Dass sich die einen nur für Sport und die anderen nur für Kultur interessieren würden und beide Gruppen nichts miteinander zu tun hätten, war schon immer Unsinn. Kultur und Sport haben vieles gemeinsam, und ich bin fest davon überzeugt, dass beide, Kultur und Sport, beim Zusammenspiel mehr gewinnen als verlieren. Die noch andauernde Fußballeuropameisterschaft und noch mehr die in Kürze beginnenden Olympischen Spiele in Paris sind immer Sport- und Kulturfest in einem.
Meine persönliche Beziehung zum Sport war lange Zeit von meiner Schulzeit verdunkelt. Der schulische Sportunterricht war für mich als dickes Kind eine Qual. Die Bundesjugendspiele waren eine einzige Horrorveranstaltung, der ich durch vielerlei Tricks zu entrinnen versuchte, meist leider vergebens.
Mit dem organisierten Sport verbindet mich trotz alledem eine langjährige sehr gute Zusammenarbeit. Sie begann in der Enquete-Kommission des Deutschen Bundestags »Zukunft des bürgerschaftlichen Engagements« im Jahr 1999. Viele hatten zu diesem Zeitpunkt das Engagement in Vereinen längst abgetan und waren sich sicher, dass sich künftig Engagierte nur noch kurzfristig in Projekten einbinden lassen würden. Einige der Expertinnen und Experten, die seinerzeit von der Enquete-Kommission angehört wurden, wollten schon dem organisierten Breitensport oder der Amateurkunst das Totenglöcklein läuten. Beides ist nicht eingetreten, weder sind die Vereine ausgestorben, noch konnte ihre langfristige Arbeit durch zeitlich befristetes Engagement ersetzt werden. Im Gegenteil, beide Bereiche ergänzen sich heute und lernen voneinander. Viele Vereine aus dem Sport-, aber auch dem Kulturbereich haben Angebotsstrukturen etabliert, die es ermöglichen, zeitlich befristet Aufgaben zu übernehmen. Gleichwohl bleibt das stabile Engagement in den Vereinsstrukturen unersetzbar.
Die Vereine sind nicht nur Orte, an denen gemeinsam Sport oder Musik, Theater oder anderes gemacht wird. Sie sind zugleich Orte der Nachbarschaft, des sozialen Zusammenhalts, der gesellschaftlichen Debatten und der Gelegenheit Haltung zu zeigen. Vereine sind zugleich Orte, in denen Demokratie gelebt wird. Vereinsvorsitzende werben um Zustimmung, sie übernehmen Verantwortung und mit jeder neuen Amtsperiode entscheiden die Mitglieder neu, wem sie ihr Vertrauen schenken. Der Deutsche Olympische Sportbund verdeutlicht mit seiner Kampagne »Hör auf Deinen Sport«, wie sich jeder Einzelne für die Demokratie im Verein, aber auch für die gesamte Gesellschaft einsetzen und gegen Demokratiefeinde und gegen Rassismus Farbe bekennen kann.
Aber natürlich sind die Vereine im Sport und in der Kultur keine einsamen Inseln der Glückseligen. Sie sind ein Spiegel der Gesellschaft. D. h., auch hier gibt es Fremdenfeindlichkeit, Antisemitismus und Hass, auch hier gibt es Ausgrenzung und Diskriminierung. Umso wichtiger ist es, dass sich die Verbände und Vereine entschieden dagegenstellen, Aufklärung betreiben, für das friedliche Miteinander und unsere demokratische Gesellschaft werben.
Auch mit Blick auf sexualisierte Gewalt und Abhängigkeiten gibt es durchaus Parallelen zwischen Kultur und Sport. In beiden Bereichen gibt es bekannt gewordene Skandale und sehr viele Fälle, die nicht an die große Glocke gehängt wurden, für die Betroffenen aber mindestens ebenso belastend sind. Mit der Beratungsstelle »Safer Sport« hat der Sport den Kulturbereich inzwischen mit seinem Beratungsangebot überholt. »Themis – Vertrauensstelle gegen sexuelle Belästigung und Gewalt« wurde zwar vorher gegründet und hat beim Aufbau von »Safer Sport« unterstützt, richtet sich aber nach wie vor nur an Betroffene aus den Sparten Film, Fernsehen, Theater und Musik, wohingegen »Safer Sport« für Betroffene aller Sportarten offen ist. Auch zeigt der Bund bei der vornehmlichen Finanzierung von »Safer Sport« deutlich mehr Engagement, als es im Kulturbereich der Fall ist. Beide Dachverbände, der Deutsche Olympische Sportbund und der Deutsche Kulturrat, führen seit letztem Jahr unabhängig voneinander interne Dialogprozesse darüber durch, wie sexualisierter Gewalt entgegengetreten werden kann.
Eine weitere Parallele zwischen Sport und Kultur, zumindest mit Blick auf einige Sparten, ist die frühe Förderung von Talenten. Sowohl im Sport als auch in der Musik sowie im Tanz findet die erste Sichtung von Talenten bereits bei Kindern statt. Der Sport führt diese Talentsichtung oder, moderner ausgedrückt, das »Scouting« sehr systematisch durch. Geht es doch darum, die künftigen Teilnehmerinnen und Teilnehmer von deutschen, Europa- und Weltmeisterschaften bzw. der Olympiade frühzeitig zu entdecken und systematisch, auch in Sportinternaten, zu fördern. In der Musik und im Tanz gibt es ebenfalls etablierte Strukturen wie z. B. den Wettbewerb Jugend musiziert, um Talente ausfindig zu machen, sie zu fördern und damit den Grundstein für eine mögliche nationale oder gar internationale Karriere zu legen.
Hochkultur und Breitenkultur finden im Breitensport und dem Spitzensport ihr Spiegelbild. Wie im Kulturbereich sind auch im Sport diese beiden Welten eng miteinander verknüpft. Keine Hochkultur ohne Breitenkultur und kein Spitzensport ohne den Breitensport. Deshalb ist es auch nicht verwunderlich, dass die Sportpolitik und die Kulturpolitik viele Gemeinsamkeiten aufweisen. Sport und Kultur sind föderal organisiert. Das gilt nicht nur für das Vereinswesen, sondern auch für die Sport- und Kulturpolitik. Weil wir auch politisch sehr ähnlich verfasst sind, haben wir in den letzten Jahren oft am selben politischen Strang gezogen.
Gemeinsam streiten wir für ein vernünftiges Gemeinnützigkeitsrecht und werben für die Stärkung der Zivilgesellschaft. Gemeinsam kämpfen wir für den Erhalt unseres demokratischen Gemeinwesens. Gemeinsam arbeiten wir in vielen Organisationen zusammen, wie zum Beispiel der Initiative kulturelle Integration.
Obwohl der Kultur- und Sportbereich unzweifelhaft eine zentrale Bedeutung für die Entwicklung unseres Gemeinwesens haben, sind seine Vertretungen in der Bundesregierung beschränkt. Der Kulturbereich hat zwar jetzt seit 26 Jahren eine Kulturstaatsministerin als politische Vertretung im Bundeskanzleramt, aber immer noch gibt es kein Bundeskulturministerium. Der Sport wird, wie früher auch der Kulturbereich, im Bundesministerium des Innern und für Heimat mitbearbeitet. Ein richtiges Sportministerium gibt es nicht. Seit zweieinhalb Jahrzehnten fordern wir die Einrichtung eines Bundeskulturministeriums, bislang ohne Erfolg. Warum versuchen wir es nicht einfach gemeinsam? In der nächsten Legislaturperiode brauchen wir ein Kultur- und Sportministerium. Dieser Schritt würde den Kultur- und Sportbereich politisch deutlich aufwerten.