Müsste man ein Datum festlegen, ab dem die Menschen beginnen, sich einen Computer anzuschaffen, dann wäre der 5. März 1975 ein heißer Anwärter. An diesem Abend treffen sich rund 30 Nerds, um einen Club zu gründen. Natürlich in einer Garage im Silicon Valley. Anlass ist die berühmte Ausgabe Januar 1975 der Zeitschrift Popular Electronics. Auf dem Titelbild ist der erste (erfolgreiche) Computer für den Hausgebrauch abgebildet: der Altair 8800. Was Jahre zuvor noch einen ganzen Saal einnimmt und einige Millionen Dollar kostet, ist zur Größe eines Schuhkartons geschrumpft und für einige hundert Dollar zu haben. Bisher besitzt fast niemand einen Computer. Aber das wird sich rasch ändern.
Zunächst ist es ein Hobby für Bastler, mit Wurzeln in der Elektronik und im Amateurfunk. Der Altair und seine Brüder haben nur eine Frontblende mit LEDs und Kippschaltern. Wohl lassen sich diese Rechner um eine Tastatur und einen Bildschirm erweitern, aber das braucht Kenntnisse.
Greifbar werden Computer erst als Fertigpakete. Die ersten drei großen Modelle sind der Apple II, der TRS-80 von Tandy RadioShack und der Commodore PET. Rückblickend erhalten sie den Spitznamen »Trinity of 1977«.
Der Commodore VC 20 von 1980 wird der erste Heimcomputer, der sich weltweit mehr als eine Millionen Mal verkauft. Weit übertroffen wird er von seinem Nachfolger Commodore 64. Er wird der erfolgreichste Heimcomputer überhaupt. Zusatz-Chips für Grafik und Sound sorgen für eine plastische Darstellung von Spielwelten. Besonders populär ist der Commodore in Westdeutschland, wo es in Braunschweig sogar ein Werk gibt (und »VC« in »Volkscomputer« umgemünzt wird).
Das soll nicht darüber hinwegtäuschen, dass im Grunde in Westdeutschland keine Heimcomputer – und Spielkonsolen – entstehen, anders als etwa in Frankreich mit Thomson und vor allem in Großbritannien mit Sinclair, Acorn und Amstrad. Damals wie heute ist Deutschland vor allem ein Absatzmarkt für Mikroelektronik und Software – und weniger eine Quelle.
Im Gegensatz zu heute sind Computer in den 1980er Jahren nach dem Einschalten »leer«. Meist meldet sich die Programmiersprache BASIC – man muss zumindest einige Befehle kennen, um den Rechner zu bedienen. Und sei es, um Spiele von Diskette oder Tonbandkassette zu laden. Der Schritt zum richtigen Programmieren ist nicht weit; und man lehnt sich nicht weit aus dem Fenster, wenn man behauptet, dass damals ein weitaus größerer Teil der Nutzer seinen Rechner zum Programmieren und für andere kreative Aktivitäten nutzt, anstatt nur zu konsumieren.
In der Zeit vor dem World Wide Web sind Zeitschriften wie CHIP und Happy Computer die wichtigste Quelle für Neues und Nützliches – und dienen zugleich als Kontaktbörse und als Forum für Diskussionen. Freilich kann man bereits online gehen, sich mit Akustikkoppler und Modem in Mailboxen und Bildschirmtext einwählen, aber das ist eher die Ausnahme.
In der DDR startet das Zeitalter des privaten Computers einige Jahre später. Wohl verbreiten sich auch im Osten seit den 1950er Jahren Rechenanlagen in Hochschulen, Betrieben und Instituten. Aber einen Computer hat noch Anfang der 1980er Jahre kaum jemand zu Hause.
Vor dem Hintergrund des Hightech-Embargos und aus Mangel an Devisen entscheidet sich die DDR für den Aufbau einer eigenen Industrie für Mikroelektronik und Computer. Sie münden in Maschinen-Steuerungen, in Bürocomputern – und Mitte der 1980er Jahre in Heimcomputern. Zwei Betriebe arbeiten gleichzeitig an Rechnern für die private Nutzung, zunächst ohne voneinander zu wissen: Robotron Dresden am Z 9001, Mikroelektronik Mühlhausen am HC 900. Eigentlich sind miteinander konkurrierende Produkte in der DDR nicht vorgesehen; doch da die Geräte dringend gebraucht werden, lässt man die Tüftler gewähren. Von oben verfügt wird aber eine Namensänderung in KC 85/1 und KC 85/2. Die Nomenklatur »Kleincomputer« trägt der Tatsache Rechnung, dass zu wenige produziert werden können, um sie frei zu verkaufen. Sie sind Betrieben, Schulen und Hochschulen vorbehalten, finden aber später dennoch vereinzelt den Weg in den Handel.
Daher gibt es zunächst nur einen DDR-Computer für das Wohnzimmer: den Z 1013. Er wird als Bausatz angeboten, wie vergleichbare Rechner zehn Jahre zuvor in den USA. Käufer müssen die einfache Tastatur in der Anmutung einer Leiterplatte an die Hauptplatine löten, ein Netzteil besorgen und ein Gehäuse zimmern. Dann können sie loslegen. Der Mangel an Fertiglösungen führt immer wieder zu originellen bis abenteuerlichen Ideen; und Anregungen erhält man über Zeitschriften wie FUNKAMATEUR.
Die DDR bemüht sich, trotz weniger Ressourcen Schritt zu halten. Die »Schlüsseltechnologie Mikroelektronik« dringt überall durch. An vielen Schulen entstehen Computer-Kabinette, und wo es keine gibt, können Schüler sie in Betrieben und Hochschulen nutzen. Es gibt Fernseh- und Radiosendungen, einen Lernkurs für die Programmiersprache BASIC auf Kassette und eine Reihe von Büchern und Zeitschriften. Sogar die SED-Zeitung Neues Deutschland druckt hin und wieder Programme zum Abtippen ab. Die DDR ist es, die den Begriff Computer-Sport einführt – und dabei nicht nur an Programmier-Wettbewerbe denkt. Für Computer und Software fällt bereits der Begriff Kulturgut, und Spiele werden als ein kreativer Türöffner in die Welt der Mikrochips erkannt. Damit hat der Osten ein unverkrampfteres Verhältnis zu Computern als der Westen.
Kontakte zu den anderen Ländern des Ostblocks sind selten. Zumal dort eher Nachbauten von Rechnern wie dem Apple II und dem Sinclair ZX Spectrum produziert werden, die sich nicht mit den Kleincomputern der DDR verstehen. Es ist schwierig, Adressen von Gleichgesinnten zu erhalten. Briefe etwa in die Sowjetunion dauern mehrere Wochen. Und da ist die Sprachbarriere – wenngleich Russisch im ganzen Osten gelernt wird.
In der Bundesrepublik bilden sich zahlreiche Clubs und Vereine. Mal sind sie auf einen Ort beschränkt, mal auf einen Computertyp. Der älteste noch bestehende dürfte die bereits 1979 formierte AUGE – Apple User Group Europe – sein. Ebenfalls eine lange Tradition hat der ABBUC – Atari Bit Byter User Club.
In der DDR bilden sich vor allem informelle Arbeitsgemeinschaften, die um einen Kleincomputer-Raum kreisen. Vereine sind einem Träger unterstellt; etwa dem Kulturbund oder der FDJ. Der bekannteste Computer-Club der DDR wird 1986 im Haus der jungen Talente in Berlin eröffnet – und setzt ganz und gar auf Westtechnik, bezahlt mit staatlichen Mitteln. Denn während der Staat kein Freund von »Westpaketen« ist, drückt er bei Computern ein Auge zu. Er hat ein Interesse daran, dass die Bevölkerung Erfahrung mit der neuen Technik sammelt. In der Tat ist es sogar leichter, an einen Westcomputer zu gelangen. Von Verwandten mitgebracht, für Devisen in Intershop-Läden gekauft oder gebraucht für mehrere tausend DDR-Mark von privat erworben. Das führt zu der kuriosen Situation, dass in der DDR in Haushalten überwiegend Westrechner stehen, vor allem die günstigeren von Atari und Sinclair, während die meisten Einwohner durch die vielen Kabinette in Schulen, Universitäten und Betrieben mit DDR-Kleincomputern in Berührung kommen.
Die Begeisterung für die alten Geräten erlahmt nicht. Bei manchen ist das Feuer nie erloschen; andere entdecken 20, 30 Jahre später das Hobby aus ihrer Kindheit wieder: Computerspiele. Es gibt den Verein zum Erhalt klassischer Computer, es gibt Websites wie Forum64.de für den C64 und A1K.org für den Amiga. Es gibt Veranstaltungen wie die Classic Computing (dieses Jahr am 13./14. September in Hof). Es gibt Treffen, die sich auf eine Marke konzentrieren, wie die DoReCo für den C64 (vom 4. bis 7. September nahe Soest). Und längst haben sich neben dem Computerspielemuseum Berlin weitere Einrichtungen gegründet, etwa das Hi-Score in Hannover und das Flipper- und Arcademuseum Seligenstadt, die beide auch mit großen Spielautomaten aufwarten. Das Heinz Nixdorf Museumsforum in Paderborn lädt gemeinsam mit der DoReCo regelmäßig zum Retro Computer Festival ein (11./12. Oktober). Liebhaber von DDR-Computern tauschen sich im Forum von Robotrontechnik.de aus und versammeln sich einmal im Jahr zum KC-Treffen nahe Zerbst. Manchmal schauen Entwickler und Ingenieure von damals vorbei. Einige dieser Veranstaltungen dienen eher dem internen Fachsimpeln, andere richten sich auf Besucher ein. Die sind überall willkommen und finden mit Glück jemanden, der die alten Schätze reparieren kann. Das ist meist kein Hexenwerk.
Noch heute werden neue Spiele für antiquierte Heimcomputer und Spielkonsolen programmiert; Musikstücke laufen in Webradios und werden in Konzertsälen aufgeführt. Darüber berichten Zeitschriften wie RETURN und Retro Gamer.
Wer Interesse an Heimcomputern und Spielkonsolen von damals hat, aber sich nicht mit Tonbandkassetten, Disketten und dem Antenneneingang abplagen will, für den werden zahlreiche moderne Lösungen angeboten, kleine Kästchen mit zahlreichen eingebauten Spielen von gestern, die sich per HDMI an Fernseher von heute anschließen lassen.