Karin Lingl im Gespräch über Ergebnisse der Studie und die sich daraus ergebenden Forderungen

 

Barbara Haack: In welcher Ausgangslage wurde die Studie erstellt?

Karin Lingl: Es gibt bisher sehr wenige Studien und einen sehr dünnen und lückenhaften Datenbestand. Ein grundsätzliches Problem ist, dass bisher nirgendwo dargelegt wurde, wie der gesamte Kunstbetrieb funktioniert.

Wir befinden uns in einer Gemengelage von ideeller Kunstproduktion, die einen nichtmerkantilen Wert hat, und – mit fließenden Übergängen – einem kulturwirtschaftlichen Markt.

Wie dieses Ökosystem bildende Kunst sich gestaltet, ist nur denjenigen bekannt, die selbst Teil davon sind. Künstlerinnen und Künstler schaffen die Inhalte, die z. B. den Auktionsmarkt erst dazu befähigen, einen kulturwirtschaftlichen Ertrag zu erzielen.

Und die bildenden Künstlerinnen und Künstler erwirtschaften ihr Einkommen in vielen Bereichen dieses Kunstbetriebs. Diese Gemengelage muss man kennen, um zu verstehen, was passiert, wenn Künstliche Intelligenz dazukommt.

 

Wie bewerten Sie die Ergebnisse der Studie und das Verhältnis von Chancen und Risiken in Bezug auf KI?

Künstlerinnen und Künstler nutzen KI, weil sie neu ist, innovativ, ein Werkzeug, das in großen Teilen, beispielsweise in der Bildbearbeitung, viele Möglichkeiten bietet. Man kann sie auch als Hilfsmittel nutzen, zur Organisation oder zur Archivierung. Problematisch wird es immer dann, wenn es um Geld geht. Künstlerinnen und Künstler sind die Urheber. Wenn die Früchte ihrer Arbeit von anderen genutzt und dort Erträge erwirtschaftet werden, müssen sie beteiligt werden.

Künstlerinnen und Künstler sind in vielen Bereichen des Kunstbetriebs aktiv, in der kulturellen Bildung, im Bereich Illustration, Fotografie, sie sind kuratorisch unterwegs oder schreiben Texte – bis hin zum Vertrieb ihrer eigenen Arbeiten. All diese Bereiche sind von KI betroffen, vermutlich noch massiver als das Kunstschaffen selbst.

 

Wenn wir über Texte sprechen oder auch über Fotografie, erschließt sich die Gefährdung durch KI. Inwieweit sind auch andere Felder wie Kunstpädagogik, Kunstvermittlung oder auch der Bereich der Vermarktung betroffen?

Das Netz ist jetzt schon geflutet von Angeboten, die schnell generiert werden können. Man promptet, klickt und hat ein Bild. Allein dieses Überangebot an »Deko-Kunst« wird dazu führen, dass ein großer Teil des Marktes für menschengemachte Kunst wegbrechen wird.

Der Unterschied zum menschengemachten Authentischen wird im Digitalen vermutlich weniger erkannt, weshalb auch die Kennzeichnungspflicht von mit KI generierten Produkten eine der Forderungen der Studie ist.

Eine weitere Forderung ist die nach mehr Medienkompetenz. Was stellen Sie sich konkret vor?

Medienkompetenz heißt: Wir müssen wissen, wie die Systeme und Programme funktionieren. Wir sollten darüber nachdenken, eine Art Beratungseinrichtung zu installieren, damit Künstlerinnen und Künstler, die mit dem komplexen Instrument KI konfrontiert werden, Gelegenheit erhalten, sich zu informieren. Es geht dabei auch um die ideelle Aufgabe der Kunst: Wenn ich z. B. in der Fotografie ein Bild mit KI bearbeite und verändere, könnte ich Wahres und Falsches abbilden. Wenn KI ein Bild generiert, bearbeitet oder verändert, könnte Reales oder Fiktives abgebildet sein. Wenn dieses Bild unreflektiert in die Archive gelangt und in 100 Jahren als Zeitdokument erinnert wird, könnte dieses Bild als authentisch, als wahr gelten. Kunstschaffende müssen sich deshalb heute vor Augen führen können, was morgen die Folgen der KI-Nutzung sein könnten. Das betrifft übrigens nicht nur den Bereich der bildenden Kunst, sondern uns alle.

 

Medienkompetenz bezieht sich nicht nur auf die Künstlerinnen und Künstler selbst, sondern auch auf die Rezipientinnen und Rezipienten, auf das Sehenlernen.

Sehenlernen meint Prüfen plus Abwägen plus Einschätzen. Unsere Augen leiten rasend schnell und ungefiltert, ähnlich einer Kamera, alles Gesehene per Sehnerv direkt ins Gehirn. Die inhaltliche Bewertung der dort ankommenden Bildeindrücke muss im Nachhinein justiert werden. Angesichts der zu erwartenden Flut der KI-generierten Bilder müssen wir lernen, Gesehenes differenzierter, präziser zu reflektieren und seinen Wahrheitsgehalt einzuschätzen. Die Rezeption von Kunst sollte kontextualisiert werden, was Aufgabe der Kunstvermittlung ist. Wenn ich weiß, wie ein Bild einzuschätzen ist, kann ich auch nachfragen: Wie kann das sein? Doch just der kunstvermittelnde Bereich könnte von KI viel stärker erobert werden als das eigentliche Kunstschaffen.

 

Die Studie thematisiert auch die Datenlage.

Wir brauchen auf jeden Fall viel mehr Zahlen und Daten, damit wir wissen, wie der Kunstbetrieb funktioniert, wie die Einkommensmodelle ausschauen, wie die Akteure vernetzt sind und wie sie sich gegenseitig bedingen. Wer hat welchen Anteil? Das ist wichtig, auch für den Kunstfonds, damit wir wissen, an welcher Stellschraube wir möglicherweise einen Förderakzent setzen. Dass unser Budget im nächsten Jahr fast halbiert werden soll, ist in diesem Zusammenhang fahrlässig.

Das, was wir heute tun, müssen wir als das begreifen, was für die Zukunft relevant ist. Was unsere menschliche Gemeinschaft ausmacht, gefährden wir, wenn wir die visuellen Narrative, die Künstlerinnen und Künstler schaffen, vernachlässigen, wenn wir durch Kürzungen versäumen, die Pipeline für die Zukunft zu füllen.

 

Vielen Dank.

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 9/2024.