Bloß keinen Ärger mit AfDlern oder den Rechten provozieren! Theater geht auch so, dass die Extremen sich nicht dran stören … So ungeheuerlich so eine Haltung klingt. Und so wenig Personen der deutschen Theaterszene solche Denkweise offen und frei äußern. So sehr ahnt man, dass manche eben doch so denken. Warum sollte das geistige, undemokratische Gift der Verfassungsfeinde nicht auch Kulturverantwortliche erreicht haben? Vor allem in den östlichen Bundesländern, wo die AfD besonders starke politische Kraft geworden ist, stehen kleinere Theater und Spielstätten unter Druck.

Es läuft schon seit Jahren so. In Freiberg in Mittelsachsen hatte 2019 der Oberbürgermeister zusammen mit den anderen Gesellschaftern der Mittelsächsischen Theater und Philharmonie gGmbH eine Diskussionsreihe am Theater nicht weiter stattfinden lassen. Bei einem Diskussionsauftakt hatte Autorin Liane Bednarz über ihr Buch »Angstprediger«, in dem es um den Einfluss von Rechtspopulisten in den Kirchen geht, gesprochen. Nach dieser Veranstaltung befahl der Oberbürgermeister den Stopp. Er sah die »Neutralitätspflicht« des Theaters verletzt. Zuvor war in Online-Medien extremistische Hetze, unter anderem gegen »linksgrünes Schmierentheater«, verbreitet worden. Die Belegschaft des Theaters empörte sich damals über die Bürgermeisterentscheidung und trat in der Folge umso entschiedener für kulturelle und politische Bildung ein. Zum Welttheatertag im März 2024 hat sich das Haus der Kampagne »Theater für die Demokratie« des Deutschen Bühnenvereins angeschlossen und im Sinne des demokratischen Miteinanders ein Video gedreht, in dem zum Demokratiethema passende Sätze aus laufenden Produktionen zitiert wurden.

Mitverantwortlich für den rechtsextremen Druck ist die AfD. Keine andere Fraktion stellt in Sachsen so viele Anfragen an Theater nach Spielplänen, nach Autorinnen und Autoren, nach der Herkunft von Schauspielerinnen, Schauspielern und anderem. Jörg Steffen Kühne, MdL für die AfD, bestätigte das auf Nachfrage in einer Landtagsdebatte vom November 2023 mit trotzigen Worten: »Das ist das gute Recht unserer Fraktion, die ihre Arbeit macht.« Das stimmt. Aber diese Anfragen haben den fahlen Beigeschmack, dass die AfD – bewusst oder unbewusst – gegen Kunstfreiheit gerichtete und damit verfassungsfeindliche Kulturpolitik betreibt mit der Absicht, Einfluss auf die inhaltliche Arbeit an den Kultureinrichtungen zu nehmen.

In Stollberg in Sachsen spielt das Theater »Burattino«, das zum Theaterpädagogischen Zentrum des Eigenbetriebs Kultureller Bildungsbetrieb Erzgebirgskreis gehört, seit Oktober 2023 ein Jugendtheaterstück, »Die Weiße Rose«, das die Geschichte von Hans und Sophie Scholl thematisiert, mit Zeitbezügen sowohl zum damaligen nationalsozialistischen Deutschland als auch zur Gegenwart. Nach den Vorstellungen gibt es moderierte Publikumsgespräche, von denen eines am 1. März 2024 zur Folge hatte, dass sich Schüler und Eltern einer 10. Klasse des Gymnasiums Stollberg bei Kreisrätin Sylvia Vodel, heute fraktionslos und zuvor AfD, beschwerten. Deren Vorwurf lautete unter anderem, dass der Moderator im Nachgespräch seine »Neutralitätspflicht« verletzt hätte. Die Kreisrätin trug die Beschwerden weiter in den Betriebsausschuss des Kreistags, und die Betriebsleiterin des Kulturellen Bildungsbetriebs Erzgebirgskreis wurde aktiv. In einer Pressemitteilung heißt es: »Konkret wurde (…) festgelegt, dass Wahlempfehlungen, egal von wem diese geäußert werden, zwingend zu unterlassen sind. Weiterhin wurde eine marginale Änderung eines Satzes im Sprechertext der vierten Szene sowie eine Anpassung der Slideshow ›Diktatoren‹ vereinbart.« Die Szene mit jener Slideshow zeigte Bilder aktueller Politiker wie Wladimir Putin, Donald Trump oder Alice Weidel im Kontext eines Porträts Adolf Hitlers. Nach jener »Anpassung« ist in der Szene jetzt nur noch das Hitler-Bild zu sehen, um, wie die Pressemitteilung es nennt, die Persönlichkeitsrechte Dritter zu schützen. Letzteres erscheint fragwürdig, handelt es sich bei den Genannten doch um Personen der Zeitgeschichte. Ob deren Persönlichkeitsrechte durch die in dem Stück – einem von der Kunstfreiheit geschützten Kunstwerk – erzeugten Assoziationen tatsächlich verletzt werden, müsste, sofern überhaupt jemand Klage erhebt, sorgfältig von einer Rechtsprechung geprüft werden. Obwohl am Theater »Burattino« durchaus Inhalte geändert wurden, streitet die Theaterleitung ab, dass es sich um Eingriffe in die Kunstfreiheit handele. Das wirft Fragen auf. Die Theaterleitung wollte jedoch auf mehrmalige Nachfrage kein Interview geben und verwies stattdessen wiederholt auf den Wortlaut ihrer Pressemitteilung. Darin aber liest man vor allem, dass der MDR falsch berichtet habe, dass der Regisseur des Stücks falsche Behauptungen aufgestellt habe, dass sich nichtangestellte freie Mitarbeiter falsch verhalten hätten. Das kulturelle Klima, das auf Dialog setzt, ist vergiftet. Das Wort »Neutralitätspflicht« wird in der Pressemitteilung zwei Mal als Argument genannt, einmal »Neutralität« und einmal »Neutralitätsgebot«.

Bei öffentlichen Eigen- und Regiebetrieben wird das Argument der »Neutralität« gerne bemüht, um bei Veranstaltungen dem Parteinamen AfD aus dem Weg zu gehen. Solche politjuristische Korrektheit ist vor allem dort wichtig geworden, wo die AfD die öffentlich geförderten Theater unverhohlen attackiert. Ein Beispiel hierfür ist das Theater der Altmark in Stendal in Sachsen-Anhalt, eine Landesbühne mit den Sparten Schauspiel, Kinder- und Jugendtheater, Figurentheater und Musiktheater. Rechtsträger ist die Hansestadt Stendal. Von ihr wird das Haus gefördert, ebenso vom Bundesland und den beiden Landkreisen Stendal und Altmarkkreis Salzwedel. Bei der turnusmäßig zu erstellenden Neufassung des für fünf Jahre geltenden Theatervertrags zeigte die AfD im Februar 2024 ihre Ablehnung. Das Bundesland erhöhte seine Fördersumme, die Stendaler Stadtverwaltung und der Landkreis Stendal wiederum hatten miteinander eine Erhöhung ausgehandelt. Der Kulturausschuss des Landkreises hatte diese Erhöhung – die letzte hatte es 2015 gegeben – empfohlen. Dem stellte sich die AfD entgegen. Sie stellte im Kreistag einen Antrag auf Beibehaltung der ursprünglichen Fördersumme. Dies fand – zum Wohle des Theaters – keine Mehrheit. So sehr das Theater der Altmark nun jedoch die AfD geringschätzt und die Öffentlichkeit warnen möchte, so wenig wird das Haus die Verfassungsfeinde direkt beim Namen nennen. »Wir sind ein Regiebetrieb und können hier nicht Parteipolitik betreiben«, fasst Intendantin Dorotty Szalma die Situation zusammen: »Künstler sollten ohnehin nie Parteipolitik im engen Sinne betreiben, sondern für Moral, Humanität und Demokratie arbeiten.« Versuchte oder gar tatsächliche Einschränkungen in die Kunstfreiheit hat es in Stendal nicht gegeben.

Auch nicht am Salzlandtheater Staßfurt in Sachsen-Anhalt zwischen Halle und Magdeburg. In der Flächenstadt mit 15 Ortsteilen und insgesamt 25.000 Menschen erzielte die AfD bei der Europawahl 42 Prozent, bei der gleichzeitig stattfindenden Kommunalwahl waren es 30 Prozent. »Von den extremistischen Rändern jedoch werden wir nicht angegangen«, sagt Theaterleiter Stephan Czuratis. Träger des Salzlandtheaters Staßfurt ist ein Förderverein. Das Haus ist Gastspieltheater und auch anerkannter Träger der öffentlichen Jugendhilfe. Über diese pädagogische Aufgabe, aber auch über das Ehrenamt werden viele Menschen an das »bürgernahe« Theater der Kleinstadt gebunden. »In Inhalte oder unseren Spielplan redet uns niemand rein«, so Czuratis. Unlängst hätten bei einem Kabarettauftritt von Lars Reichow, in dem es unter anderem um Russland ging, Leute aus dem Publikum im Anschluss an die Vorstellung ihren Unmut geäußert und das kontroverse Gespräch gesucht. »Das verlief aber alles im normalen Rahmen«, so Czuratis. Er ist Sprecher der Ländergruppe Ost der INTHEGA, dem Verband der Gastspielbranche. Klagen über Einschränkungen der Kunstfreiheit sind an ihn bislang noch nicht herangetragen worden. Sehr wohl aber – um beim Beispiel Lars Reichow zu bleiben – beobachtet Czuratis, dass nicht alle Gastspielhäuser im Osten derart streitbares Kabarett einladen.

Ob Gastspielhäuser unter dem rechtsextremistischen Druck von sich aus ihre künstlerischen Freiheiten einschränken, war 2024 auch Thema des INTHEGA-Kongresses bei einer Diskussionsrunde über die Rolle der Kultur in der Demokratie. Hier ermunterte Dorotty Szalma vom Theater der Altmark alle Veranstalter: »Haben Sie Mut, nicht nur leichte Unterhaltung, Märchen und Komödien zu kaufen.« In der Gastspielbranche sind Veranstalter und Anbieter aufeinander angewiesen. Wenn die Veranstalter weniger »ernste« oder »nachdenkliche« Produktionen einkaufen, werden diese Angebote allmählich vom Markt verschwinden. Und nur wenige Anbieter werden sich dann womöglich auf dieses Segment spezialisieren. Die Kunstfreiheit leidet dann still und unentdeckt.

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 9/2024.