Olaf Zimmermann: Herr Robel, auf Ihrer Homepage habe ich Folgendes gelesen: »Ich gehe gerne zuweilen auf meinen Dachboden, lege den 230 Volt Schalter um und warte auf den Ablauf des Speichertests, verfolge das Auftauchen wirrer Zeichenfolgen und Farborgien, bis sich der Mikroprozessor durch Tausende beim Einschalten zufällig entstandene Bytes gefressen hat und das Spiel beginnt. Dann bin ich wieder da, wo ich früher einmal war.« Wo waren Sie früher, und wo sind Sie heute?

Wolfgang Robel: Ich war früher in einer spannenden Welt, die jede Woche etwas Neues zu bieten hatte, frische Technologie und die Möglichkeit, an dieser Technologie aktiv teilzunehmen. Zum Beispiel die Entwicklung der Computer, die extrem dynamisch war. Die Entwicklung neuer Generationen von Prozessoren war immer eine technologische Offenbarung. Es wurde plötzlich alles so viel schneller, so viel besser, so viel bunter. Das war eine Zeit der Aufbruchsstimmung, der Begeisterung. Und daran haben sehr viele Leute teilgenommen. Heute befinde ich mich in einer Zeit, in der die gesamte Gesellschaft mit Technologie übersättigt ist, in der es keine wirklichen Fortschritte mehr gibt. Es ist alles so schnell und so leistungsstark, dass man als Normal-User den Unterschied überhaupt nicht mehr sieht: Der neue Rechner ist genauso schnell wie der alte Rechner. Die Grafik ist exorbitant gut, so gut, dass man die Qualitätsunterschiede in den neuen Computer-Generationen nicht mehr erkennen kann. Es wird nur noch Technologie um der Technologie willen verkauft, nicht um des Lebens willen. Es ist eine Zeit, die ich ein bisschen armselig finde, weil keiner mehr versteht, was da abläuft. Und es entsteht eine Erwartungshaltung, dass man permanent mit irgendetwas Neuem berieselt wird, die ich nicht mehr nachvollziehen kann.

 

Ihre Homepage gibt einen spannenden Einblick in Ihr Denken. Da geht es um alte Geräte, z. B. den alten 8-Bit Computer, um alte Elektronik. Sie haben sich mit Mikrocontrollern beschäftigt. Ich kann nur jede Leserin, jeden Leser einladen, sich diese Seite einmal anzuschauen. Warum haben Sie so viel gesammelt? Man findet alleine 752 Platinen-Fotos auf Ihrer Seite. Das ist schon ein wenig verrückt, oder?

Ja, verrückt ist es auf jeden Fall, aber auch spannend. Normal ist manchmal ein bisschen langweilig, finde ich. Allerdings befinden sich nicht alle Platinen, die auf dieser Fotoseite abgebildet sind, in meinem Besitz, sondern nur ein Bruchteil davon. Ich habe viele davon repariert. Ich habe aber auch viele Fotos zugeschickt bekommen von begeisterten Lesern dieser Seite, die eine Art Enzyklopädie der Arcade-Spiele-Hardware ist. Die Sachen sind mittlerweile so alt, dass sie vom Herumliegen kaputtgehen. Und man ist gut beraten, wenn man bei all den verbastelten Platinen, die auf dem Markt sind, einmal das Foto einer guten Platine sieht und weiß, was dort hinkommt, wo man bei sich selbst nur noch einen rostigen Baustein hat, den man nicht mehr entziffern kann.

Sie basteln, Sie reparieren, Sie richten alte Geräte wieder her. Auf Ihrer Homepage berichten Sie von Reparaturen, die gelungen, offen oder auch gescheitert sind. Für jemanden, der selbst manchmal versucht, solche Sachen zu reparieren, und dann manchmal auch gnadenlos scheitert, ist es unglaublich beruhigend, dass bestimmte Dinge wohl einfach nicht mehr zu reparieren sind.

Manche Geräte sind vom Design her so entwickelt, dass sie nach 40 Jahren nicht reparabel sind. Die Hersteller haben damals kundenspezifische Bausteine eingesetzt. Die gibt es nicht mehr zu kaufen. Da gibt es durchaus ein Ablaufdatum für meine Zunft des Reparierens von Retroelektronik.

 

Bei alledem, was Sie gesammelt, was Sie repariert haben: Was ist Ihr Lieblingscomputer oder die liebste elektronische Struktur?

Mein absoluter Favorit ist die Diehl Combitronic. Die Rechenmaschinenfirma Diehl hat früher Tischrechenmaschinen hergestellt. In den 1970er Jahren hat Diehl angefangen, die Tischrechnersparte in die Elektronik zu überführen und hat da einen gewaltigen Quantensprung hingelegt. Man hat sich den Entwickler Stanley P. Frankel an Land gezogen. Frankel hat in Los Alamos gemeinsam mit Robert Oppenheimer die Atombombe berechnet. Er hatte in Los Alamos einen Computer, der sehr unzuverlässig war und sehr, sehr groß. Er hat dann aus eigenem Antrieb einen Rechner entwickelt, der am Stuttgarter Computermuseum zu sehen ist, ein Rechner, der nur aus 125 Röhren, vielen Dioden und einem magnetischen Trommelspeicher besteht. Ich wusste bis dato nicht, dass man aus so wenig Bauelementen einen kompletten funktionsfähigen Computer bauen kann. Frankel ist von der deutschen Firma Diehl an Bord geholt worden und hat für diese Firma die Combitron entwickelt. Die basiert auf dem gleichen Prinzip. Es ist ein Tischrechner, der nur aus knapp 125 Transistoren und einem Laufzeitspeicher besteht. Es ist faszinierend, dass das funktioniert. Dieser Rechner ist reduziert auf ein Mindestmaß an Funktionalität und bietet alles, was ein moderner Rechner auch bietet, nur eben deutlich langsamer.

 

Sie haben ihn auch bei YouTube vorgestellt.

Ja, den haben wir als Combitronic (das Nachfolgemodell mit ICs) vorgestellt auf dem YouTube Kanal Zerobrain meines Freundes Dominik, der diesen Kanal betreibt. Auf diesem Kanal bringe ich öfter meine alte Elektronik neben seine Zerstörungsorgien von moderner Elektronik.

 

Dieser Kanal zeichnet sich u. a. dadurch aus, dass Sie gemeinsam ständig Alkoholpralinen zu sich nehmen …

Die Schnapspralinen stammen von Marc Uwe Kling, der die Känguru Chroniken geschrieben hat. Dort sind die Schnapspralinen ein tragender Bestandteil der Geschichte. Wir beide teilen diesen anarchischen Humor, deshalb haben wir das als Gag in diese Serie aufgenommen.

Wir schreiben das, worüber wir im Video sprechen, nie auf. Ich komme mit einem Haufen Krempel. Dominik weiß vorher nicht, womit. Und dann stellen wir uns darauf ein und drehen ein bis zwei Stunden am Stück. Daraus werden dann die Filme.

 

Sie haben auch über DDR-Lerncomputer gesprochen, Sie haben sich die ganzen 8-Bit Rechner vorgenommen. Sie haben sogar einen Kurs für die Computersprache Assembler angeboten. Warum machen Sie das eigentlich?

Ich habe immer das Bedürfnis, das, was ich tue, anderen zugänglich zu machen. Ich wäre eigentlich gerne Lehrer geworden. Das scheitert daran, dass ich absolut unfähig bin, mir Namen zu merken. Das wäre sehr peinlich geworden. Insofern nutze ich jetzt die Gelegenheit, anderen Leuten diese Technik näher zu bringen. Ich finde es faszinierend, was da an Entwicklungsaufwand drinsteckt. Ich bin selbst schon seit 25 Jahren Hard- und Softwareentwickler. Das ist eine Profession. Ich wollte immer wissen, wie Dinge funktionieren. Ich habe als kleines Kind Spielsachen geschenkt bekommen, zum Beispiel eine Dampfeisenbahn aus dünnem Blech. Ich habe alles geöffnet. Ich war erst zufrieden, wenn ich diese Eisenbahn komplett in jedes Einzelteil zerlegt hatte. Damals hatte ich allerdings noch nicht die Fähigkeit, sie wieder zusammenzubauen. Mittlerweile kriege ich sie auch wieder zusammen. Und ich will anderen Leuten erzählen können, wie es funktioniert.

 

Wenn man sich heute moderne elektronische Geräte anschaut, dann weiß man nicht mehr, was drin ist. Wir wissen theoretisch, dass ein Chip darin ist oder irgendwelche Speicherelemente, aber wir können sie uns nicht richtig anschauen, geschweige denn manipulieren. Es sind oft Blackboxes. Ist das, was Sie tun, auch ein bisschen der anarchistische Kampf gegen das System? Schauen Sie deshalb zumindest bei diesen alten Sachen, was drin ist?

Ein Protest ist es nicht. Ich möchte vor allem der Jugend vermitteln, dass das, was sie heute in der Hand hat und was sie nicht mehr versteht, eigentlich verständlich ist. Denn das, was in den Geräten der 1980er Jahre passiert, ist das Berechnen von Hexadezimalzahlen, das Ansteuern von Leuchtdioden, das Schalten von Transistoren, und das ist heute nicht anders. Es ist eine Illusion zu glauben, wir hätten die Elektronik so stark weiterentwickelt. Sie ist nur kleiner, schneller und umfangreicher geworden. Aber am grundlegenden Funktionieren hat sich nichts geändert. Da ist diese Diehl ein gutes Beispiel. Sie wiegt ungefähr 30 Kilo, besteht fast nur aus Metall, macht aber das gleiche, was heute mein Handy macht, nur eben langsamer.

In vielen Kommentaren auf dem YouTube-Kanal erklären die Leute, dass sie endlich mal verstanden haben, wie etwas funktioniert. Viele sagen auch, was soll der alte Scheiß, mit dem muss man sich nicht mehr beschäftigen. Aber die missverstehen völlig, dass wir in einer Gesellschaft leben, in der die wenigsten Leute noch die Hoffnung haben, irgendetwas zu verstehen. Diese Hoffnung möchte ich ihnen geben. Wir können die Technik, die wir heute in der Hand haben, mit relativ einfachen Mitteln verstehen. Dann benutzen wir sie vielleicht auch verantwortungsvoller.

 

Verstehen ist einer der wesentlichen Grundzüge von Aufklärung, von kultureller Entwicklung. Wenn Sie Menschen dieses Verstehen ermöglichen, ist das für Sie auch eine kulturelle Tätigkeit im Sinne von Aufklärung, von Information, von Partizipation? Sozusagen ein Stückchen Demokratie?

Ja, es bringt Menschen zusammen. Es gibt diverse Foren, in denen sich Leute austauschen, auch erstaunlich viele Junge sind dabei. Das ist eine Welt, in der Menschen Fragen stellen, in der sie neugierig werden, in der sie auch Antworten geben. Bei dem YouTube-Kanal Zerobrain sind wir manchmal provokant, und das mit dem Gedanken: Da schauen wir doch mal, was die Leute dazu schreiben. Die sollen sich ruhig ein bisschen echauffieren. Das fördert den Diskurs und das Verständnis füreinander. Und es fördert unser Verständnis für unsere Zuschauer.

 

Wenn Sie in die nächsten Jahre schauen und einfach mal in die Zukunft spinnen. Haben Sie da einen kulturpessimistischen oder einen kulturoptimistischen Ansatz?

Auf der einen Seite habe ich einen kulturpessimistischen Ansatz, weil ich sehe, wie die Welt langsam vor sich hin verblödet. Das fängt in der Weltpolitik gerade ganz grandios an. Das stimmt mich pessimistisch, weil ich sehe, dass das kulturelle Anspruchsverhalten der Menschen abnimmt. Auf der anderen Seite sehe ich, was wir im Internet machen und wie groß die die Beteiligung ist – der Videokanal hat 100.000 Abonnenten, das ist keine Kleinigkeit. Es besteht also noch Hoffnung. Und die möchte ich mit meinen Beiträgen nähren.

 

Vielen Dank.

 

Weitere Informationen online unter: wolfgangrobel.de sowie youtube.com/channel/UC8Mt0oI0zRj35ZwYjImUOgg

 

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 7-8/2025.