Gemeinhin gelten die Welt des Spiels und die Welt der Technik als Antipoden. Ernst trifft auf Leichtigkeit, Effizienz auf Spaß, Wissenschaftlichkeit auf Kreativität, Exaktheit auf Freiheit. Seit der grundlegenden Untersuchung »Homo Ludens« (1937) von Johan Huizinga wissen wir jedoch, dass Spiel und Spielen in anthropologischer Betrachtung konstitutiv für die Entwicklung von kulturellen Systemen sind. Der homo faber setzt den homo ludens als Existenzform voraus.
Gleiches gilt auch für die Entwicklung von Technologien und die soziale Implementierung von disruptiven technischen Konzepten; das Spiel eröffnet den Weg zu neuen Ideen, ist ein Treiber von Innovationen und erleichtert auch deren Adaption und Akzeptanz. Die Technikgeschichte lässt bei näherem Hinsehen viele erfolgreiche Interaktionen von Spielelementen und Innovationslogik erkennen.
Im Barock entsteht die »Allesschreibende Wundermaschine« (1760) des Wiener Hofmechanikers Friedrich von Knaus, ein ingeniöses und ästhetisches Mirakel, das selbsttätig zu schreiben scheint und für lange Zeit als perfekter Automat, also der Maschinenwelt zugehörig, angesehen wurde, tatsächlich aber dem Amüsement der Wiener Hofgesellschaft diente. Eine autonome Schreibmaschine, ohne Zwecke und ohne Botschaften – frühe digitale Steuerungen, eingesetzt für die Bezauberung. Vom Spiel mit der Identität, vom scheinbaren Leben figürlicher Automaten, ihrem Changieren zwischen Natur und Technik geht bis heute eine ungeheure Faszination aus.
Das Maschinenwunder von Knaus kann als Prototyp moderner Roboter betrachtet werden. Roboter gelten als die effizientesten Maschinen, in vielem perfekter als der Mensch und deswegen oft auch als Bedrohung empfunden. Den heutigen humanoiden Robotern gehen schon seit der Renaissance Bemühungen voraus, Tiere als Maschinen nachzubauen: Mechanische Hunde können laufen und kleine Kunststücke ausführen, Hühner Eier legen und Vögel in Käfigen singen. Mit großem Aufwand und rätselhafter Kunstfertigkeit gebaut, dienen diese Kreationen der Unterhaltung eines großen Publikums – bis heute. Erstaunlicherweise sind es wieder die spielenden Hunde, die in der Entwicklung der modernen Robotik eine bedeutende Rolle spielen. Informatikstudenten programmieren vor gut 20 Jahren die in Serie hergestellten Aibos von Sony um und entwickeln eigene Hundemodelle, die zum Fußballspielen perfektioniert werden und in speziellen Ligen (RoboCup) gegeneinander antreten. Serielles Spielzeug mit hohem technischen Standard wird optimiert, um neue spielerische Freiheitsgrade zu ermöglichen. Gleichzeitig werden in den wissenschaftlichen Labors kleine Kampfroboter entwickelt, die heutigen autonomen militärischen Systemen vorausgehen, die aber zunächst als technisch hochentwickelte Wrestler gegeneinander antreten. In den Manegen dieser Hightech-Spiele werden über die Freude am Spiel von Fußball- und Kampfmaschinen ganz neue Handlungs- und Einsatzkonzepte für autonome Systeme in Produktion, Haushalt und Militär kreiert.
Schon 30 Jahre vor dem Aibo sind in der beliebten TV-Sendung »Robbi, Tobbi und das Fliewatüüt« (seit 1972) ein Roboter und eine universell einsetzbare Maschine die besten Freunde eines kleinen Jungen, TV-Unterhaltung ist der Transmissionsriemen für die Normalisierung einer Idee von menschlicher und technischer Synergie. Ähnliches kann für das spätere Tamagotchi (seit 1997) gelten, das als eine Mischung von Alien und Baby Millionen Kinder spielerisch die Koexistenz mit intelligenten Maschinchen nahegebracht hat.
Viele bekannte Erfinder und Ingenieure verweisen darauf, dass ihr erfolgreicher Berufsweg nur erklärbar ist aus der frühen Begegnung mit technischem Spielzeug. So verweist der erfolgreiche Dübel-Erfinder und Unternehmer Artur Fischer (2.252 Patente und Gebrauchsmuster) auf seine Spiel- und Bastelerfahrungen mit dem Märklin-Baukasten, die prägend für seine spätere Neugier und Geduld bei der Entwicklung von neuen technischen Lösungen waren. In seinen späten Jahren beschäftigte sich Fischer konsequenterweise mit der Kreation von neuartigem Spielzeug, um heutige Spielgenerationen mit adäquaten Anregungen versorgen zu können. Auch der Computerpionier Konrad Zuse war in seiner Jugend ein bewunderter Märklin-Baumeister und nutzte das gleiche Baumaterial in Abwandlungen tatsächlich für seinen ersten Computer, die legendäre Z1 (1937), als autorisierte Replica heute zu sehen im Deutschen Technikmuseum. So lässt sich zumindest für die deutsche Linie der Computergenese eine unmittelbare Verbindung zu Spielwelten herstellen.
Bei den späteren Computerspielen ist offenkundig, dass hier mit Technik gespielt wird. Oft werden aber mit den Spielprogrammen auch andere Programme ausgeliefert. Kinder und Jugendliche lernen ungezwungen den Umgang mit leistungsstarker CAD-Software, der für die Generation davor unvorstellbar war. »Sie entwerfen ganze virtuelle Welten oder Spielfiguren und Gefährten, sie spielen mit den Parametern der Welten, justieren diese simulierte Physik und lernen eine Kulturtechnik, die es vorher nicht gegeben hat. Dieser Umgang, dieses Ausprobieren und Entwerfen im virtuellen Raum ist durch und durch spielerisch. Das ist vergleichbar mit der Szenario-Technik, man probiert etwas aus, man entwirft, ohne Material zu verschwenden, und dann teilt man das miteinander. Man kann hier von einer Subkultur der Modifikation der Mods sprechen.« (Mark Butler)
Das Emotional Design vieler heutiger Technikobjekte von Autocockpits bis zu Bedienoberflächen von Hightech-Küchenmaschinen implementiert viele ludische Elemente, die sich aus der Welt des Gaming ableiten lassen.
Schon ein kurzer Blick auf die Entwicklungslinien von Technik und technischen Objekten zeigt, dass die anscheinend so zweckrationale Welt des modernen homo sapiens ohne die Impulse des homo ludens nicht wirklich verstanden werden kann.
Mehr dazu: Joseph Hoppe, Bernd Lüke, Stefan Poser (Hg.). Spiel mit Technik: Katalog zur Ausstellung im Deutschen Technikmuseum Berlin. Berlin 2006