»Und wenn es wehtut«, liest man am Ende eines erstaunlichen Textes der Direktorin des Leipziger Grassi-Museums, Léontine Meijer-van Mensch über die postkoloniale Umgestaltung ihres Hauses, »dann ist das so«. Richtig weh tut es aber gerade woanders: bei den vertrauten, zum Teil in die Jahre gekommenen Institutionen der auswärtigen Kulturpolitik. Sie haben lange Zeit das Bild Deutschlands in der Welt geprägt und könnten jetzt, nach der nächsten sich ankündigenden Sparrunde im Bundeshaushalt, wieder einmal arg gerupft dastehen. Allein dem Goethe-Institut würden im kommenden Jahr rund 26 Millionen Euro fehlen, was in Zeiten des Krieges und bedrohlicher globaler Verwerfungen für eine erstaunliche politische Kurzsichtigkeit zeugt. Gerade jetzt würden die kulturellen Vermittler gebraucht. 

In einer spontanen Reaktion auf die drohenden Einsparungen hat der belarussische Schriftsteller Viktor Martinowitsch der deutschen Leserschaft vor Augen geführt, was es hieße, wenn es etwa das Minsker Goethe-Institut als Insel der Freiheit in einem totalitären Umfeld nicht mehr gäbe. Aber auch als Beobachter von der Seitenlinie kann man sich nur wundern, warum ausgerechnet eine grüne Ministerin, die nicht müde wird, über ihre wertegestützte Außenpolitik zu reden, gerade jene Bereiche ihres Hauses den Sparzwängen preisgibt, auf deren Expertise sie mehr denn je angewiesen ist.  

Vielleicht wird es die Goethe-Institute im Osten Europas sogar weniger treffen. Aber davon kann sich der Rest der Welt auch nichts mehr kaufen. Woher soll denn ein besseres Verständnis für die säkularen Emanzipationsprozesse im »Globalen Süden« kommen, wenn nicht über solche Mittlerorganisation, wie es das Goethe-Institut ist. Und warum der für den islamisch-arabischen Raum so wichtigen Internet-Plattform Qantara.de auch die bescheidensten Mittel genommen werden, das verstehe, wer will. 

Blättert man in den Zeitungsarchiven nur ein paar Jahre zurück, wird man freilich immer wieder auf ähnliche Klagen stoßen. Sie sind seit den Tagen von Joschka Fischer nicht mehr verstummt. »Kassenwarte attackieren Goethe« hatte die FAZ schon vor Jahren getitelt. Von einem »Kahlschlag« spricht jetzt die Süddeutsche Zeitung. Früher liefen solche Kommentare unter der Kategorie »Abscheu und Entsetzen«, was aber nicht heißt, dass man sich die Dinge nicht noch genauer anschauen soll. Denn es stellt sich zumindest die Frage, ob diese Sparzwänge allgemeiner Natur sind oder auch mit dem Zustand der auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik selbst zu tun haben. Warum ist das Goethe-Institut ständig davon betroffen? Warum ziehen sich die Finanzklagen wie ein roter Faden durch seine 70-jährige Geschichte? Was ist der eigene Anteil daran? 

Sicher, man ist der Politik, der konservativen zumal, in all den Jahren gehörig auf die Nerven gegangen. Was den amerikanischen Politikwissenschaftler Mark Lilla zu der Bemerkung veranlasste, unter Goethe-Mitarbeitern herrsche eine »heftige Allergie gegen alles, was nach der alten Welt der deutschen Bildung« riecht. Paul Ingendaay von der FAZ pflichtet dem bei. Kultur, zumal die deutsche, so hat er dem Goethe-Institut zum 70. Geburtstag ins Stammbuch geschrieben, spiele im Selbstverständnis des Hauses »kaum noch eine Rolle außer einer funktionalen: als dienstbare Magd beim Kampf gegen Nationalismus, Autoritarismus, Rassismus, Intoleranz«. 

Wenn wenigstens dem so wäre! Aber man hat eher den Eindruck, dass sich das Haus verkriecht und lieber anderen Playern den öffentlichen Raum überlässt. Zu keinem Thema will man sich kontrovers äußern, in keine Debatte mischt man sich ein. Aus einem einst konfliktfreudigen Haus ist tatsächlich eine nachgeordnete Behörde geworden. 

Aber warum? Warum schweigt man sich aus oder murmelt von kultureller Bildung in Deutschland, die man in Zukunft »internationaler gestalten« wolle. Wo war die laute Stimme des Goethe-Instituts in der Restitutionsdebatte, wo beim russischen Angriffskrieg auf die Ukraine oder ganz aktuell: Wo bei der Pleite in Kassel? Was nützt es, wenn man erfährt, dass das Goethe-Institut Jakarta schon länger mit der indonesischen Kuratorengruppe ruangrupa zu tun hatte oder dass man beim Aufbau der so dramatisch gescheiterten Lumbung-Idee mit dabei war? Wenigstens jetzt, da sich das documenta-Debakel nicht mehr beschönigen lässt, hätte man doch ein paar klare, klärende Worte erwartet, statt des beiläufigen Geredes von »Spannungsverhältnissen«, die sich nicht durch »harte Standpunkte« lösen lassen. Was denn wohl sonst? 

Man wird fairerweise daran erinnern müssen, dass das Goethe-Institut immer noch einen anderen, einen auswärtigen Auftrag hat. Aber lassen sich solche Grenzen heute noch ziehen? Zeigt sich nicht vielmehr, dass es die Trennung von innerer und auswärtiger Kulturpolitik gar nicht mehr gibt? Dass sie in globalisierten Zeiten ihren Sinn verloren hat, weil unsere Einwanderungsgesellschaft die Welt schon längst inkorporiert. Sie weiterhin irgendwo da draußen vermuten zu wollen, ist zum Anachronismus geworden; und wenn man sich auf den »interkulturellen Dialog« beruft, dann muss man ihn auch im eigenen Land führen wollen.  

Der Anstoß, etwas ändern zu wollen, hätte eigentlich auch von der grünen Außenministerin kommen können. Kam aber nicht. Weshalb man dem Goethe-Institut dringend nur raten kann, die Dinge selbst in die Hand zu nehmen. Geld, ist die bittere Einsicht, gibt es eben nicht für Meriten, sondern nur, wenn man sich wichtig und unentbehrlich macht. Dabei könnte das Goethe-Institut mit seinem wichtigsten Kapital wuchern: seinem in 70 Jahren erworbenen Wissen um die Unterschiede auf dieser Welt. Von seiner Weltklugheit sollte es sprechen, die sonst kein anderer Mitspieler hat. Natürlich tut ein solcher Wandel auch weh. »Aber«, würde die Niederländerin Léontine Meijer-van Mensch sagen, »dann ist das wohl so«. 

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 10/2022.