Miteinander kochen bringt Menschen zueinander. Seit 2013 lädt deshalb der Verein »Über den Tellerrand e.V.« in Berlin zu kulinarischen Kulturprojekten ein. Durch gemeinsames Kochen fördert er inter- und transkulturelle Begegnung. Kulturprojekte können Menschen mit Flucht- oder Migrationserfahrung den Weg in die Gesellschaft ebnen. Freilich ist das Ganze nicht auf Kochen und Essen beschränkt, sondern geht durch alle Bereiche der kulturellen Bildung und künstlerische Sparten. In der Musik etwa entstand beim Landesverband der Musikschulen in Nordrhein-Westfalen 2015 das Projekt »Heimat: Musik«, das Geflüchteten Teilhabe an öffentlichen Musikschulen in NRW ermöglicht. 2016 bis 2021 flossen über 2,5 Millionen Euro des Landes NRW in das Projekt, und an knapp 50 Musikschulen im Bundesland gab es über 130 Projekte: Ensemble- und Chorangebote, Einzelunterricht, Kooperationen mit Schulen und Kitas sowie spezielle Angebote zum Fremdsprachenerwerb. Das Projekt läuft heute noch und hat sich weiterentwickelt. Noch bis vor kurzem lautete der interkulturelle Ansatz, dass sich bei »Heimat: Musik« verschiedene Kulturen kennenlernen, um ein friedliches Miteinander führen zu können. Nicht im Bewusstsein stand allerdings, dass es dabei zu ungleichen Gewichtungen und Hierarchisierungen von Kultur kommen kann. Deshalb wird das Projekt heute selbstkritisch auf Diversität und diverse Interkultur hinterfragt und ausgestaltet.
Gezielt an Geflüchtete richtete sich 2018 das DialogTheater in Stuttgart mit der Produktion »Ankommen und dann«. Geflüchteten sollten via Bühnenkunst soziale Kontakte ermöglicht werden. Das Theaterstück selbst sollte das Thema Integration informativ und emotional authentisch in den Fokus rücken. Um Leute fürs Projekt zu finden, waren Karlo Müller und Barbara Rochlitzer vom Vorstand des DialogTheater e.V. in Flüchtlingsunterkünfte gegangen. »Vieles läuft über persönliche Gespräche und Vertrauen«, erinnert sich Barbara Rochlitzer: »Es nicht leicht, Menschen zu finden, die tatsächlich kommen und verlässlich mitmachen.« Über einen Zeitraum von fünf Monaten hatten sich schließlich acht Leute mit Fluchthintergrund und drei Deutsche für »Ankommen und dann« zu Planungen und Proben getroffen und das Stück entwickelt, das sich inhaltlich aus den Erfahrungen der Darsteller speiste. In freundschaftlicher, unterhaltsamer Diktion eines Lehrtheaters kam so auf die Bühne, wie essenziell Fremdsprachenerwerb, Freundeskreis, Ausbildung oder Arbeit und ein weitreichender Zukunftswunsch für gesellschaftliche Integration sind. »Ankommen und dann« wurde mit 5.000 Euro von der Stadt Stuttgart innerhalb des »Pakts für Integration« gefördert. Mit großzügiger Unterstützung durch das Programm »Mittendrin – Chancen für morgen gestalten« von Mercedes-Benz und der Bürgerstiftung Stuttgart läuft gegenwärtig am DialogTheater bis März 2026 das neue Projekt »0711 – Spielraum interkulturell«. Auch hier werden mit Menschen, die noch neu in der Stadt sind, Theaterperformances erarbeitet. In einem Stück über »Versöhnung« werden dabei auch Störungen der Integration und gesellschaftliche Ausgrenzungen thematisiert. »Es geht nicht darum, eine heile Welt darzustellen«, sagt Karlo Müller: »Vielmehr wollen wir der Frage nachgehen, was uns oft am integrativen Miteinander hindert und wie wir da rausfinden können.« Eine solche tiefsinnigere Reflexionsebene zu schaffen, gelingt insbesondere Kulturprojekten, die mit Texten, Literatur oder gedanklichem Austausch zu tun haben.
Gezielt an Profimusikerinnen, Berufsschauspieler und -künstlerinnen wendete sich 2023 das Kulturfestival-Projekt »Shababik – Kunst erzählt Migration«, das die Internationale Kulturelle Akademie e.V. mit Förderung des Ministeriums für Kultur und Wissenschaft NRW initiierte. Bei dem zweitägigen Programm in Detmold waren unter etwa 20 Teilnehmenden der Langhalslauten-Spieler Ibrahim Kevo vertreten, das Arabische Musikinstitut Berlin und die im Sudan geborene österreichische Schriftstellerin Ishraga Mustafa Hamid. »Für zugewanderte professionelle Künstlerinnen und Künstler gibt es insgesamt wenig Auftrittsmöglichkeiten und sie bleiben dem Publikum hier oft unbekannt«, sagt Vereinsschatzmeister und Mitorganisator Youssef Alyoussef. »Shababik« – was arabisch ist und »Fenster« bedeutet – soll deshalb Kulturschaffenden mit Migrationsgeschichte, insbesondere auch jüngeren, eine Bühne geben. Über den Verein vernetzen sich die Beteiligten, sodass langfristig für die Kulturlandschaft neue Strukturen entstehen. 2024 wurde eine Förderung nicht gewährt. Youssef Alyoussef ist jedoch zuversichtlich, dass Shababik 2025 wieder stattfinden kann.
Integrationsprojekte durch Kultur richten sich nicht nur an produzierende Akteurinnen und Akteure, sondern auch ans Publikum. Seit 13 Jahren gibt es an der Komischen Oper Berlin den »Operndolmuş«, das Wort leitet sich vom türkischen Begriff für Sammeltaxis ab. Er bringt eigens entwickelte Opernprogramme in die Kieze. Die Idee ist, Menschen dort für Musiktheater zu begeistern, wo sie leben. Nicht zuletzt deckt sich das Projekt auch mit dem Interesse, neue Publikumskreise für die Oper zu erschließen: Gewissermaßen muss sich auch die Oper in die neue, gewandelte Gesellschaft integrieren. Die Kulturprojekte sind somit nicht nur ein Mittel zur Unterhaltung, sondern wesentlicher Bestandteil einer integrativen Gesellschaft – in verschiedene Richtungen.