Als wir auf alten Heimcomputern zum ersten Mal »PEEK« und »POKE« tippten, war das keine Spielerei, sondern der Einstieg in ein digitales Weltverständnis: Wie kann ich dem Computer sagen, was ich will? Wie kann ich das System so verstehen, dass ich es nicht nur benutze, sondern gestalte? In einer Zeit, in der vieles wieder zur Blackbox wird – von KI-Systemen bis hin zu Alltags-Apps – ist dieser Moment der Selbstermächtigung aktueller denn je.
Die Demoszene steht genau dafür. Seit den 1980er Jahren formen kreative Köpfe aus aller Welt eine offene, nicht-kommerzielle Gemeinschaft, die das technische Innenleben von Computern zur Bühne macht: In sogenannten »Demos« erschaffen sie audiovisuelle Werke, die in Echtzeit berechnet werden. Dies geschieht oft auf Geräten, die aus heutiger Sicht längst museumsreif sind. Es ist eine Form digitaler Kunst und ein kulturpolitisches Statement: Wir verstehen, wie es geht und wir zeigen es allen.
Was die Demoszene so einzigartig macht, ist ihr tief verankertes Ethos: Wissen wird durch dessen Praxis geteilt, Tools werden gemeinsam entwickelt, Beiträge zählen mehr als Titel oder Herkunft. In einer Welt, in der digitale Kreativität zunehmend durch Plattformlogik und Kommerzialisierung gefiltert wird, lebt in der Demoszene eine andere Idee digitaler Kultur fort: frei, offen, meritokratisch, grenzüberschreitend.
Und: Sie ist ein Gemeinschaftswerk. Oft wird der Fokus auf das Coden gelegt, jedoch entstehen Demos in kollektiver Zusammenarbeit. Musikerinnen und Musiker komponieren Soundtracks, Artists gestalten pixelgenaue Grafiken, Typografinnen erschaffen ASCII- oder ANSI-Welten, Veranstalter, Moderatorinnen und Techniker sorgen für Infrastruktur und Bühne. Diese Vielfalt spiegelt sich in den Wettbewerbskategorien, den Organisatoren-Teams und im kollektiven Anspruch, dass jede und jeder etwas beitragen kann, wenn der Wille zur Gestaltung da ist.
Ich schreibe diesen Text aus einer mehrfachen Perspektive: Als langjähriges Mitglied der Demoszene – seit über 30 Jahren aktiv, u. a. als Mitorganisator der Kölner Demoparty »Evoke« – sowie als Kurator internationaler Games-Konferenzen und künstlerisch forschender Mitinitiator des VR Dance Club. Die Demoszene hat nicht nur meine eigene Arbeit entscheidend geprägt, sondern auch die Entwicklung der Gameskultur insgesamt beeinflusst – durch ihre Ästhetik, Mindsets und die gemeinschaftsbasierte Herangehensweise an Technologie und Ausdruck, Competition und Community.
Gemeinsam mit Andreas Lange und unterstützt durch viele Mitstreiterinnen und Mitstreiter haben wir die Initiative »The Art of Coding« gegründet, die sich erfolgreich für die Anerkennung der Demoszene als immaterielles Kulturerbe im Rahmen des UNESCO-Übereinkommen zur Erhaltung des Immateriellen Kulturerbes eingesetzt hat, als erste digitale Kulturform überhaupt weltweit. Deutschland war 2020 gemeinsam mit Finnland weltweit der erste Staat, der die Demoszene in das Verzeichnis immateriellen Kulturerbes aufnahm. Inzwischen sind Frankreich, Polen, die Schweiz, die Niederlande und Schweden gefolgt – ein starkes kulturpolitisches Signal.
Doch was heißt das konkret? Immaterielles Kulturerbe meint nicht die Bewahrung alter Geräte oder Softwarestände. Es meint das lebendige Wissen, die Traditionen und Praktiken, die sich über Generationen hinweg weiterentwickeln. In der Demoszene geschieht das durch Demopartys, Echtzeit-Wettbewerbe, Online-Plattformen und -foren, Nachwuchsarbeit und Community-Initiativen. Kurz: durch eine bottom-up organisierte Kultur, die auf Eigeninitiative, kollektiver Kreativität und einer globalen, nicht-institutionalisierten Infrastruktur beruht. Die Alltagskultur der Szene besteht in der kulturellen Produktion von Artefakten und deren Bewertung, Diskussion und Zirkulation, im Sich-Treffen auf den regelmäßigen Festen, den Demopartys, auf denen alle Produktionen einmalig uraufgeführt werden, um von der Community bewertet zu werden.
Die Szene kennt keine zentralen Organisationen, keine formalen Gremien, keine kommerziellen Strukturen. Sie ist anarchisch in der besten Bedeutung des Wortes: selbstorganisiert, vielfältig, selbstbestimmt. Entscheidungen fallen durch Praxis, Beiträge werden durch andere bewertet. Sie operiert als eine flache, demokratische und transnationale Kulturform, die seit Jahrzehnten Wissen weitergibt, ohne dabei ihre Autonomie zu verlieren. Damit steht die Demoszene nicht allein: Auch Hackerkulturen und die Open-Source-Community zeigen, dass digitale Kreativität nicht zwangsläufig an Kommerz, Plattformlogik oder Konzerninteressen gebunden sein muss. Es geht um Gestaltungsfreiheit, gemeinsames Lernen und Zugang zu Wissen.
Gerade die internationale Verflechtung ist zentral: Bereits seit den 1980er Jahren ist Englisch die Lingua Franca der Szene, Demos werden weltweit getauscht und bewertet. Partys finden von Finnland bis Chile, von den USA bis Japan statt. Projekte wie die »Revision Satellites« oder Mentoring-Initiativen auf Demopartys fördern diese globale Verbindung weiter. Dennoch liegt ihr historischer und struktureller Schwerpunkt in Europa. Hier haben sich besonders dichte Netzwerke, ikonische Veranstaltungen und eine langfristige kulturelle Sichtbarkeit herausgebildet.
Das Thema Diversität in der Demoszene wird im vergangenen Jahrzehnt ebenfalls verstärkt diskutiert. Es zeigt sich eine wachsende Awareness für u. a. genderbezogene und generationelle Vielfalt, sichtbar in gezielter Nachwuchsförderung und mehr Sichtbarkeit nicht-männlicher Szeneakteurinnen; Organisationsteams sind zunehmend vielfältig besetzt. Es ist ein Transformationsprozess, getragen von Community-Initiativen und Selbstreflexion.
Die gesamte Struktur ist bildungspolitisch hoch relevant. Denn einerseits wird hier technisches Knowhow nicht nur angewendet, sondern in kreative Praxis überführt. Es entsteht ein Zugang zu Software, Hardware und Gestaltung, der spielerisch und künstlerisch zugleich ist. Das öffnet Räume für ein Verständnis digitaler Systeme jenseits vorgefertigter Oberflächen, Wissen wird durch das Machen erschlossen.
In dieser Ausgabe von Politik & Kultur geht es um »POKE & PEEK« – ein bewusster Rückgriff auf die BASIC-Befehle, mit denen man direkt in die Speicheradressen alter Rechner eingreifen konnte. Genau diese Haltung prägt auch die Demoszene: Sie bleibt nicht auf der Oberfläche, sondern steigt hinab in die Tiefen des Systems. Sie versteht Computer als gestaltbares Material und als Ausdruck einer kulturellen Praxis, die längst unser gesamtes Lebensumfeld durchdringt.
Was lässt sich kulturpolitisch daraus ableiten? Zum einen: Digitale Kultur verdient institutionelle Sichtbarkeit und Förderung – auch dort, wo sie nicht aus Designstudios, Hochschulen oder Plattformökonomien stammt. Zum anderen: Kulturelle Bildung muss den Raum öffnen für technische Neugier, kreative Grenzüberschreitungen und kollektive Lernformen. Genau dafür steht die Demoszene – und deshalb ist ihre Anerkennung als immaterielles Kulturerbe nicht nur legitim, sondern richtungsweisend.
Sie zeigt: Digitale Kreativität braucht keine Hochglanzumgebung. Sie braucht eine Szene, die inspiriert, fordert, weitergibt. In einer vernetzten Welt, in der sich unsere kulturellen Praxen längst im Digitalen entfalten, geht es nicht nur um die Nutzung von Technik – sondern um das Verstehen und Bestimmen ihrer Richtung und Bedeutung.
Die Demoszene erinnert uns daran, dass es noch eine andere Kultur der Computer gibt, eine, die nicht auf Konsum, sondern auf Gestaltung zielt. Sie begreift digitale Systeme nicht nur als Werkzeuge, sondern als kulturellen Resonanzraum, in dem sich Kreativität, Wissen und Selbstverständnis unserer postdigitalen Gegenwart materialisieren, spielerisch, anarchisch und selbstbestimmt.