Die Experimentalfilmerin und Kunstprofessorin Hito Steyerl spricht mit Ludwig Greven darüber, warum sie die neuen KI-Modelle kaum nutzt und wo sie große Gefahren durch Künstliche Intelligenz sieht, auch für die Einnahmen von Kreativen.

 

Ludwig Greven: Setzen Sie bei Ihrer künstlerischen Arbeit KI ein?

Hito Steyerl: Ich habe viel KI der letzten Generation genutzt, Algorithmen, die auf sogenannten GAN-Netzwerken beruhen. Die neueren Modelle benutze ich so gut wie gar nicht.

 

Warum nicht?

Die älteren Modelle konnte man viel besser kontrollieren. Die neueren Versionen haben sehr wenig Settings. Man muss raten, was passiert. Bei den alten Modellen konnte man zudem entscheiden, welche Trainingsdaten verwendet wurden. Bei den jetzigen Industrie-Basismodellen weiß man nur, dass deren Daten hauptsächlich geklaut sind. Ohne großen Einfluss darauf zu haben, was am Ende rauskommt. Als künstlerische Werkzeuge sind sie extrem ungenau.

 

Eine Blackbox?

Es sind sehr grobe Instrumente. Ich nutze sie, wenn ich hässliche, ungelenke Bilder brauche. Dafür sind sie gut geeignet.

 

Was ist der Unterschied zu herkömmlicher Software, die Sie nutzen?

KIs nutzen statistische Daten. Herausbekommt man Durchschnittswerte. Das ist eine ganz andere Technologie als z. B. Videoschnittprogramme. Man kann auch nicht davon sprechen, dass KI Bilder erzeugt. Es sind im Grunde Datenvisualisierungen.

 

Ist KI überhaupt intelligent?

Ich weiß nicht einmal, ob es maschinelles Lernen ist. Es sind statistische Optimierungsvorgänge. Von Intelligenz würde ich nicht sprechen. Ich finde den Begriff schon bei Menschen fragwürdig.

 

Künstler haben immer schon von anderen Künstlern gelernt und deren Werke oder ihren Stil adaptiert. Wo ist der große Unterschied?

Mir ist völlig egal, ob jemand meine Werke klaut oder weiterentwickelt, solange es kein Konzern ist, sondern Kollegen. Ist mir ein Vergnügen. Was es aber noch nicht gegeben hat, ist, dass eine Technologie Jahrtausende der Kunstgeschichte aufsaugt und in Modelle verwandelt, die zurück verkauft werden an Autoren, die für ihr Urheberrecht nichts bekommen.

 

Produzieren die KI-Modelle Kunst?

Die Frage, ob KI kreativ ist, ist eine reine PR- und Ablenkungsstrategie. Das wird rauf- und runterdiskutiert und funktioniert als unbezahlte Werbung für die Entwickler. Ich finde die Frage völlig uninteressant. Mich interessiert, welches Umfeld KI für die Produktion von Kunst und für Künstler schafft und generell für die Gesellschaft. Was passiert, während diese Technologie breit in der Bevölkerung implementiert wird? Welche Prozesse von Automatisierung und künstlicher Arbeitslosigkeit werden damit umgesetzt? Was sind die Effekte auf den Energieverbrauch und die Entwicklung autonomer Waffensysteme? Das alles bewegt mich wesentlich mehr.

 

Dahinter steht auch die Frage, wer künftig kontrolliert, was wir von der Wirklichkeit wahrnehmen. Wir selbst oder irgendwelche KI-Modelle?

KIs nehmen die Welt vor allem als Muster in manipulierten Statistikdaten wahr. Ich würde mich nicht ausschließlich darauf verlassen.

Eine Studie der Stiftung Kunstfonds und der Initiative Urheberrecht hat gezeigt, dass viele Künstler KI schon nutzen, aber dass sie gleichzeitig fürchten, dass ihnen dadurch Einnahmen verloren gehen oder es gar ihre Lebensgrundlage gefährdet. Teilen Sie diese Sorge?

Ja, für einige Bereiche absolut. Man muss sich ja nur anschauen, was mit Übersetzern im vergangenen Jahrzehnt passiert ist. Dieser Berufszweig wurde durch KI stark dezimiert. Betroffen sind zum Beispiel Illustratorinnen und Illustratoren, Webdesigner, die Werbe- und PR-Branche, SFX- und 3D-Spezialistinnen und teilweise auch Programmiererinnen. Es gibt Berufszweige, die darunter leiden werden.

 

KI schafft auch ganz neue Möglichkeiten der Manipulation. Es werden Bilder und Videos erzeugt, die täuschend echt wirken. Wird man künftig überhaupt noch unterscheiden können, was Realität und was Fälschung ist?

Diese Unterscheidung fällt ohnehin schon lange schwer. Es wird dazu führen, dass Menschen überhaupt keinen Bildern mehr trauen.

Das merke ich auch an mir selbst. Es hat eine destabilisierende Wirkung auf Gesellschaften, wenn es keine Institutionen mehr gibt, die genug Autorität haben, um glaubwürdig zu wirken. Das wird durch KI verstärkt.

Sie verwenden häufig dokumentarisches Material. Müssen Sie das jetzt verstärkt prüfen?

Ich drehe meistens selbst und behaupte selten, dass meine Arbeit rein dokumentarisch ist. Bislang gibt es allerdings keinen Tsunami gefälschter Dok-Aufnahmen, das passiert eher bei Stock-Fotos. KI-Renderings wirken oft auch eher wie Illustrationen. Man kann von ihnen gar nicht erwarten, dass sie die Realität wiedergeben. So funktionieren sie nicht.

 

Machen Sie es kenntlich, wenn Sie KI einsetzen?

Ich verwende sie ohnehin nur, wenn es so offensichtlich ist, dass es sowieso jeder sieht. Warum sollte ich es sonst tun? Es schaut bisher nicht besser aus als ein normales Videobild. Aber ich denke, es sollte allgemein ausgewiesen werden.

 

Diskutieren Sie mit Ihren Studentinnen und Studenten über KI?

Meine Klasse beschäftigt sich zentral mit diesen Themen. Den meisten muss man das gar nicht beibringen. Das können sie schon selbst. Es ist ein großes Experimentierfeld. Momentan kochen wir alle nur mit Wasser.

 

Vielen Dank.

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 9/2024.