen, Parteien wählen, die Ihnen nicht gefallen.
Es gibt Menschen, von denen man es vermutet. Wenn man z. B. für Klimaschutz ist, ist man links oder ein bisschen bekloppt, also eben falsch. Wir haben, als wir hier noch recht frisch gewohnt haben, gesagt, wir pflanzen jedes Jahr einen Baum, weil der Vorbesitzer alles weggefällt hatte. Da gab es den bedrohlichen Spruch vom Nachbarn, ihm würde das Messer in der Tasche aufgehen, weil wir hier einen Baum pflanzen.
Wie haben Sie reagiert?
Als dieser Spruch gefallen ist, bin ich zu ihm gegangen und habe gesagt, dass ich im Beisein der Kinder solche Sachen nicht hören möchte. Und dass ich, wenn so etwas noch mal passiert, die Polizei rufe. Dann sind wir einfach in dem Sinne darauf eingegangen, dass wir uns nicht mehr grüßen. Ich habe das Gefühl, dass sich dadurch, dass wir jetzt schon sieben Jahre hier sind, etwas verändert. Das spielt im ländlichen Raum eine große Rolle. Wir engagieren uns hier. Mein Mann ist jetzt im Ortschaftsrat. So etwas wird gewürdigt.
Was wünschen Sie sich?
Der ländliche Raum hat, wenn man ihn aus städtischer Sicht betrachtet, immer einen defizitären Charakter. Wir haben hier aber eigene Strukturen. Das sollte auch auf politischer und gesellschaftlicher Ebene wahrgenommen werden: dass dieser Blick auf den ländlichen Raum oft durch eine städtische Brille passiert.
Vielen Dank.