Der Deutsche Landkreistag vertritt 294 Landkreise in ganz Deutschland, die im ländlichen Raum angesiedelt sind. Hier geht es vor allem anderen darum, die vorwiegend ehrenamtlichen Strukturen aufrechtzuerhalten und zu modernisieren.
Barbara Haack: Was sind für die Landkreise in Deutschland die großen kulturpolitischen Herausforderungen?
Jörg Freese: Eine große Herausforderung ist die Struktursicherung. Wir haben im ländlichen Raum vorwiegend kleinere kulturelle Strukturen, häufig rein ehrenamtlich organisiert. Diese Strukturen zerbrechen natürlich schneller als eine hauptamtliche Struktur, in der Leute dafür bezahlt werden, dass sie sich auch um die Sicherung ihrer Institution kümmern. Ehrenamtliche müssen Zeit erübrigen. Wenn sie diese Zeit nicht mehr haben oder, weil sie schon älter sind, einfach nicht mehr können oder wollen, dann droht eine Struktur wegzubrechen. Das treibt uns um. Deswegen sind wir sehr dran interessiert, hauptamtliche Strukturen zu schaffen, vor allem, um die Ehrenamtler zu unterstützen bei Aufgaben, die nicht direkt mit ihrer kulturellen Arbeit zu tun haben – Steuererklärungen zum Beispiel, Vereinsgründungen oder beim Umgang mit dem Amtsgericht.
Das ist ein Unterschied zum städtischen Raum, wo es häufig Theater oder andere Institutionen gibt, die feste Mitarbeiter und hauptamtliche Strukturen haben. Die Herausforderung besteht nicht nur darin, das über die Zeit zu retten, sondern es zugleich auch zu modernisieren.
Oft heißt es, dass Menschen Angst davor haben, sich gerade auf kommunaler Ebene ehrenamtlich zu engagieren, weil es da oft Gegenwind gibt. Nehmen Sie das wahr?
In Bezug auf das kommunalpolitische Ehrenamt auf jeden Fall. Es gibt immer noch viele Menschen, die sich engagieren. Aber im Hinterkopf ist oft der Gedanke: »Wenn ich den Kopf aus der Deckung nehme und mich für eine politische Partei oder sonst irgendwie engagiere, kommen Leute aus der Hecke und ich werde angegriffen, meistens natürlich verbal.« Im kulturellen Ehrenamt ist das noch nicht ganz so ausgeprägt. In der Kultur liegt es eher daran, dass die Menschen Zeit brauchen, die sie oft nicht haben. Und viele sind weniger bereit, sich langfristig zu engagieren, sondern wollen das eher kurzfristig oder projektweise tun. Die Erkenntnis ist nicht neu, aber darauf müssen wir uns noch stärker einstellen.
Wir stehen vor Kommunalwahlen, bei denen abzusehen ist, dass sich Machtverhältnisse ändern werden. Sehen Sie in diesem Zusammenhang die Gefahr der Beeinflussung oder Vereinnahmung von Kultur?
Ja. Wir reden jetzt natürlich nicht über große Bühnen, die moderne gesellschaftskritische, im Zweifel tendenziell linke Stücke aufführen und dann der Kritik von ganz rechts außen ausgesetzt sind. Insofern ist es fraglich, ob das bei uns so virulent wird. Aber dass Dinge dem einen oder anderen im Kreistag nicht gefallen, darüber muss man sich zukünftig stärker im Klaren sein. Auch bisher fanden nicht alle immer alles gut, aber sie haben es toleriert.
Im Sinne von Kunstfreiheit?
Im Sinne von Kunstfreiheit und auch im Sinne von »leben und leben lassen«. Im Sinne von: »Mir gefällt zwar nicht, was sie machen, und ich gehe da auch nicht hin, aber es ist gut, dass es das gibt.« Es könnte passieren, dass das zukünftig anders wird. Ich rechne damit, dass es dann immer wieder Leute auch im Kreistag gibt, die meinen, kulturelle Angebote kritisieren zu müssen, nur weil sie ihnen nicht passen.
Inwieweit kann der Deutsche Landkreistag in den Landkreisen kulturpolitisch Einfluss nehmen oder unterstützen?
Wir versuchen das natürlich. Wir versuchen deutlich zu machen, dass die beiden Eckpfeiler Kultur und kulturelle Bildung kein Spaß sind oder ein Nice-to-have, sondern die gemeinsame Grundlage für einen Kreis, genauso für kreisangehörige Städte und Gemeinden bilden, für die Gemeinschaftsbildung, für die Identität. Gerade Kreise tun sich da manchmal schwerer, z. B. aufgrund eines etwas schwierigeren landsmannschaftlichen oder naturräumlichen Zuschnitts. Das ist bei Städten meistens einfacher.
Aber wir haben auch viele Landkreise, da passt es fast von ganz alleine, in denen Menschen sich zusammengehörig fühlen. Aber auch da ist Kultur ein ganz wichtiger Faktor. Insgesamt kann man Kultur nicht nach Belieben hoch- und runterfahren. Aber da können wir nur Überzeugungsarbeit leisten. Wir haben ja keine Exekutivgewalt.
Wie sieht es aus mit dem Thema Finanzierung?
Das hat sehr viel mit dem Stichwort Freiwilligkeit zu tun. Je mehr Geld vorhanden ist, desto eher werden Dinge getan, zu denen man nicht zwingend verpflichtet ist. Mittelbar ist die Finanzierung von Kultur also natürlich immer ein Problem. Aber ich will nicht akzeptieren, dass man damit leben muss, dass wegen finanzieller Probleme im kulturellen Bereich weniger gefördert wird. Kulturförderung macht immer einen sehr geringen Anteil am Gesamthaushalt aus. Selbst eine Verdopplung des Kulturetats wäre in den meisten Kreisen im Haushalt kaum zu merken. Das können wir immer wieder deutlich machen: »Ihr könnt an dieser Stelle sparen, aber es bringt nichts.« Insofern will ich ungern diese Finanzdiskussion führen.
Wie sieht es mit dem Thema kulturelle Bildung und Teilhabe in den Landkreisen aus? Gehört das auch zu den Herausforderungen?
Das ist natürlich eine Daueraufgabe, die man nie loswird. Das ist auch gut so. Auch Inklusion ist ein Stichwort. Wir wollen ja möglichst viele erreichen. Die Ressourcen sind schon früher nicht unendlich gewesen. Jetzt sind sie es erst recht nicht, allein schon die personellen Ressourcen. Ich sehe da weiterhin große Herausforderungen. Aber es kommen immer junge Leute nach, die nach kultureller Bildung schreien. Und Schule bietet das nicht ausreichend an. Was die kulturelle Bildung angeht, halte ich die Fokussierung auf eher jüngere Generationen für wichtig. Das sind diejenigen, die langfristig von dieser positiven Prägung profitieren. Ein Angebot auch für Ältere ist wunderbar. Aber das würde ich eher als Add-on sehen. Hauptzielgruppe sollten weiterhin Kinder und Jugendliche sein.
Vielen Dank.