Die Fachmedienbranche steht an einem historischen Kipppunkt. Was über Jahrzehnte als stabiles System der Expertenkommunikation funktionierte, verwandelt sich im Zuge digitaler Transformationen, wachsender Desinformation und technologischer Disruption in ein neues Ökosystem beruflicher Öffentlichkeit. Fachverlage werden zu Wissensarchitekten, Fachzeitschriften zu Plattformen – und journalistische Expertise muss sich neu behaupten.

Diese Dynamiken wurden auf den B2B Media Days – dem Branchentreffen der Fachmedien – intensiv diskutiert. Einer der zentralen Impulsgeber war Richard O’Connor, Keynote-Speaker und Transformationsgestalter beim britischen Community-Modell Propolis. Im Interview sprach er über die strategische Neuausrichtung von Fachmedien, die Rolle von Communitys und die Herausforderungen datengetriebener Vermarktung.

 

Vom Content zur Community: Eine neue Infrastruktur entsteht

Klassische Fachmedien boten zuverlässige Information für klar umrissene Zielgruppen: Architekten, Ärzte, Logistiker, Juristen etc. Heute fragmentieren diese Märkte. Die Informationsbedarfe sind digital, on-demand, vernetzt. Statt statischer Inhalte rücken dynamische Wissensnetzwerke in den Fokus.

»Wir sehen eine große Chance für Fachmedien darin, ein sicherer Raum zu sein – für authentische, spezialisierte Inhalte, jenseits von Clickbait«, sagt O’Connor. Gemeint sind Online-Inhalte, die Aufmerksamkeit erregen und dazu verleiten sollen, auf einen Link zu klicken

Diese Entwicklung verändert das Selbstverständnis der Anbieter: Fachmedien wandeln sich von Inhaltsproduzenten zu kuratierten Serviceprovidern. Die Frage lautet nicht mehr: »Was berichten wir?« – sondern: »Wie vernetzen wir Wissen, Kontexte und Menschen in komplexen Systemen?«

 

Künstliche Intelligenz als Katalysator und Stressfaktor

KI ist dabei nicht nur Werkzeug, sondern kultureller Brennspiegel. Während Tools wie das »Editor’s Cockpit« Redaktionen Routinearbeiten abnehmen, bleibt die zentrale Herausforderung: Was bleibt genuin menschlich? Recherche, Kontext, Vertrauen. Fachmedien leben von Autorität und Analyse.

»Es reicht nicht mehr aus, Informationen nur zusammenzufassen oder zu wiederholen. Der journalistische Mehrwert liegt in der Analyse, Bewertung und Kontextualisierung – genau darin sehen wir die Zukunft von Fachmedien«, betont O’Connor.

 

Plattformökonomie verändert die Marktlogik

Benjamin Danneberg, Mitherausgeber des KI-Fachmagazins THE DECODER und Experte bei Deep Content by heise, warnt vor der wachsenden Abhängigkeit journalistischer Inhalte von den Logiken großer Plattformen. Algorithmen bevorzugen Emotionalisierung und Engagement – nicht Relevanz. »Was wenig Aufmerksamkeit erzeugt, verschwindet«, so Danneberg. Das verschiebe öffentliche Debatten in Richtung Resonanzlogik: »Demokratie klickt nicht.«

Journalisten würden künftig weniger Nachrichten produzieren, sondern Inhalte kuratieren, prüfen und einordnen – während KI immer stärker Routineaufgaben übernimmt. Der entscheidende Faktor bleibe: Vertrauen in die publizierende Marke.

 

Transformation als kulturelle Aufgabe

Was sich im B2B-Bereich vollzieht, ist keine rein ökonomische Reorganisation – es ist ein kultureller Strukturwandel. Fachmedien übernehmen Verantwortung in einer Gesellschaft, die nach Orientierung und Verlässlichkeit sucht. Markenvertrauen und Community-Strukturen werden zu Pfeilern.

»Menschen suchen nach Austausch, Zugehörigkeit und praktischen Lösungen«, so O’Connor. »Eine funktionierende Community bietet hier nicht nur fachlichen, sondern auch emotionalen Rückhalt – eine Art kollektive Resilienz.«

 

Fehler, Lernen, Neuausrichtung: Wandel als permanente Aufgabe

Dass Transformation nicht linear verläuft, sondern iterativ, wurde in Erfahrungsberichten deutlich. Wer scheitert, kann lernen – so wie der Verlag Bibliomed, der ein gescheitertes E-Learning-Produkt über Jahre hinweg in ein erfolgreiches Pflichtschulungsangebot verwandelte. Auch im Marketingbereich wird neu gedacht – nicht nur technologisch, sondern auch kulturell. Marketer brauchen Orientierung, Integration und strategischen Rückhalt.

»Viele Marketer wurden in eine zu enge Rolle gedrängt – sie kümmern sich hauptsächlich um Kommunikation und Personalisierung, verlieren aber oft die strategische Unternehmensperspektive«, warnt O’Connor. »Marketing muss sich stärker kommerziell, strategisch und integriert verstehen.«

Die Branche steht nicht am Rand des Medienwandels, sondern im Zentrum einer neuen Wissensarchitektur. Zwischen KI, Plattformlogik und wachsendem Vertrauensverlust wird eine neue Rolle für Fachmedien sichtbar: als Ermöglicher kollektiver Intelligenz und beruflicher Selbstvergewisserung.

»Unsere Vision ist es, Räume für kontinuierlichen Austausch zu schaffen – nicht nur einmal im Jahr auf einer Konferenz, sondern laufend, auf verschiedenen Ebenen«, sagt O’Connor. »Das ist keine idealistische Spielerei – das ist eine strategische Antwort auf die Ökonomisierung von Information.«

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Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 7-8/2025.