In diesem Jahr begeht das Bundesprogramm »Integration durch Sport« (IdS) sein 35-jähriges Jubiläum. Ein Zeitraum, in dem sich die Welt, in dem sich Deutschland politisch und gesellschaftlich fundamental verändert haben, und in dem die Bundesrepublik praktisch, durch das Zuwanderungsgesetz auch formal, zu einem Einwanderungsland geworden ist. Im Widerstreit der verschiedenen Interessen und Befindlichkeiten muss das kulturelle und politische Zusammenleben immer wieder aufs Neue ausgehandelt werden.
Ohne an dieser Stelle zu übertreiben: Deutschland wäre weniger gut durch die vergangenen Jahrzehnte gekommen, gäbe es nicht den Sport und dessen integrative Kraft, und gäbe es nicht das Bundesprogramm »Integration durch Sport«, das das Wirken der Vereine mit einem Konzept unterfüttert. Die Politik scheint im Übrigen ähnlich positiv auf IdS zu schauen: Sonst wäre das Bundesprogramm, ungeachtet sehr unterschiedlicher Regierungen und politischer Konstellationen, kaum über neun Legislaturperioden durch das Bundesministerium des Innern und für Heimat (BMI) und das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) gefördert worden.
Die Zukunft ist vielfältig, mittlerweile leben rund 22 Millionen Menschen mit Migrationsgeschichte in Deutschland. Sie stellen ein Viertel der Bevölkerung, in den kommenden Jahren wird diese Vielfalt mit hohem Tempo weiterwachsen. Es ist wichtig, ein Verständnis zu fördern, das Vielfalt als gesellschaftliche Norm begreift, nicht als Abweichung. Dem Sport kommt dabei eine besondere Rolle zu, er schert sich (im Idealfall) nicht um Unterschiede, fragt nicht nach Herkunft, Glauben oder Hautfarbe, nach dem »Wir« und den »anderen«. Ihm geht es um das Miteinander, auf dem Platz, in der Halle oder auf der Matte, und dafür hat er universelle, leicht verständliche Regeln aufgestellt, geprägt von Respekt und Fairplay.
Noch wichtiger: Das Gleichheitsverständnis des Sports ist eines a priori, ein Verstehen vor der Erfahrung, vor der persönlichen Begegnung, vor dem Spiel. Der zeitgenössische Schriftsteller und Philosoph Wolfram Eilenberger sagt dazu: »Wer in ein sportliches Wettkampfgeschehen eintritt, erkennt den Gegenüber als einen Gegner an, mit dem er sich messen will: also als einen potenziell Gleichen.«
Die Menschenwürde, die Gleichheit des Menschen, der Respekt voreinander, all das, was der Sport lehrt, sind nicht an eine politische Perspektive geknüpft, es sind universelle Menschenrechte, und es sind die Grundlagen der Demokratie in Deutschland. Die Demokratie, die sich auch dadurch auszeichnet, dass Menschen sich nicht nur in Individualinteressen verlieren, sondern bereit sind, sich für etwas Größeres als sie selbst zu engagieren, wird maßgeblich vom organisierten Sport mitgetragen, insbesondere von seinen Herzkammern: den Sportvereinen. Nun ist die sicher geglaubte Demokratie unter Druck geraten, das Tempo der Krisen hat enorm zugenommen. Jede dieser Krisen zerrt auf ihre Art und auf bis vor kurzem unbekannte Weise an den Grundlagen unseres Zusammenlebens.
Wenn unsere Gesellschaft politisch unter Druck geraten ist und sozial eine Spaltung erlebt, wird diese Spaltung früher oder später auch in den Sportvereinen sichtbar und wirksam werden. Und wenn andererseits die Vereine so wichtig sind, weil dort das für eine Demokratie so elementare gesellschaftliche Zusammenleben exemplarisch eingeübt und vorgelebt wird, müssen diese Institutionen dabei unterstützt werden, sich gegen Rassismus, Diskriminierung und Antisemitismus zu erwehren. Das ist die Pflicht der Politik, sie muss daher finanzielle und ideelle Unterstützung leisten, es ist aber auch die Aufgabe der Verbände und Vereine selbst, sich gegen die Zentrifugalkräfte einer demokratisch verfassten Gesellschaft zu stemmen. Am Ende geht es darum, dass der Sport Schritt hält mit der gesellschaftlichen Entwicklung. Das Bundesprogramm kann eine wichtige Rolle spielen, doch dafür sind Reformen unabdingbar, an denen die Verantwortlichen im Austausch mit den Beteiligten gerade arbeiten. Zur Diskussion steht der Begriff »Integration«, weil er die überholte Vorstellung transportiert, die einen müssten sich den anderen anpassen, so als gäbe es eine homogene Gesellschaft mit eindeutiger kultureller Prägung. Das System Verein muss kulturell transparenter und offener gestaltet werden, um von bloßer Teilnahme zu echter Teilhabe zu kommen, denn nur sie garantiert, dass all diejenigen am Tisch sitzen, die auch von den Entscheidungen betroffen sind. Und schließlich gilt es, ausreichende Demokratiebildungsmaßnahmen anzubieten, um Vereine gegen die Vereinnahmung von rechts wetterfest zu machen. Der Plan ist: Bis 2027, dem Ende der laufenden Förderperiode, wird der Reformprozess abgeschlossen sein.