Der Abbau von Demokratie und Menschenrechten bedroht Künstler und Kulturtätige weltweit. Gleichzeitig steht künstlerische Freiheit im Zentrum internationaler Debatten. Das Verständnis für die Bedeutung von Kunstfreiheit und ihrer menschenrechtlichen Grundlage wächst stetig. Zwischenstaatliche Gremien wie der Europarat oder die UNESCO heben die künstlerische Freiheit vermehrt in ihrer Berichterstattung und Politikgestaltung hervor. Immer mehr zivilgesellschaftliche Organisationen weltweit beobachten und fördern die künstlerische Freiheit in den Bereichen Kultur, Medien und Menschenrechte, was zu einer Zunahme veröffentlichter Berichte führt.

Gleichzeitig aber, so der zentrale Befund der ifa-Studie »The Fragile Triangle of Artistic Freedom« von Sara Whyatt und Ole Reitov, wird über Verstöße gegen die Kunstfreiheit und deren Beeinträchtigung nach wie vor zu wenig berichtet. Sowohl Beobachtung als auch systematische Dokumentation befinden sich bisher erst in einer Entwicklungsphase. Dafür gibt es mehrere Gründe, unter anderem die Existenz von nur wenigen Geldgebern hierfür sowie eine fehlende Datenerfassung. Denn im Gegensatz zu Medienschutzorganisationen, die verifizierte Unterlagen über Angriffe auf Medienschaffende von Berufsverbänden und Einzelpersonen weltweit erhalten, werden den Organisationen, die Verstöße gegen die Kunstfreiheit dokumentieren, nur selten Informationen von externen Informationsgebern zugesendet.

Zu den berufsspezifischen Umständen gehört auch, dass die Mittel der Repression nicht nur zugenommen, sondern sich auch verändert haben, sodass Verstöße teilweise unentdeckt bleiben. Dazu zählen unter anderem die Zertifizierung von Filmen oder die Genehmigungsverfahren öffentlicher Veranstaltungen bis zum Entzug von Fördermitteln und Verbot von Kunstveranstaltungen insbesondere zu Themen, die LGBTQIA+ oder weitere Minderheiten betreffen. Die Studienautoren heben hervor, dass solche Einschränkungen die gesamte Produktionskette betreffen können, also nicht nur die Urheber künstlerischer Werke.

Unsichere, polarisierte Gesellschaften befördern auch Selbstzensur durch Künstlerinnen, Kuratoren, Bibliothekarinnen, Galeristen, Filmproduzentinnen und andere Kulturtätige, die nicht erfasst wird. Die Autoren führen als schwer zu messende Einschränkung auch an, dass die Prekarität der künstlerischen Berufe zum Teil die Ursache dafür sein kann, dass Kunst- und Kulturschaffende die Auseinandersetzung mit schwierigen Themen umgehen, da dies sonst zu einem Verlust wichtiger Unterstützung und Finanzierung führen könnte. Deutlich wird: Der Abbau von Demokratie und einer verbindlichen Orientierung an den Menschenrechten ist eine Bedrohung für die künstlerische Freiheit weltweit. Rechtsextreme und populistische Politik schränken den Raum zivilgesellschaftlicher Debatte zunehmend ein, aber auch weltanschauliche, religiöse und andere Interessengruppen schaffen bisweilen Unsicherheit und können einen großen Druck entfalten.

Die Studienautoren zeigen, dass die Wahrung dieser Rechte und der ihnen innewohnenden Werte und Freiheiten eine Voraussetzung für sichere, faire und offene Räume und damit für gleichberechtigte und nachhaltige Partnerschaften zivilgesellschaftlicher Akteure ist. Daher müssen, wie die Autoren es ausdrücken, »zivilgesellschaftliche Organisationen, Fördermittelgeber und UN-Organisationen Wege finden, um der gegenwärtigen Abhängigkeit von kurzfristigen Politiken und Unterstützungstrends in Zeiten interner und internationaler Konflikte und neuer Herausforderungen für traditionelle und gesellschaftliche Werte zu begegnen«.

Zum gemeinsamen Schutz dieses für die Demokratie so zentralen Freiheitsrechts gehören unbequeme Aufgaben: international verpflichtende staatliche Dokumentation und eine ergänzende langfristige Unterstützung von NGOs. Nicht zuletzt braucht es eine kontinuierliche Arbeit am Schutz künstlerischer Freiheit in der eigenen Gesellschaft. Nur mit dieser Grundlage können von hier aus nötige mutige Gespräche mit Ländern außerhalb Europas über gemeinsame Werte und Rechte geführt werden, die ein Zusammenleben in pluralen Gesellschaften ermöglichen. Denn künstlerische Freiheit steht zunehmend auch im Zentrum internationaler Debatten. Dabei, so ein Ergebnis des die Studie ergänzenden Forschungsinputs mit dem Titel »The ›Right to Freedom of Artistic Expression‹ and Cultural Relativism. International Law Perspectives« von Andra Matei und Sanchit Saluja, darf der international verbindliche Rechtsrahmen nicht aus dem Auge verloren werden. Kontextspezifische Konturierungen unter Wahrung des menschenrechtlichen Gesamtbezugs erlaubt dieses gemeinsame universelle Freiheitsrecht schon jetzt. Diese sind Ergebnis von Einschätzungen, Abwägungen und gesellschaftlichen Aushandlungsprozessen. Sie müssen international erklärbar sein und erklärt werden. Diese Arbeit kann auch uns hier in Deutschland aktuell niemand abnehmen. Wir müssen sie tun.

Mehr dazu: Die Studie »The Fragile Triangle of Artistic Freedom« steht im Internet als PDF-Datei zum Download bereit: tinyurl.com/4ptatv8m.

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 9/2024.