Die Kulturprojekte Berlin GmbH gestaltet in diesem Jahr nicht nur die Berliner Fanmeile für die EURO 24, sondern auch ein vielfältiges Kulturprogramm während des Turniers. Barbara Haack sprach mit dem Geschäftsführer Moritz van Dülmen über das Vorhaben, über Fußball und über Kultur.

Barbara Haack: Erzählen Sie uns, was die Kulturprojekte Berlin GmbH macht? Was ist Ihr Auftrag?

Moritz van Dülmen: Wir sind eine gemeinnützige Gesellschaft des Landes Berlin. Wir gestalten Kulturprojekte, meist mit einem klaren Anfang und einem Ende. Oft sind es festivalartige Projekte, die einen starken populären Aspekt haben, mit denen wir ein wirklich breites Publikum erreichen wollen.

Wenn es heißt: Da muss die Stadt doch etwas machen, landen die Themen bei uns. Wir erfinden dann die Formate dazu, bauen eine Veranstaltung oder ein längeres Programm – immer in Kontakt mit vielen Partner*innen in Berlin.

Wir sind außerdem eine Trägergesellschaft, z. B. für ein kleineres Puppentheater. Wir machen viel Stadt- und Kulturmarketing, wir betreiben das Bühnenportal, das Museumsportal. Wir haben ein großes Beratungszentrum für die Kreativ- und Kulturwirtschaft. Insgesamt ist das ein riesiges Spektrum. Dadurch entsteht ein sehr großes Netzwerk. Das ist unser Kapital.

Wie kommen Sie konkret zu den Projekten?

In der Regel werden an uns Themen herangetragen, entweder aus der Kulturszene selbst oder aus Politik und Verwaltung. Wir entwickeln daraufhin für Berlin einen Vorschlag und suchen uns das Geld dazu – denn für die Projekte müssen wir immer wieder Förderungen einwerben. Auch unser Team ist zum größten Teil projektfinanziert.

Sie organisieren in diesem Jahr nicht nur die Fan Zone zur EURO 2024, sondern auch ein vielfältiges und umfangreiches Kulturprogramm rund um das Fußball-Event. Auf Ihrer Webseite findet sich die Aussage »Fußball ist Kultur«. Was am Fußball ist Kultur?

Wir begreifen Kultur als Miteinander-Sein. Dazu gehört auch das Publikum. Was auf der Bühne stattfindet, ist das eine. Kultur wird es dann, wenn ein Publikum dabei ist, wenn die Atmosphäre stimmt. Wir haben einen sehr breiten Kulturbegriff. In diesem Kontext ist das Phänomen Fußball – ob das die Public Viewings sind, die popup-mäßig entstehen, die ganze Stimmung in der Stadt – ein großes Kulturereignis. Wenn wir an 2006 denken: Das war ja auch ein kulturgeschichtliches Ereignis. Das Phänomen, dass die Menschen kommen, dass sie sich austauschen über das, was sie erleben, dass sie sich freuen, Emotionen zeigen: Das ist für uns auch Kultur.

Was verbindet die beiden Bereiche Kultur und Sport aus Ihrer Sicht?

Es sind die beiden ganz großen Bereiche, die ein sehr großes Publikum ansprechen. Auch die Gewerke hinter den Kulissen ähneln sich. Wir haben bei der Kulturproduktion vergleichbare Aufgaben wie Sportproduzent*innen. Viele unserer Kulturprojekte finden im öffentlichen Raum statt: Themen wie Genehmigungsverfahren, Sicherheit, Marketing usw. ähneln sich bei Sport und Kultur. Ob das ein Theaterspiel, ein Festival, ein Kinoabend oder ein Konzert ist oder ob ich Leute Handball oder Fußball spielen lasse, macht ganz streng genommen erstmal keinen riesigen Unterschied in der Organisation. Aus meiner Sicht könnte man auf politischer Ebene durchaus Sport- und Kulturverwaltungen zusammenpacken. Ein Sport- und Kulturministerium macht Sinn. Kultur und Sport sind die zwei Dinge, die auch administrativ zusammenpassen. Sie haben vergleichbare Herausforderungen und Chancen. Derzeit ist es meines Wissens in allen Bundesländern getrennt, auch hier in Berlin. Mit so einem Projekt bringen wir auch die beiden Organisationswelten zusammen.

Hochspannend finde ich, dass in der Kultur alle davon reden, dass wir Barrieren abbauen müssen, mehr diversity brauchen, integrativer werden, neue Zielgruppen erschließen müssen. Der Sport ist da oft ein gutes Stück weiter und erreicht zudem ganz andere Menschen. Wenn ich allein auf die beiden Berliner Fußballclubs Hertha und Union schaue: Da ist man an den Leuten dran, die die Kultur oft auch erreichen möchte. Wenn man wirklich die Menschen begeistern will, dann muss man sich auch mal diesem Publikum stellen und schauen, wie Kultur mehr sein kann als zu oft Elite und Nische.

Was konkret haben Sie im Rahmen der EURO 2024 vor?

Gestartet sind wir mit der Idee, ein Bild zu kreieren, dass es erst einmal schön aussehen soll. Wir wollten dem Ganzen eine ganz andere Ästhetik geben, die Stadt verändern, einen Park bauen. Wir machen aus dem Brandenburger Tor ein Fußballtor, aus der Straße ein Spielfeld. Auf dem Spielfeld wird dann Public Viewing gezeigt, aber auch viele andere Dinge.

Diese große Bühne ist eine Super-Plattform. Wir wollen sie mit Berliner Künstler*innen bespielen und das als großes Open-Air-Kulturfestival-Areal gestalten. Wir haben gefragt, wer Lust hat mitzuspielen. Da sagt dann die eine Hälfte der Kulturschaffenden: Wir machen mit. Die andere Hälfte sagt: Lass mich in Ruhe damit. Wir schauen natürlich auf die Willigen. Ob das das RambaZamba-Theater ist, mit dem wir einen ganzen Tag lang Inklusionskultur machen. Ob das der CSD ist, mit dem und anderen zusammen wir das Thema Queerness beleuchten. Wir machen viel Vorprogramm zum Fußball, aber an vielen Tagen auch einzelne Programme. Wir laden z. B. Straßentheatergruppen ein, die unsere grüne Wiese an den Tagen bespielen, an denen keine Fußballspiele stattfinden. Das Programm dauert 31 Tage und ist sehr vielfältig, teils mit Stars, viel mit Newcomern.

Ist das Fußball-Projekt etwas Besonderes für Sie, weil es eben nicht »nur« Kultur ist?

Das Besondere ist, dass es sich bei der UEFA EURO 2024 um eine riesige Großveranstaltung handelt. Mit den großen Fußballverbänden DFB und UEFA sind wir als gemeinnütziges Kulturunternehmen eingebunden in eine Gesamtmaschinerie. Wir spielen da eigentlich auch nur mit, sind zwar mit dem Fußballkultursommer mittendrin, aber es sind viele Abstimmungen und auch Kompromisse nötig. Was uns darüber hinaus bewegt ist die Chance, mit der EM ein buntes großes Europa-Fest zu feiern – die derzeitige Verfasstheit Europas und auch das Ergebnis der Europawahl geben dazu auch Anstöße.

Die Sicherheit spielt vermutlich auch eine große Rolle?

Ja, da ist so ein Fußball-Event auch noch einmal etwas anderes als in der Kultur. Das ist nicht nur ein organisatorischer, sondern auch ein sehr großer finanzieller Aufwand.

Sicherheit bei solchen Veranstaltungen beinhaltet ja inzwischen auch Fragen, wie man mit antisemitischen oder rassistischen Ausfällen, Parolen oder Demonstrationen umgeht. Ist das hier auch ein Thema?

Das ist ein Riesenthema. Was ist mit palästinensischen oder israelischen Fahnen? Was ist mit russischen Fahnen beim Ukraine-Spiel? Was ist mit rechts genutzten Liedern wie von Gigi d’Agostino?

So ein Projekt ist prädestiniert für Missbrauch. Da sind wir sehr auf der Hut. Wir haben viele Verhaltensregeln, Awareness-Teams und richten viel Aufmerksamkeit darauf, dass sich alle Menschen bei uns wohl fühlen. Natürlich kann und möchte man bei einem solchen Riesenprojekt auch nicht immer komplett kontrollieren, wer an welcher Stelle irgendetwas sagt.

Ich denke aber, die wesentlichen Punkte, die im Fokus stehen, haben wir im Griff.

Wie weit hängt der Erfolg des Projekts vom Erfolg der deutschen Nationalmannschaft ab?

Eine gewisse Mehrheit des Publikums fiebert mit der deutschen Nationalmannschaft mit. Wir haben das Glück, dass wir in Berlin genügend Fans auch von anderen Nationen haben. Es kommen außerdem riesige Fan-Mengen aus dem Ausland.

Aber natürlich: Wenn Deutschland in der Vorrunde erst einmal gewinnt, dann merken wir, wie die ganze Republik einen Sprung nach oben macht. Und wenn dann noch das Wetter mitspielt, dann ist eine ganze Republik euphorisiert. Das Abschneiden der DFB-Elf und das Wetter sind zwei von uns nicht beeinflussbare, aber nicht unwichtige, Faktoren.

Großveranstaltungen stehen auch in Sachen Nachhaltigkeit unter Beobachtung. Wie gehen Sie damit um?

Das ist ein Themenbereich, der uns sehr beschäftigt und herausfordert. Bei der UEFA muss man durchaus lobend anerkennen, wie viele Richtlinien es dort gibt. Auch für das Land Berlin gibt es eigene Ziele und Leitbilder. Wir haben dabei so viel Kraft und Zeit, vor allem auch so viel Geld wie noch nie investiert. 80 Prozent des verwendeten Materials sind nur gemietet, es ist eigentlich alles aus recycelten bzw. recyclebaren Materialien und fast alles hat ein Nachleben. Zahlreiche Facetten der sozialen Nachhaltigkeit, von Gebärdensprache über Awareness-Teams bis zu Ruheräumen, werden berücksichtigt. Wir versuchen mit dem Fan Festival und dem Fußballkultursommer neue Standards zu setzen. Das war für die Umsetzung durchaus eine Herausforderung, weil alles erstmal ein bisschen komplizierter ist und weil auch der Markt, um Dinge herzustellen, oft noch hinterherhinkt. Insgesamt sind wir aber ziemlich stolz auf alles, was wir rund um Nachhaltigkeit geschafft haben.

Vielen Dank.

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 7-8/2024.