Was ist Kunst? – Die Kunst ist frei, statuiert das Grundgesetz in Art. 5 Abs. 3 S. 1. Beschränkungen, also die Möglichkeit staatlicher Eingriffe, nennt das Grundgesetz keine ausdrücklich. Die Kunstfreiheit kann deshalb nur aus Gründen, die in der Verfassung selbst liegen, eingeschränkt werden. Das unterscheidet sie etwa von der Meinungsäußerung, die – neben den verfassungsimmanenten Schranken – nach Art. 5 Abs. 2 GG zum Beispiel auch in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze ihre Beschränkungen finden kann. Durch allgemeine Gesetze kann jedes Rechtsgut gegen die Meinungsfreiheit einschränkend wirken. Eine Verhältnismäßigkeitsprüfung, also insbesondere eine Abwägung, muss freilich in jedem Fall erfolgen.

Diese zunächst formal starke Gewährleistung der Kunstfreiheit führt zur Frage, was Kunst im Sinne des Grundgesetzes überhaupt ist. Darüber lässt sich trefflich streiten, zumal der Kunst das Freie, das Grenzen Sprengende und die Ausdehnung des Kunstbegriffs innewohnt. Klar ist, dass sich schon im Rahmen der Begriffsdefinition der Staat nicht aufschwingen können soll zu entscheiden, was wahre, richtige oder gute Kunst ist. Darüber hinaus wurde teilweise gefordert, dass überhaupt nicht staatlicherseits definiert werden sollte, was Kunst ist, sondern es allein auf die Intention des Künstlers oder der Künstlerin ankäme. Dass das nicht funktionieren kann, liegt auf der Hand. Der Status als Kunst im Sinne der besonderen Gewährleistung des Grundgesetzes wäre sonst gleichsam ausgehöhlt. Das zeigt nicht zuletzt ein Fall, den das Oberverwaltungsgericht Münster im Jahr 2012 zu entscheiden hatte (OVG Münster, NVwZ-RR 2012, S. 682, 684 f.). Das EU-Verkaufsverbot für Glühlampen sollte – erfolglos – dadurch umgangen werden, dass der Verkauf, verbunden mit einer Regenwaldspende, als Kunstaktion und Vertrieb von »Heatballs« bezeichnet wurde.

Erscheint eine Definition geboten, so muss sie behutsam, also weit sein, um die Staatsfreiheit sicherzustellen und um nicht Kunstformen auszuschließen, die die Mehrheit der Bevölkerung vielleicht noch nicht als Kunst ansieht.

 

Das Bundesverfassungsgericht verwendet verschiedene Ansätze, um Kunst zu definieren:

 

  1. Der formale Kunstbegriff fragt, ob die Gattungsanforderungen eines bestimmten Werktyps erfüllt sind.
  2. Der materiale Kunstbegriff sieht Kunst als freie schöpferische Gestaltung von Eindrücken und Erfahrungen.
  3. Der offene Kunstbegriff betont die Vieldeutigkeit künstlerischer Äußerungen und ihre Möglichkeit zur fortgesetzten Interpretation.

 

In der Praxis werden oft alle drei Ansätze kombiniert, um im Einzelfall zu entscheiden, ob etwas als Kunst gilt. Unterstützend herangezogen, keinesfalls aber allein angewendet werden kann auch das Kriterium der Fremdanerkennung: Was akzeptieren auch andere Menschen, die etwas von Kunst verstehen, als Kunst? Und schließlich kann die Frage nach dem Sinn und Zweck des Schutzes der Kunstfreiheit unterstützen.

Wegen der Weite des Kunstbegriffs sind auch reißerische und schockierende Darstellungen vom Schutzbereich der Kunstfreiheit umfasst, selbst wenn sie Zeichen einer ehemaligen nationalsozialistischen Organisation verwenden, wie das Bundesverfassungsgericht im Falle des Vertreibens eines als künstlerische Satire eingestuften Hitler-T-Shirts entschieden hat (BVerfGE 82, S. 1, 6).

Ein Kunstwerk kann selbstverständlich auch politische oder religiöse Zwecke verfolgen und bleibt Kunst.

Aber unterfallen Kunstwerke auch dann der Kunstfreiheit, wenn sie klar antisemitische, rassistische oder menschenverachtende Inhalte haben? Das heißt, bedarf es dann keiner Abwägung mehr mit anderen, kollidierenden Verfassungsgütern wie dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht davon Betroffener?

Das ist jedenfalls für antisemitische Kunst umstritten. Gegen den Schutz antisemitischer Kunst wird angeführt, dass das Grundgesetz eine bewusste Abkehr vom Nationalsozialismus, bedeutet. Antisemitische Kunst wie der Film »Jud Süß« aber bildete den Nährboden für die Ermordung von Menschen und einen untrennbaren Teil des NS-Regimes (Ludyga, NJW 2023, S. 713, 716). Zudem sieht das Bundesverfassungsgericht im Bereich der Meinungsfreiheit es als legitim an, die Billigung, Verherrlichung oder Rechtfertigung der nationalsozialistischen Willkür- und Gewaltherrschaft nach § 130 Abs. 4 StGB unter Strafe zu stellen, auch wenn es sich um ein sonst nach dem Grundgesetz eigentlich nicht vorgesehenes Sondergesetz gegen eine bestimmte Meinung handelt. Das Gericht argumentiert hier mit der Entstehungsgeschichte des Grundgesetzes und seinem Gegenentwurf zum Nationalsozialismus. Indes verlangt auch im Falle des Sondergesetzes gegen die Billigung des Nationalsozialismus das Bundesverfassungsgericht eine Verhältnismäßigkeitsprüfung, da auch das Gemeinmachen mit den Verbrechen des Nationalsozialismus per se noch nicht aus dem Schutzbereich der Meinungsfreiheit fällt. Das wird man erst recht für die stärker gewährleistete Kunstfreiheit annehmen müssen. Es bedarf also am Ende wieder einer Abwägung im Einzelfall zwischen der Kunstfreiheit und dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht, um entscheiden zu können, ob das Verbot eines Kunstwerks oder einer künstlerischen Betätigung gerechtfertigt ist.

 

Werk- und Wirkbereich

Die Kunstfreiheit erfasst neben der eigentlichen künstlerischen Tätigkeit des Schaffens eines Kunstwerks (sogenannter Werkbereich) auch die öffentliche Darbietung und Verbreitung des Kunstwerks, also auch die Vermittlung und Vermarktung an Dritte als Ausdruck des kommunikativen Aspekts der verfassungsrechtlich geschützten Kunstfreiheit (sogenannter Wirkbereich). Die Kunstfreiheit erstreckt sich neben Künstlerinnen und Künstlern auch auf alle, die durch Vervielfältigung, Verbreitung und Veröffentlichung die zum Publikum »unentbehrliche Mittlerfunktion« ausüben, d. h. auch Museen, Orchester, Theater, unabhängig davon, in welcher Rechtsform sie organisiert sind.

 

Kunst- und Meinungsfreiheit

Grundsätzlich wird die Kunstfreiheit als das speziellere Grundrecht angesehen, d. h. wo sie greift, wird nicht am Maßstab der Meinungsfreiheit gemessen. Die Abgrenzung zwischen Kunst und Meinungsäußerung kann im Einzelfall schwierig sein, etwa bei der Satire. Besonders Letzterer wohnt die Meinungsäußerung per se inne, indem sie Kritik in besonderer Weise zuspitzt. Im Fall des Böhmermann-Gedichts zum türkischen Präsidenten Erdoğan hat das Oberlandesgericht Hamburg den Charakter der satirischen Verse als Kunst wegen des Dominierens des Dafürhaltens, also Meinens, und des Fehlens der künstlerischen Verarbeitung verneint und die Zeilen an der Meinungsfreiheit gemessen. Es hat zugleich klargemacht, dass auch die im Rahmen der Meinungsfreiheit bei der Abwägung zum Tragen kommenden Aspekte den »für die Kunstfreiheit entwickelten Maßstäben stark angenähert …« sind (OLG Hamburg, ZUM-RD 2018, S. 484, 489).

Ebenso wenig dürfte es der Kunstfreiheit und »nur« der Meinungsfreiheit unterfallen, anlässlich eines Auftritts ohne inneren Bezug zu einem wie auch immer geformten Kunstwerk oder einer Darbietung gegenüber Dritten Beleidigungen zu äußern. Insoweit ist der Schutzbereich der Kunstfreiheit nicht eröffnet, wie das Landgericht Berlin in einem Fall eines Rapper-Auftritts entschieden hat (LG Berlin, ZUM-RD 2012, S. 94). Die Grenzen werden hier im Einzelfall freilich schwer zu bestimmen sein, wenn die Äußerungen vom Künstler oder von der Künstlerin selbst ausgehen und mit der Darbietung stärker verwoben werden.

 

Die Abwägung beim Verbot

Am Ende aber muss sich jeder staatliche Eingriff in die Kunstfreiheit einer Prüfung der Verhältnismäßigkeit und einer Abwägung der kollidierenden Güter stellen, soweit er nicht schon aus anderen Gründen unzulässig ist. Dabei muss der Entscheidung der Verfassung, die Kunstfreiheit schrankenlos zu gewährleisten, besondere Bedeutung beigemessen werden. Zu betrachten sind auch die Wirkungen eines Verbots über den konkreten Fall hinaus, nämlich, ob in künftigen Fällen die Bereitschaft gemindert ist, von dem betroffenen Grundrecht Gebrauch zu machen, was gegen die Zulässigkeit eines Eingriffs spricht. Weiter sind die Merkmale der Kunstgattung zu beachten, das gesamte Kunstwerk zu betrachten und die Aussagewerte herauszuschälen. Sind mehrere Interpretationen eines Kunstwerks möglich, ist diejenige für die Beurteilung zugrunde zu legen, die andere Rechtsgüter, etwa das allgemeine Persönlichkeitsrecht, am wenigsten beeinträchtigt. Das gilt im Übrigen grundsätzlich auch bei der Meinungsfreiheit. Eine Begrenzung der Kunstfreiheit wird dann eher möglich sein, wenn es allein um die Modalitäten der Kunstausübung geht oder wenn ein Verbot auf ein generelles Verhalten abzielt, unabhängig davon, ob es bei der Schaffung von Kunst eingesetzt wird.

Auf der anderen Seite sind schwere, die Menschenwürde betreffende Beeinträchtigungen des Persönlichkeitsrechts generell unzulässig, wie es bei menschenverachtenden Äußerungen, die Individuen oder Gruppen das Menschsein absprechen, der Fall ist.

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 9/2024.