Leistung treibt unsere Gesellschaft an. Leistung zählt im Beruf ebenso wie im Privaten, der Wunsch nach Leistungssteigerung und Selbstoptimierung spornt uns an. Und natürlich fordern wir auch Leistung von allem, was unser Leben prägt – die Leistung unserer Autos, die Bilddiagonale des Smart-TV im Wohnzimmer, die Pixelzahl der Kamera: Leistung zählt! Natürlich muss auch unser Computer die beste Leistung bringen, andernfalls führt sein Weg geradewegs zum Recyclinghof. Aber warum sollten Menschen dann Homecomputer benutzen wollen, die schon 40 Jahre oder älter sind? Homecomputer, die nur einen Bruchteil der Leistung des kleinsten Smartphones besitzen?

Eine Antwort darauf lautet: Moderne Computer bringen Leistung, Homecomputer erzählen Geschichten. Geschichten wie die von Idek Tramielski, der 1928 im polnischen Łódź geboren wurde. Zwei Jahre vor dem Ende des Nationalsozialismus in das KZ Auschwitz und später in das KZ-Außenlager Hannover Ahlem verschleppt, überlebte er die Zwangsarbeit für die Continental Gummi-Werke. Er wanderte nach Kanada aus, nannte sich fortan Jack Tramiel und gründete 1954 die Firma Commodore Business Machines International (CBM), die Schreibmaschinen ausländischer Hersteller in die USA verkaufte. Früh stieg CBM in die Produktion von Taschenrechnern ein und übernahm 1976 den Halbleiterhersteller MOS Technologies. Von dessen Vordenker Chuck Peddle überredet, produzierte Jack mit CBM zunächst den »Personal Electronic Transactor«, den PET 2001. Zusammen mit Apples erstem direkt nutzbaren Computer, dem Apple II und dem Konkurrenzprodukt der Elektronikkette Tandy Radio Shack, dem TRS-80, bildeten diese drei Rechner die »1977 Trinity«. Diese drei legten den Grundstein für die Computerrevolution der 1980er Jahre. Später folgten weitere Commodore-Computer für den Büroeinsatz und für Heimanwender. Der VIC-20, im deutschen Sprachraum wegen des doppeldeutigen Kürzels als VC-20 vermarktet, machte sich als »Volkscomputer« einen Namen. Spätestens mit dem Commodore 64 waren dann Computer aus den Jugendzimmern der 1980er Jahre kaum noch wegzudenken. Mit Farbgrafik und Synthesizer-Sound prägten diese Geräte eine ganze Generation von Nerds.

Später, als Jack Tramiel bereits CBM verlassen hatte und mit Übernahme der angeschlagenen Firma Atari ein neues Kapitel seines Berufslebens eröffnete, brachte Commodore mit dem AMIGA einen Computer für kreative Künstler und Musiker auf den Markt. Die Präsentation des AMIGA fand am 23. Juli 1985 im Lincoln Center in New York statt, Stargäste waren der Pop-Art-Künstler Andy Warhol und die Sängerin Debbie Harry der Gruppe Blondie. Warhol verfremdete in seinem typischen Stil ein eben aufgenommenes digitales Bild von Debbie Harry live am Bildschirm – ein Novum, das den Computer als Werkzeug für bildende Künstler etablierte. Diese und viele andere Geschichten erzählen uns die Homecomputer früherer Jahrzehnte, während für die Desktops und Laptops von heute nur Leistung und immer mehr Leistung zählt.

Es gibt viele weitere Gründe für die Rückkehr der 8-Bit Rechner und ihrer 16-Bit Nachfolger auf die Schreibtische computer-affiner Menschen. Homecomputer sind selbst ein erlebbarer Teil einer vielfältigen Technikgeschichte. Heute besteht die Computerwelt fast ausschließlich aus Microsoft Windows, Apple Macintosh und hier und dort aus Linux. Die frühen Jahre der Mikrocomputer boten eine ungleich größere Vielfalt. Sie beginnt bei den Geräten selbst und setzt sich fort bei Speichermedien, Druckern, Betriebssystemen und den Anwendungsprogrammen und Spielen. Beispielsweise ist der technische Aufbau des Apple II, dem wohl am längsten produzierten 8-Bit Computer, gänzlich anders als der eines Commodore 64. Und ein Atari 800, ebenfalls ein besonders in den USA beliebter Rechner hat ein anderes Innenleben als der Sinclair Spektrum, dem aus Großbritannien stammenden und besonders preisgünstigen Homecomputer. Die Probleme, die es für die Entwickler zu lösen galt, waren zwar immer gleich: Wie kommt der Prozessor an seinen Arbeitsspeicher, wie kommt ein Bild auf den Monitor oder den Fernseher, wie lassen sich Programme speichern und wieder einladen? Doch die entwickelten Lösungen unterschieden sich mitunter drastisch. Ein Beispiel: Während ein Diskettenlaufwerk an einem Commodore 64 schon ein eigener Computer ist und ähnlich wie ein Großrechner einfach einen Datenstrom verarbeitet, übernimmt beim Apple II der Computer selbst die Steuerung der Mechanik im Laufwerk und sorgt für die korrekte Positionierung der Magnetköpfe. Heute werden Homecomputer-Fans spätestens dann neugierig auf derartige Details, wenn eine Diskette vom Apple II vom Commodore 64 nicht gelesen werden kann. Inkompatibilitäten waren lange der Preis der Vielfalt dieser Rechnergeneration.

Technisches Interesse wecken Homecomputer auch an der Mensch/Maschinenschnittstelle: Ein typischer Homecomputer begrüßt den Nutzer mit einem leeren Bildschirm und wartet auf Befehle in Klarschrift. Den Umfang der Befehle zu erlernen, ist damit essenziell für die Nutzung der Maschine. Sie zwingt den Nutzer förmlich, seinen Wissensschatz zu erweitern. Dies mag als hinderlich empfunden werden, doch wer Freude daran hat dazuzulernen, findet in Homecomputern ein beinahe unendliches Forschungsfeld. Während bei modernen hochkomplexen Rechnern der Weg vom Problem zur Lösung sehr lang sein kann, befriedigen die alten Rechner den Wissensdurst deutlich schneller: Viele kleine Rätsel finden ihre Auflösung bei der Reise durch die Interna des Computers, und Erfolg ist immer wieder erlebbar. Es macht schon einen Unterschied, ob es zur Anzeige eines Disketteninhalts nur eines Doppelklicks mit der Maus bedarf oder das Kommando LOAD »$«,8 gefolgt von LIST nötig ist.

Von der Kommandozeile ist der Weg nicht weit zur Programmierung, zum individuellen und kreativen Umgang mit dem Homecomputer. Fast immer sind 8-Bit Homecomputer eng mit der Programmiersprache BASIC verknüpft. BASIC wurde im Jahr 1964 am Dartmouth College in Neu Hampshire (USA) zunächst als Programmiersprache zur Ausbildung entwickelt. BASIC steckt in einer seiner vielen Varianten in den Festspeicherbausteinen der Homecomputer und ist nach dem Einschalten sofort verfügbar. Die Grundzüge der Programmierung in BASIC sind schnell zu erlernen, und die Anwenderin oder der Anwender erlebt den Stolz, ein kleines Programm selbst zum Laufen gebracht zu haben.

Homecomputer sind mehr als Artefakte der Technikgeschichte und taugen zu mehr als nur der Lernhilfe für elementare Computerfunktionen und einfache Programmiersprachen. Sie können Teil unserer Gegenwart werden, wenn Anwender ihre Fähigkeiten entsprechend ausnutzen. Homecomputer taugen auch heute noch für das, wozu sie ursprünglich einmal gebaut wurden. In erster Linie erwecken sie die Computerspiele früherer Jahrzehnte wieder zum Leben. Hier dominieren nicht Bildauflösung, Bildwiederholraten und Fotorealismus, sondern die originelle Spielidee und die geschickte Umsetzung. Gerade die schwachen Leistungsmerkmale der Systeme brachten ungewöhnliche Spiele hervor. Viele davon sind heute kostenlos legal im Internet zu erhalten, weil die Urheber sie freigegeben haben. Andere bewegen sich in einem Graubereich, nämlich dort, wo Hersteller verschwunden und Rechteinhaber nicht zu finden sind. Diese sogenannte Abandonware hat ihre Nutzer, echte Retrocomputer-Fans und Sammler bevorzugen jedoch Spiele in den künstlerisch gestalteten Originalverpackungen.

Homecomputer heute zu nutzen, kann auch Ausdruck eines bewussten Umgangs mit Ressourcen sein. Wir erleben heute eine Zeit, in der uns die neueste Betriebssystemgeneration durch sachlich schwer nachvollziehbare Anforderungen an die Technik zwingt, leistungsfähige Computer nach ein paar Jahren auszumustern. Hier kann die Nutzung eines Homecomputers einen Kontrapunkt setzen. Niemand mag ernsthaft Internet und Homebanking auf einem Commodore 64 in Erwägung ziehen. Briefe und Texte zu schreiben, gelingt aber auch auf einem 40 Jahre alten Computer. Dies gilt umso mehr, wenn neue Software alten Computern auf die Beine hilft. Jörn Mika, seit 25 Jahren Entwickler einer grafischen Oberfläche für 8-Bit Computer, sagte in einem Interview: »Eine grafische Oberfläche mit Fenstern, Icons, Maus und so weiter zu etablieren, (…) galt in brauchbarer Form auf einer 4 MHz 8-bit CPU früher als nicht machbar. (…) Zum Glück habe ich zehn Jahre später herausgefunden, dass die Allgemeinheit falsch lag.« Heute zeigt das von Mika und seinen Mitstreitern entwickelte Betriebssystem SymOS auf Computern wie dem Schneider CPC oder den 8-Bit MSX-Computern, dass manche Aufgaben von heute sich bequem auch mit einem Computer von gestern erledigen lassen. Und das auch ganz ohne Kommandozeile und nicht so verschieden vom Umgang mit heutigen Systemen. Übrigens – dieser Beitrag entstand auf einem Apple Macintosh SE aus dem Jahr 1987.

 

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 7-8/2025.