Ethik als philosophische Disziplin fragt nach den Voraussetzungen und der Bewertung menschlichen Handelns. Dies erfolgt nicht losgelöst von der alltäglichen Praxis des Lebens, sondern soll vielmehr genau diese reflektieren. Die Frage nach einer Ethik in Hinblick auf Liebhaber klassischer Computer ist daher durchaus berechtigt. Bereits erste Einblicke in die Retrocomputer-Szene machen schnell deutlich, dass kein allgemein anerkannter ethischer Kodex existiert. Aber die Szene diskutiert darüber, worin ein guter oder schlechter Umgang mit klassischen Computern besteht und was als richtiges Verhalten gilt.

Ein Aspekt der Diskussionen betrifft den richtigen Umgang mit Computersammlungen – denn die meisten Fans besitzen Dutzende oder gar Hunderte von Geräten. Genau das ist ein häufiges Thema: Wie umfangreich darf eine Sammlung sein? Sammler haben unterschiedliche Charaktere und dementsprechend fallen die Antworten auf diese Frage aus. Alte Computer, so ein häufig geäußertes Argument, müssen vor der Verschrottung gerettet werden, und daher ist es gut, möglichst viele davon in die eigene Sammlung zu holen. Diese wächst dann schnell an und füllt Keller, Garagen und Lagerräume, in denen die Geräte einer ungewissen Zukunft harren. Eine Rettung gelingt so nicht, denn ein gewisses Maß an Pflege der Stücke ist unabdingbar, sollen sie dauerhaft erhalten bleiben. Nur das zu sammeln, was ein Sammler auch in einem gebrauchsfertigen Zustand erhalten kann, gilt als guter Umgang unter den Retrocomputer-Fans. Und was passiert mit einer Sammlung, wenn der Eigentümer verstirbt? Wege, Nachlässe mit dem Ziel der dauerhaften Rettung der Objekte zu regeln, werden in den letzten Jahren immer häufiger diskutiert.

Defekte Retrocomputer wieder in Betrieb zu nehmen, ist für viele in der Szene die größte Motivation. Reparaturen erfordern neben fundierten Kenntnissen in Digitalelektronik vor allem Geduld und detektivischen Scharfsinn. Benötigte Schaltpläne der alten Computer sind nicht immer verfügbar, Ersatzteile sind schwer zu beschaffen. Einige Hersteller haben es früher bewusst erschwert, Bauteile überhaupt korrekt identifizieren zu können. Wer sich diesen Herausforderungen stellt, genießt hohes Ansehen in der Szene, besonders dann, wenn es sich um seltene Computer handelt.

Puristen versuchen, bei Reparaturen ihre Rechner so originalgetreu wie möglich instand zu setzen. Das bedeutet einen hohen Aufwand, sowohl bei der Elektronik als auch bei mechanischen Komponenten wie Festplatten oder Diskettenlaufwerken. Dann muss ein anderer, schwerer beschädigter Rechner oder eine Komponente als Ersatzteillager dienen. Defekte Computer einfach wegzuwerfen, ist daher in der Szene verpönt. Und auch wenn das Innenleben einen Totalschaden hat, ist das Gehäuse selbst ja vielleicht noch intakt. Während heutige Computer meist nur langweilig quaderförmig sind, haben Hersteller in früheren Zeiten viel Kreativität aufgewendet, um passende Hüllen für die Elektronik zu designen. Beschädigte Gehäuse sind daher nicht einfach durch Neukauf zu ersetzen. Ausnahmen bilden Nachbauten, die entweder durch 3D-Druck oder Kunststoff-Spritzguss hergestellt werden. Für letzteren sind Aufwand und Kosten aber immens, weil die erforderlichen Gussformen aufwändig und teuer in der Herstellung sind. Neue Gehäuse für alte Rechner sind daher selten und nur für sehr weit verbreitete Modelle zu bekommen. Umso wertvoller sind gut erhaltene Gehäuse seltener Rechner.

Sammler, die ihre Geräte nutzen wollen, ersetzen gern einzelne Komponenten durch moderne Pendants. Beliebt und allgemein akzeptiert sind vor allem Floppy-Emulatoren: An die Stelle der Diskette tritt eine Speicherkarte oder ein USB-Stick, auf der sich die Inhalte der ursprünglichen Diskette befinden. Entsprechende Diskettendateien finden sich massenweise im Internet. Manche Emulatoren gehen noch weiter und bringen einen Netzwerkanschluss oder sogar WLAN mit und holen sich die Diskettendateien direkt aus dem Internet. Ähnlich findige Lösungen gibt es auch als Ersatz für alte Festplatten. Weitere moderne Lösungen ermöglichen außerdem den Anschluss der klassischen Computer an moderne Flachbildschirme oder machen USB-Tastaturen und -Mäuse benutzbar. Daneben existieren viele Lösungen, um den Arbeitsspeicher oder die Rechenleistung zu erhöhen. Einige davon sind vollständige neue Computer, die nur noch das Gehäuse und die Tastatur des ursprünglichen Rechners nutzen. Derart ausgebaute Systeme sind eher Neugeräte als klassische Computer, und entsprechende Entwicklungen ernten in der Szene durchaus Kritik. Alle diese Lösungen stammen nicht von großen Herstellern, sondern wurden von Einzelpersonen oder Gruppen entwickelt, teilweise mit eigenem Kapital finanziert, teilweise durch Crowdfunding-Kampagnen. Es sind so eine Vielzahl von Lösungen entstanden, die, in Kleinserien produziert, direkt über Internetforen abgegeben werden, manchmal auch mit geringem Aufpreis durch spezialisierte Shops. Oft sind die Baupläne für die Entwicklungen frei erhältlich; einem Nachbau steht also nichts im Wege.

Die Ethik des Retrocomputing beinhaltet also den Willen, Computer der letzten Jahrzehnte zu bewahren, betriebstüchtig zu halten und moderat zu modernisieren. Der Computer als Kulturgut soll so für nachfolgende Generationen nicht nur erhalten, sondern weiterhin erlebbar bleiben.

 

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 7-8/2025.