Andreas Schirmer: Bei den Olympischen Spielen von 1912 bis 1948 gehörten auch Kunstwettbewerbe für Architektur, Musik, Malerei und Bildhauerei zum Programm. Seitdem gibt es nur noch ein Kulturprogramm bei den Spielen. Wie betrachtet man den Sport heute: Ist er ein Teil der deutschen Kultur und ein Kulturgut?

Olaf Zimmermann: Es gibt eine weite Definition, die ich gerne benutze: Alles, was nicht Natur ist, ist Kultur. Wenn man so eine weitgefasste Definition hat, gehört der Sport dazu. Früher waren Wissenschaft, Kunst und Sport nicht so intensiv getrennt wie heute. Mehr Kooperation, davon bin ich überzeugt, würde uns guttun.

Ist der Sport aus Sicht des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB) ein Teil der Kultur?

Torsten Burmester: Sport ist genauso wie Kultur und Kunst eine Ausdrucksform von Leidenschaft sowie der Verwirklichung von Können und Talenten. Dieses Erleben-Machen – auch in der Öffentlichkeit – steht für den Sport. Mir gefällt die Definition von Olaf Zimmermann: Jede Ausdrucksform des Menschen ist Kultur. Der Sport zeigt Ausdrucksformen des menschlichen Schaffens. Wir haben deshalb eine gemeinsame Basis und ein gemeinsames Interesse, dass sich Menschen unter unserem Dach vereinigen und gemeinsam wirken wollen.

Der Deutsche Kulturrat und der DOSB wollen in Zukunft enger zusammenarbeiten. Welche Beweggründe und Ziele gibt es für diese Initiative?

Zimmermann: Wir können politische Ziele nicht mehr erreichen, wenn wir uns nur in unserer eigenen Blase bewegen. Wir müssen über den Tellerrand hinausschauen – in ganz vielen Bereichen. Der Kulturrat arbeitet zum Beispiel mit den Umweltschutzverbänden beim Thema Klimaschutz zusammen. Wir tun es seit Jahren mit dem DOSB bei der Entwicklung der Zivilgesellschaft. Wir haben wie der Sport eine große Breitenkultur und einen Spitzenbereich mit Höchstleistungen im Weltmaßstab sowie ein korporatistisches Verhältnis zum Staat – ohne unseren Eigensinn und unseren Willen aufzugeben. Deshalb glaube ich, dass wir uns gegenseitig stärken können.

Der Kulturrat und der DOSB setzen sich seit Jahren für die Schaffung eines Ministeriums auf Bundesebene ein. Könnte die Kooperation dafür neue Schubkraft erzeugen – auch mit dem Ziel eines Bundesministeriums für Sport und Kultur?

Zimmermann: Der Kulturrat fordert seit 27 Jahren ein Bundeskulturministerium. Wir haben lange alleine darum gekämpft, auf Bundesebene überhaupt eine Sichtbarkeit der Kultur zu erreichen. Die Idee für einen Kulturbeauftragten im Bundeskanzleramt ist auf die Initiative des Deutschen Kulturrates zurückzuführen. So gut das Amt ist, es handelt sich nicht um ein vollwertiges Ministerium, mit einer Ministerin oder einem Minister an der Spitze. Für mich ist das immer ein Provisorium geblieben, das sich seit mehr als zweieinhalb Jahrzehnten im Übergang befindet. Ich hoffe, dass wir es in der nächsten Legislaturperiode hinbekommen, endlich ein Bundesministerium zu erhalten. Und ich bin mir ganz sicher, dass es ein großer Gewinn für den Kultur- und Sportbereich wäre, wenn es ein gemeinsames Bundesministerium für Kultur und Sport werden würde.

Passen aber Kultur und Sport überhaupt unter das Dach eines Ministeriums?

Burmester: Ich halte das für genau richtig. Der Sport muss die gleiche Strategie wie die Kultur wählen, nämlich in einem schwierigen politischen Umfeld Partner zu haben, mit denen man Ziele realisieren kann. Mit der Kultur haben wir eine große Schnittmenge. Wenn man aber mit den einzelnen Akteuren spricht, kommt man zu den Mühen der Arbeitsebene und merkt: Überall gibt es die gleichen Barrieren. In dieser Legislaturperiode haben wir uns daran gemacht, dass Sport auf Seiten der Bundesregierung anders verstanden wird, nämlich als Querschnittsaufgabe. Um diese ins Kabinett zu tragen, bedarf es eines Ministeriums. Die Krisen der vergangenen Jahre und der Umgang mit ihnen zeigen: Es ist dringend notwendig, dass der Sport am Kabinettstisch sitzt und durch ein eigenes Ministerium vertreten wird.

Sind dafür die Strukturen von Kultur und Sport kompatibel?

Zimmermann: Es gibt viele Gemeinsamkeiten. Wir sind föderal strukturiert, das gilt für die Kultur und den Sport. Das wollen wir auch gar nicht ändern. Es bedeutet aber nicht, dass es auf Bundesebene nicht viel zu tun gibt. Das Gegenteil ist der Fall. Wir reden über wichtige nationale Leuchtturmprojekte, aber auch über die gesamten Rahmenbedingungen vom Steuer- und Urheberrecht bis zum Arbeitsrecht. Dies sind zentrale Themen, und dafür braucht man ein Ministerium, das in die Ressortabstimmung der Bundesregierung eingebunden ist. Deshalb kann es nicht nur eine Abteilung im Kanzleramt oder im Innenministerium (BMI) geben. Wir haben in den vergangenen Jahren gezeigt, was nicht immer so war: Kultur und Sport arbeiten gut zusammen. Streitfälle, die es früher gegeben hat, wie die Frage, ob ein Sportplatz oder ein Kulturzentrum wichtiger ist, gibt es glücklicherweise fast gar nicht mehr. Wir brauchen beides. Die Politik wird erst einmal schlucken und fragen: Noch ein neues Ministerium, wollen wir das wirklich? Wenn man es rational und kühl analysiert, wird man feststellen, dass der Kultur- und Sportbereich in einer anderen Form in der Bundesregierung repräsentiert werden muss. Jetzt haben wir noch Zeit zur Vorbereitung auf die nächste Bundestagswahl. Deshalb würde ich es gut finden, wenn wir gemeinsam diesen Aufschlag machen.

Die Gesellschaft driftet auseinander. Ein politischer Rechtsruck in Deutschland und Europa bedroht demokratische Werte. Bekommt das angestrebte stärkere Miteinander von Kultur und Sport dadurch zusätzliche Relevanz?

Burmester: Natürlich, weil wir damit auf den Kern zurückkommen, den wir beschrieben haben: Was macht uns aus? Dieser gesellschaftliche Zusammenhalt, der in Kultur und Sport realisiert wird. Wir haben mit dem Deutschen Kulturrat und anderen gemeinnützigen Organisationen eine klare Position zum Thema Rechtsextremismus und zur Gefahr der Radikalisierung an beiden Rändern. Wenn wir mit dieser Initiative einen Beitrag leisten können, dass noch einmal über diesen gesellschaftlichen Zusammenhalt und Werte, die wir als Kultur und Sport vertreten, diskutiert wird, ist diese Initiative allemal viel wert. Wir wollen diesen Zusammenhalt stärken, das ist Sinn und Zweck des politischen Vorschlags.

Sind die Fühler für das Vorhaben nach Berlin schon ausgestreckt worden?

Zimmermann: Ich glaube, dass wir als zivilgesellschaftliche Akteure versucht haben, unsere Hausaufgaben in den letzten Jahren gemeinsam zu machen. Die Kultur und der Sport werden alleine nicht die Chance haben, ein eigenständiges Ministerium zu erhalten. Wir wissen das seit 26 Jahren. Die Politik sagt, der Kulturbereich ist zu klein. Vielleicht nicht zu Unrecht. Wenn Kultur und Sport zusammengeworfen werden, sprechen wir von einer Struktur, die nicht mehr zu klein ist. Wir hoffen, dass durch die Initiative eine Diskussion ausgelöst wird und die Politik erkennt: Das ist ein sinnvoller Weg.

Der DOSB plant eine deutsche Olympia-Bewerbung. Ist das auch Chance und Möglichkeit zugleich, mit dem Kulturrat eng zusammenzuarbeiten?

Burmester: Wir sind überzeugt, dass Olympische und Paralympische Spiele in Deutschland nur Sinn machen, wenn sie von weiten Teilen der Gesellschaft getragen und die Chancen eines solchen Projektes erkannt werden. Olympische Spiele ausrichten zu wollen, ist ein hohes politisches Ziel und wir brauchen dafür ganz viele Partner: die Kultur, die Wirtschaft, Sozialpartner und die Menschen vor Ort, die sagen, wir wollen die Spiele. Wir haben momentan eine stabile Quote von 67 bis 70 Prozent Zustimmung in der Bevölkerung, eine Olympia-Bewerbung zu unterstützen. Die Protagonisten der Kultur werden wir als Meinungsbildner brauchen.

Wären umgekehrt die Olympischen Spiele eine Chance für die deutsche Kultur? 

Zimmermann: Es wäre gut, wenn wir uns bewerben würden, weil Deutschland vor großen Herausforderungen steht. Deshalb ist es nicht nur ein sportpolitisches Thema. Wenn wir uns bewerben, muss man den Mut haben, notwendige Diskussionen zu führen. Die Olympischen Spiele 1936 in Berlin mahnen den Kultur- und Sportbereich, nicht zu vergessen, dass wir uns nie mehr politisch vereinnahmen lassen dürfen.

Der Deutsche Kulturrat und der DOSB bemühen sich seit vielen Jahren um eine Verankerung von Kultur und Sport im Grundgesetz. Warum?

Burmester: Wir halten die Staatszielbestimmung von Kultur und Sport für dringend notwendig. Es ist eine Willenserklärung mit einer gewissen Verbindlichkeit der Bundesrepublik zu den Inhalten der Kultur und des Sports.

Wird es auch bei diesem Thema gemeinsame Anstrengungen geben?

Zimmermann: Das Grundgesetz ist die Ordnung, die letztendlich beschreibt, wie wir in diesem Land zusammenleben wollen und nach welchen Regeln. Deshalb ist es richtig, dass es zu wichtigen gesellschaftlichen Bereichen Äußerungen im Grundgesetz gibt. Was die Kultur angeht, gibt es die wichtigste Äußerung im Artikel 5 zur Kunstfreiheit. Was im Grundgesetz nicht steht, ist, dass wir ein Kulturstaat sind. Das ist eine Verantwortung des Staates für die Kultur. Wenn wir gemeinsam arbeiten, erreichen wir womöglich auch hier die längst fälligen Änderungen in der nächsten Legislaturperiode. Es gibt bestimmte Sachen, die wir erfolgreicher gemeinsam bestehen können. Und wenn wir vieles gemeinsam erfolgreicher machen können, wäre es fast unverantwortlich, diesen Versuch nicht zu unternehmen.

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 7-8/2024.