Künstlerische Nachlässe – lange vernachlässigt und nun doch zunehmend als schützenswertes Kulturerbe und wertvolle Ressource für Forschung, kulturelle Bildung und Teilhabe wahrgenommen? Das klingt nach einer Erfolgsgeschichte, an der seit über zwei Jahrzehnten bundesweit intensiv gearbeitet, für die aber noch weitaus mehr – vor allem auch generationenübergreifend – zu leisten sein wird. Denn der Umgang eines Landes mit seinem kulturellen Erbe sagt viel über die Verfasstheit einer Demokratie und das Selbstverständnis einer Nation aus. Künstlerisches Gut hat hohe Bedeutung für das Image einer Stadt oder Region. Es greifen lokale und überregionale Bezüge ineinander, und je präziser die Kenntnis über regionales Kunstschaffen ist, desto transnationaler werden diese Verknüpfungen. Und obwohl in Deutschland der Erhalt und Schutz kulturellen Erbes als ein zentrales kulturpolitisches Anliegen gilt, ist diese Frage bisher noch unbeantwortet: Wieso sind Künstlernachlässe immer noch kein fester Bestandteil des zu schützenden nationalen Kulturguts?

»Wie in Europa die Nationen, so haben innerhalb der Nation die Städte ihre je eigene Geschichte, historische Substanz, Überlieferung und ein kommunikatives Gedächtnis ihrer Bewohner. Aus diesen Faktoren entsteht das Selbstbildnis einer Stadt, an dem viele Parteien beteiligt sind. Da das Image auch touristisch aufbereitet wird, um die Sichtbarkeit und das Ansehen eines Standorts zu verbessern, ist die lokale Entdeckung und Pflege des künstlerischen Erbes auch ein wichtiges Anliegen der Kulturpolitik geworden«, schreibt Aleida Assmann. Doch das gelingt häufig nur dadurch, dass sich aus privater Initiative hervorgehende Kulturinstitutionen dieser komplexen wie verantwortungsvollen Aufgabe annehmen, Künstlernachlässe zu bewahren und zu ihrer Erforschung respektive Veröffentlichung beizutragen.

2017 schlossen sie sich zum Bundesverband Künstlernachlässe (BKN) zusammen unter dem Vorsitz des Gründungsmitglieds des Forums für Künstlernachlässe in Hamburg, eine der »dienstältesten« Institutionen dieser Art. In der Funktion als unabhängiger und gemeinnütziger Dachverband vertritt der BKN die kulturpolitischen Interessen seiner Mitglieder – darunter Vereine, Künstlerverbände, Stiftungen, Archive, Museen, Kunstsammlungen, Ausstellungs- und Auktionshäuser sowie weitere Akteure, die sich dem Bewahren, Erfassen sowie der Erforschung und Vermittlung von bildkünstlerischen Nachlässen widmen. Sie alle engagieren sich für den Erhalt und die Anerkennung von Künstlernachlässen als schützenswertes Kulturerbe und machen auf ihre Bedeutung als Wissens- und Erinnerungsspeicher aufmerksam. Denn Nachlässe als Ressource für Wissenschaft und Bildung tragen maßgeblich zur kulturellen Identität von Städten und Regionen bei. Daher wäre die öffentliche Förderung von Nachlass-Organisationen durch Bund und Länder eine essenzielle Investition in die Bewahrung der kunst- und kulturgeschichtlichen Vielfalt Deutschlands, um damit beispielsweise den Auf- und Ausbau regionaler Beratungsstellen, Depots sowie die digitale Bestandserfassung zu ermöglichen. In allen Bundesländern gibt es dafür sehr viel Bedarf, denn die meisten Institutionen werden überwiegend ehrenamtlich und spendenbasiert betrieben, was eine verlässliche Planung für eine qualitätvolle, zukunftsfähige und nachhaltige Bewahrung nur schwer möglich macht.

Als bundesweit agierendes Netzwerk bietet der BKN seinen Mitgliedern fachlichen Austausch und überregionale Kooperationen zur kontinuierlichen Verbesserung dieser prekären Situation. Ein planbarer Etat in den Fördertöpfen des Bundes und der Länder zur Sicherung einer personellen wie institutionellen Mindestausstattung wäre notwendig wie angemessen. Ein seit Langem kommunizierter, aber immer noch unge- oder besser überhörter Baustein einer Gegenfinanzierung könnte beispielsweise die Änderung des Urheberrechts zugunsten einer Rechtsträgerschaft der Künstlernachlass-Initiativen sein.

Kunst(nachlass)archive sind keine passiven Sammelstellen, sondern aktive Zentren zielgerichteten Handelns zum Quellenerhalt, zum Schutz von Kulturgut, seiner Erforschung und Sichtbarmachung. Vor dem Hintergrund einer zunehmend digitalen und KI-generierten Visualität werden Archive und Museen – und das sei als persönliche Vorhersage gestattet – immer mehr zu Orten der Sehnsucht auf der Suche nach Authentizität und real erfahrbarer Überlieferung. Für die Erinnerungskultur bilden sie als Schutzraum der Vergangenheitspflege die Basis für Gegenwartsreflexion und Zukunftsgestaltung.

Kulturelles Erbe kann nur erforscht und erlebt werden, wenn seine Produktion und seine Bewahrung gefördert werden. Nicht nur die Künstlerförderung – im Sinne der Vorsorge zu produktiven Lebzeiten –, sondern auch die Kunstwerkerhaltung – im Sinne der postumen Nachsorge – müssen daher in kulturpolitische Überlegungen einbezogen werden. Erst die Bewahrung und Unterschutzstellung des künstlerisch Geschaffenen und die damit verbundenen Schaffensprozesse führen zur Bildung kulturellen Erbes. Mit Nachdruck gilt es daher die Wissenssicherung der regional-kunstlandschaftlichen Vielfalt zu fordern und damit ein facettenreiches nationales, in der weiteren Folge ein europäisch bedeutsames und letztlich international sichtbares künstlerisches Erbe zu fördern.

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 7-8/2025.