Mit Elisabeth Oertel telefoniert man besser über Festnetz. Ihr Handyempfang ist schlecht. Seit 2021 lebt die Künstlerin in Sorge-Settendorf, Ortsteil von Mohlsdorf-Teichwolframsdorf im Landkreis Greiz in Thüringen. Die Mutter von drei Kindern ist zuvor viel herumgekommen. Sie ist mit ihrer Künstlergruppe auf alten sowjetischen Motorrädern auf dem Landweg nach New York gefahren und hat 972 Pannen erlebt. Pannen, deren Reparaturen ihr Begegnungen mit vielen Leuten bescherten. Das prägte. »Es ist wichtig, auf Menschen zuzugehen«, sagt Elisabeth Oertel. Ansonsten verbleibe man in seiner Dunstblase und nehme die eigentlichen Realitäten nicht wahr. Im telefonischen Interview spricht sie reflektiert über sich und über den Sinn von staatlicher Förderung von Bildender Kunst auf dem Land. »Durch meine Reise habe ich gemerkt, dass es wichtig ist, an Orte zu gehen, wo nicht mehr so viel Diversität ist.« Aus dieser Überzeugung heraus – und einigen anderen Gründen – zog sie in die tiefe Provinz Thüringens. Oertel ist Bildhauerin. Ihre Passion allerdings gilt der interaktiven Kunst- und Projektarbeit. Aktuell hat sie von der Kulturstiftung Thüringen ein Landesstipendium in Höhe von 10.000 Euro für das »Archiv der Probleme« erhalten. Mit Fragebögen zieht sie ins Feld und befragt Bewohner nach deren »Lieblingsproblemen«. Der Begriff irritiert, regt aber zum Nachdenken an. »Probleme haben auch etwas Positives«, sagt Oertel, »weil Probleme Menschen zusammenbringen.« Oertel geht es um das Gemeinschaftsstiftende. Eine »Soziale Plastik« im Sinne von Joseph Beuys. Ohne staatliche Förderung wäre das Projekt nicht möglich.

Die Kulturstiftung Thüringen hat zwar kein spezielles Förderprogramm für den ländlichen Raum, da der Freistaat ohnehin zu 90 Prozent aus nicht-urbanen Gebieten besteht. Stipendien und Projektförderungen gibt es für die Sparten Musik, Literatur, Darstellende und Bildende Kunst. 2025 wurden Unterstützungen im Volumen von rund 3,1 Millionen Euro beantragt, zur Verfügung stehen voraussichtlich aber nur noch 650.000. »Die meisten Anträge«, sagt Andrea Karle, Referentin und stellvertretende Vorständin der Kulturstiftung, »kommen aus der Thüringer Städtekette Erfurt, Weimar, Jena.« Gerade in der Bildenden Kunst seien Kulturakteure, die tatsächlich vor Ort in Kleinstädten und Dörfern wirken, selten. »Wir beobachten aber umgekehrt, dass es häufig Künstler aus der Stadt gibt, die sich mit ihren Projekten aufs Land begeben«, so Andrea Karle. Es werden Höfe renoviert, Künstlerresidenzen eröffnet. Doch nicht immer fühlen sich die dort Ansässigen angesprochen. Publikum reist von weiter her an, genießt ein »Programm« und fährt dann wieder zurück. Dabei sollte Kulturarbeit besser mit den Menschen vor Ort geschehen. »Genau das wird mittlerweile in den Auswahljurys diskutiert, wie sehr ein gefördertes Projekt die lokale Bevölkerung einbindet«, sagt Karle. Wie kann Kunst auf dem Dorf nicht nur schöne Kulisse sein, sondern Teil des alltäglichen Lebens werden?

Solchen Fragen geht man auch in anderen Bundesländern nach. Sachsen unterstützt über sein Kulturraumgesetz in besonderer Weise. Die aus je zwei Landkreisen gebildeten Kulturräume haben ihre eigenen Fördermöglichkeiten. Lydia Hempel vom Landesverband Bildende Kunst Sachsen e. V. sitzt in drei ländlichen Kulturräumen in den Facharbeitsgruppen, in denen man sich für die Sparte Bildende Kunst die eingegangenen Anträge anguckt und entscheidet. »Das ist ein gutes Förderinstrument«, sagt sie. Die Verankerung vor Ort sei ein großes Plus. Weiteres Erfolgsmodell ist der Kleinprojektefonds der Kulturstiftung des Freistaates Sachsen, der seit 2019 unkomplizierte und kurzfristige Förderung für Kulturprojekte in ländlichen Regionen bietet. Mit Summen zwischen 500 und 5.000 Euro können auch kleinere Vorhaben realisiert werden, ohne Eigenmittel oder Drittfinanzierung. »Gerade für Akteure auf dem Land ist das ein Vorteil«, ist Hempel überzeugt. Denn die sonstige Förderung der Kulturstiftung ist oft stark konzeptuell ausgerichtet. Für so etwas müsse in den ländlichen Räumen dann meist erst Verständnis geschaffen werden. Insofern ist der Kleinprojektefonds viel niederschwelliger.

Doch nicht alles läuft reibungslos: Seit der letzten Legislatur ist das Sächsische Ministerium unter Doppelspitze für Wissenschaft, Forschung, Hochschule, Kultur und Tourismus zuständig, und Staatsministerin Barbara Klepsch, verantwortlich für Kultur und Tourismus, setzt durchaus tourismusfreundliche Akzente, was in der Kunstszene auf Skepsis stößt. Hempel mahnt: »Wir müssen dem Publikum auch etwas zutrauen. Für Kunstvermittlung in der Fläche muss mehr getan werden!« Die Sorge: Geht es bald nur noch darum, Kunst für Besucher von außen attraktiv zu machen, statt die Menschen vor Ort mit anspruchsvollen Projekten einzubeziehen?

Wenn Förderprogramme Drittmittel verlangen, sind Metropolen im Vorteil, beobachtet Katrin Dillkofer, Geschäftsführerin des Berufsverbandes Bildende Kunst Bayern (BBK): »Städte wie Nürnberg oder München geben oft mehr, während kleinere Kommunen da kaum mithalten können.« Ein Beispiel ist das »Ausstellungsprogramm«, bei dem der Freistaat zur Hälfte fördert, während die restlichen 50 Prozent anderweitig aufgebracht werden müssen. Um das Ungleichgewicht abzumildern, setzt das Bundesland hingegen beim »Kulturfonds Bayern« bewusst auf den ländlichen Raum: Projekte in Nürnberg und München sind dort nur eingeschränkt förderfähig. In Bayern kämpft der BBK mit der Bürokratie klassischer Förderprogramme. Anträge müssen durch drei Instanzen – Antragsteller, BBK und Ministerium –geprüft werden, und nach der Umsetzung folgt ein ebenso aufwendiger Verwendungsnachweis. Eine kreative Lösung entwickelte der BBK gemeinsam mit dem Bayerischen Staatsministerium für Wissenschaft und Kunst mit dem Programm »Verbindungslinien«, das Künstler nicht über Einzelanträge fördert, sondern künstlerische Projekte direkt und unkompliziert beauftragt. Das Programm geht ins dritte Jahr, und die Jury achtet bei ihrer Entscheidung auf künstlerische Qualität und ausgewogene regionale Verteilung, auch wenn die Hälfte der Anträge weiterhin aus München kommt. »Vorzeigeprojekt aus Bayern ist das ›Mobile Atelier‹, das gezielt den ländlichen Raum belebt«, sagt Dillkofer. Künstlerinnen und Künstler können sich hierbei auf Residenzen in Gemeinden bewerben, die sich wiederum als Gastgeber für das Mobile Atelier beworben haben. Man entwickelt Vermittlungsprogramme, arbeitet zwei Monate lang mit den Menschen und schafft Begegnungen. Eine zweite Schiene des Programms nutzt Leerstände für künstlerische Interventionen.

Solche speziellen Förderprogramme für den ländlichen Raum gibt es in anderen Bundesländern kaum. Im Fall Mecklenburg-Vorpommern liegt das daran, dass es im Bundesland außer Rostock ohnehin nur Fläche gibt. In Niedersachsen wiederum, ebenfalls Flächenland, versucht man dennoch, die etwas abgelegenen Orte mitzudenken. Man unterstützt etwa landesweit 22 Kunstvereine, hat 2025 allein dafür insgesamt 900.000 Euro gegeben. Diese Vereine sind zentrale Orte für zeitgenössische Kunst und kulturelle Bildung, oft jenseits der Metropolen wie etwa der Kunstraum Tosterglope oder die Kunstvereine Jesteburg und Springhornhof in Neuenkirchen. Letzterer profitiert regelmäßig von der Förderung und bringt internationale Kunst in das 5.000-Einwohner-Dorf. Neben dem seit vielen Jahrzehnten gewachsenen Skulpturenpark gibt es den Dorfladen »International Village Shop« der Gruppe Myvillages, die Kunst und ländliche Kultur vereint. Das Sortiment – von Pferdemilchseife bis Fufu-Schalen – spiegelt regionale Traditionen und globale Netzwerke wider. Beim Springhornhof begann alles 1966, als Wilhelm und Ruth Falazik ihre Bochumer Galerie aufgaben und nach Neuenkirchen zogen. Ein Entschluss ähnlich, wie ihn auch Elisabeth Oertel vor vier Jahren getroffen hat, als sie nach Sorge-Settendorf zog. Wobei: Oertel stammt ursprünglich auch von dort und hat den elterlichen Bauernhof umgestaltet in einer Mischung aus Wohnen, Atelier und Kulturtreff. Wenn ihr »Archiv der Probleme« abgeschlossen ist, wird es eine Ausstellung in Erfurt geben, und vor Ort wohl irgendwie auch. Denn die Provinz soll nicht vergessen werden!

 

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 5/2025.