In Deutschland wird seit Jahren kritisch auf das Bildungssystem geblickt. Mit der neuesten Veröffentlichung der PISA-Studie im Dezember 2023 wurde wieder einmal die »Krise des deutschen Bildungssystems« ausgerufen. Dabei sind es in Deutschland keinesfalls nur die »formalen« Bildungsorte wie Schulen oder Hochschulen, die Bildungsleistungen für unsere Gesellschaft erbringen. Aus zivilgesellschaftlichen Organisationen kommen vielfältige non-formale und informelle Bildungsbeiträge, die das besondere Potenzial haben, Menschen im gesamten Lebenslauf zu erreichen. Diese werden in der Bildungsdebatte bisher allerdings nur wenig beachtet. Umso erfreulicher ist es, dass nun ein Forschungsprojekt »Zivilgesellschaft und Bildung. Bürgerschaftliches Engagement in kommunalen Bildungslandschaften« des Wissenschaftszentrums Berlin (WZB) diese Beiträge in den Blick nimmt. In der Studie zeigt sich eindrücklich, welche Dimensionen die Beiträge der Zivilgesellschaft für die Bildung in Deutschland einnehmen: Ein Großteil des freiwilligen Engagements in Deutschland ist bildungsrelevant; mehr als 27 Prozent der Erwachsenen in Deutschland engagieren sich für Bildung. Dieses Bildungsengagement zeigt sich in vielfältigen gesellschaftlichen Bereichen. Die Daten der Studie zeigen, dass das Bildungsengagement der Zivilgesellschaft von sehr unterschiedlichen Personengruppen und Organisationen erbracht wird und dass diese mit ihren Leistungen weite Teile der Gesellschaft erreichen. Und sie belegen, dass der Sport und die Kultur die größten Bildungsakteure in der deutschen Zivilgesellschaft sind. Denn unter allen zivilgesellschaftlichen Organisationen, die Bildungsleistungen erbringen, kommen die meisten aus dem Bereich »Sport und Bewegung« (17 Prozent) und dem Bereich »Kultur« (11 Prozent).

Aber was wird im Sport eigentlich gelernt? Für den Bildungsort Sportverein lassen sich konkrete Lerngelegenheiten beschreiben. Analog zum schulischen Sportunterricht werden im Vereinstraining Bewegungen und die Technik und Taktik der Sportarten erlernt und trainiert. Die Lernprozesse werden in jedem Alter wirksam, vom Kinderschwimmkurs über den Wettkampfsport bis zur Gymnastik für Hochbetagte. Auch tragen Sportvereine zur Persönlichkeitsentwicklung ihrer Mitglieder bei. Sportler lernen, sich in ein Team einzubringen, mit Möglichkeiten und Grenzen der eigenen körperlichen Fähigkeiten ebenso wie mit Erfolgen und Niederlagen im Wettkampf umzugehen. Ganz besondere Lerngelegenheiten bieten die vielen Engagementmöglichkeiten in den Sportvereinen, ob als ehrenamtliche Trainerin oder im Rahmen einer Tätigkeit als Kassenwart, Vorstand oder in einer ähnlichen ehrenamtlichen Position. Menschen erweitern durch das Engagement ihre Kompetenzen, die ihnen auch in anderen – z. B. beruflichen und schulischen Kontexten – dienlich sein können. Darüber hinaus halten Sportverbände ein vielfältiges Aus- und Fortbildungsangebot vor. Die Engagierten können sich nach bundesweit über alle Sportarten hinweg einheitlichen Qualitätsstandards als Trainer, Übungsleiterin, aber auch für die Vorstandsarbeit qualifizieren und diese Qualifikation mit einer DOSB-Lizenz bestätigen lassen. Um die DOSB-Lizenz gültig zu halten, müssen die Engagierten regelmäßig Fortbildungen besuchen. Derzeit sind über 480.000 DOSB-Lizenzen deutschlandweit gültig.

Das deutsche Aus- und Fortbildungssystem im organisierten Sport wird kontinuierlich weiterentwickelt und genießt international einen herausragenden Ruf. Insbesondere in digitaler Bildung und Blended Learning-Didaktik ist der deutsche Sport Vorreiter in Europa. Durch den Einsatz einer speziellen Video-Didaktik können beispielsweise Trainer und Trainerinnen konkrete Beispiele aus ihrem Trainingsalltag im Verein in den Lehrgang einbeziehen.

Mit dem Bewegungslernen einhergehend schaffen Sportvereine Räume für das Demokratielernen: ein Bildungsbeitrag, der für unsere Gesellschaft wichtiger ist denn je. So betont die Sozialarbeitswissenschaftlerin Wibke Riekmann, »dass Demokratie (…) auch eine Lebensform ist, die im Alltag erfahren werden muss«. Sie hebt die Vereinsprinzipien der freiwilligen Teilnahme, der Mitgliedschaften und des ehrenamtlichen Engagements hervor. Diese ermöglichten eine demokratische Beteiligung. Diese Ermöglichungsstruktur wird von den Vereinen häufig aktiv ausgestaltet. So belegt auch der Sportentwicklungsbericht, dass den Sportvereinen demokratische Beteiligung ihrer Mitglieder wichtig ist. Auch Jugendliche erhalten Möglichkeiten der aktiven Mitgestaltung des Vereinslebens, weshalb Sportvereine häufig als »Schulen der Demokratie« bezeichnet werden. So gibt es auch bei knapp einem Drittel der Sportvereine Jugendvertreter mit Sitz im Gesamtvorstand.

Die Zivilgesellschaft hat viel zu bieten! Als die Sportvereine während Corona zum Stillstand kamen, wurde schmerzhaft deutlich, welch große Lücke sie bei den Menschen in dieser Zeit hinterließen. In der Zivilgesellschaft liegen so viele Bildungspotenziale, die zu ignorieren sich unser Land nicht mehr leisten kann.

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 7-8/2024.